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Radverkehr ja, Fahrradstraße nein? Debatte um Verkehrsberuhigung im Waldseeviertel
Veröffentlicht am 02.02.2022 von Lisa Erzsa Weil
Was ist gerade los im Waldseeviertel? Rückblick: In Hermsdorf verbindet die Schildower Straße am Waldsee Berlin mit Glienicke/Nordbahn in Brandenburg. Dass diese als Schleichweg genutzt wird, stört Anwohner:innen auf beiden Seiten seit vielen Jahren. Die Straße sei zu eng für den Pendlerverkehr, der von der B96 (Berliner Straße) auf die Schildower Straße ausweiche. Viele würden hier außerdem zu schnell und aggressiv fahren.
2014 hat sich zu diesem Zweck eine überörtliche Bürgerinitiative zusammengeschlossen. Die Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung ist mittlerweile ein Projekt im Mobilitätsverein Changing Cities. Ziel ist eine Verkehrsberuhigung durch Modalfilter sowohl im Berliner Waldseeviertel als auch in der benachbarten Gemeinde Glienicke. Diese Modalfilter können beispielswiese Poller, Blumenkübel oder ähnliche Absperrungen sein, geplant sind sie in diesem Fall jeweils am Stadtausgang (Elsestraße und Schildower Straße). Dadurch würde die Schaffung eines sogenannten Kiezblocks erwirkt.
Demgegenüber stehen die Gegner der Idee, den motorisierten Durchgangsverkehr auf besagter Strecke aufzulösen. Die Initiative Offene Nachbarschaft fürchtet „Grenzschließungen“, man fühlt sich an die Deutsche Teilung erinnert. Immerhin verlief unweit die Mauer, an der Grenze zwischen Berlin und Brandenburg. Die Schildower Straße war damals eine Sackgasse. Die Modalfilter würden laut Plan zwar noch vor der ehemaligen Grenzlinie platziert, und der Kiezblock stünde Fußgängern und Radfahrern zur Nutzung frei. Ein weiteres Problem sei nach Meinung der Initiative Offene Nachbarschaft, die von Helmut Bodensiek repräsentiert wird, jedoch, dass die B96 das erhöhte Verkehrsaufkommen nach Sperrung der Schildower Straße nicht bewältigen könne. Dem widerspricht Michael Ortmann von der Bürgerinitiative, der als Professor für Mathematik an der Berliner Hochschule für Technik unterrichtet und mehrere Untersuchungen dazu anstellte.
2020 wurde in der BVV bereits durchgesetzt, einen verkehrsberuhigten Kiezblock im Rahmen eines zweijährigen Verkehrsversuches zu testen. Dabei sollte auch der Verkehrsfluss entlang der B96 durch verbesserte Ampelschaltungen an die neue Situation angepasst werden. 2021 dann der Dämpfer – und zwar nicht in Form von Modalfiltern: In einem vom Bezirksamt in Auftrag gegebenen Gutachten (das Sie unter diesem Link finden) kommt man zum Schluss, dass der Durchgangsverkehr besonders auf dem Hermsdorfer Damm und der Schildower Straße zwar wahrlich groß ist. Modalfilter könnten aber nicht die Lösung sein, da dann Rückstau und erhöht Fahrzeiten auf der B96 drohten und gar andere Wohnstraßen westlich der Berliner Straße belastet werden könnten.
Verlagert ein Kiezblock also nur das Problem? Die Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung ist empört, dass der BVV-Beschluss noch nicht umgesetzt wurde, droht mit Klage und beruft sich auf das Mobilitätsgesetz, das einen Vorrang des Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehrs vorsieht. Das Einklagen der Modalfilter – für die Initiative Offene Nachbarschaft keine haltbare Vorgehensweise. Dafür sollte ein Runder Tisch im Sommer letzten Jahres den Versuch wagen, eine gemeinsame Lösung zu finden – vergebens. Ein nächstes Treffen ist geplant, das hatte auch die Zählgemeinschaft in ihrer Vereinbarung vom November festgehalten.
Anfang Januar hatte sich Bezirksbürgermeister Uwe Brockhausen (SPD) nun mit Hans-Günther Oberlack (FDP), seinerseits Bürgermeister von Glienicke/Nordbahn, im Rathaus getroffen. Die Botschaft: Wir wollen zusammenarbeiten, auch bei strittigen Themen wie dem Verkehr im Waldseeviertel. Oberlack sagte, er „begrüße den Ansatz, künftig auch die Spitzen der anderen Nachbargemeinden in unsere Gespräche einzubeziehen, denn es gibt eine Reihe von Problemen, die grenzüberscheitend wirken und deshalb nur von uns gemeinsam gelöst werden können.“ Zuvor hatte er sich kritisch über die Schaffung eines Kiezblocks geäußert. Klar ist, Mobilitätsgesetz hin oder her, der Bezirk entscheidet, ob ein Kiezblock im Waldseeviertel in Frage kommt.
In einer aktuellen Pressemitteilung informiert Ortmann von der „Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung Waldseeviertel“ nun, dass „ein weiterer Meilenstein für die so dringlich geforderte Verkehrsberuhigung” erreicht worden sei, denn man sei sich auf beiden Seiten der Stadtgrenze einig: Der Radverkehr solle gefördert werden.
Wie Ortmann schreibt, gehörten die Schildower Straße, die Veltheimstraße und der Hermsdorfer Damm im Waldseeviertel mittlerweile formal zum Radverkehrsnetz Berlin, die Gemeinde Glienicke habe am 25. Januar gleichermaßen die Umsetzung des Interkommunalen Verkehrskonzepts beschlossen. „Demnach gehören die Alte Schildower Straße und die Kantstraße zu einer sogenannten Regionalen Hauptroute für den Fahrradverkehr. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Radverkehr im Waldseeviertel die vorherrschende Verkehrsart werden soll”, so Ortmann, und: „Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit ist die Unterbindung von motorisiertem Durchgangsverkehr geboten.” In Fahrradstraßen dürften höchstens Anlieger auch mit anderen Fahrzeugen einfahren dürfen.
Dagegen halten die Initiative Offene Nachbarschaft und ihr Sprecher Bodensiek: In einem neuen Positionspapier wird gefordert, die Alternativen zum Pkw-Verkehr attraktiver zu machen, statt diesen von besagter Route auszuschließen. Eine Fahrradstraße? Aus vielen Gründen ungeeignet, wie das „Gutachten zur Verkehrsberuhigung der Schildower Straße im Waldseeviertel“ (siehe oben) gezeigt habe. Die betreffenden Straßen hätten als Sammel- und Haupterschließungsstraßen eine wichtige Funktion, die sie als verkehrsberuhigte Strecken verlören. Verkehrsteilnehmer könnten sogar gegeneinander aufgebracht werden, wenn nur noch Anlieger Zugang hätten.
Stattdessen sollten Radwege und -streifen ausgebaut und der öffentliche Personennahverkehr gefördert werden, doch: „Die Diskussion der Radwegeplanung muss breiter angelegt werden. (…) Kreativität und eine Bürgerbeteiligung, die sich nicht nur auf unmittelbare Anwohner oder Lobbygruppen bezieht, sind gefragt“, so Bodensiek. „Wir wollen kein Gegeneinander der Verkehrsarten, sondern ein sicheres Miteinander. Wir suchen einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten aus Berlin und Brandenburg zur Verbesserung der Situation für alle Beteiligten.“
- Wo soll es in Berlin noch Kiezblocks geben, und woher kommt das Modell? Das erfahren Sie hier, auf Tagesspiegel Plus.
- Das große Bezirksnewsletter-Interview mit Verkehrsstadträtin Korinna Stephan finden Sie hier.