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Doch kein Radfahrstreifen in der Ollenhauerstraße? Kritik an Radwege-Stopp des Senats

Veröffentlicht am 21.06.2023 von Lisa Erzsa Weil

Die Verkehrsverwaltung setzt unter CDU-Senatorin Manja Schreiner neue Prioritäten auf den Straßen. Dafür hat es in den vergangenen Tagen aus verschiedenen Bezirken Kritik gehagelt – so auch aus Reinickendorf. Konkret geht es um ein Umsetzungsverbot für den Bau von Radwegen – und offenbar gar ein Rückrudern bei solchen, die bereits geplant und fast fertiggestellt sind.

So wie die Ollenhauerstraße. Die verläuft zwischen Kurt-Schumacher-Platz und dem S+U-Bahnhof Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Ein Radweg wäre hier bitter nötig, denn den gibt es bislang nicht durchgängig, nicht überall in gutem Zustand, und stellenweise wird es sehr eng, bei viel Autoverkehr. Der Radstreifen, der zu den ursprünglich für 2023 geplanten zwölf Kilometern Reinickendorfer Radweg gehören sollte, ist tatsächlich nahezu fertig und hätte vergangene Woche bereits eröffnet werden sollen.

Nun wurde der Radweg wieder abgeklebt, wie die Berliner Zeitung zuerst berichtete. Das erkläre ihn für ungültig. Ein Bild davon twitterte die verkehrspolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Antje Kapek, mit dem Zusatz „Soviel zu #Verkehrssicherheit. Soviel zu #MehrRadwege. Soviel zu #Miteinander“ – letzteren Hashtag hatte die CDU auch im Wahlkampf verwendet.

Was war geschehen? Die Senatsverkehrsverwaltung hat die Bezirke gebeten, Radwegprojekte vorerst zu stoppen. Eine dementsprechende E-Mail aus der Abteilung Verkehrsmanagement der Senatsverwaltung vom vergangenen Mittwoch an den Bezirk Reinickendorf liegt dem Tagesspiegel vor. Darin heißt es, dass bereits Radwege-Projekte ausgesetzt werden sollen, die den Wegfall von einem oder mehr Fahrstreifen und/oder den Wegfall von mindestens einem Parkplatz zur Folge haben. Außerdem soll Tempo 30 weder auf langen Strecken noch zum Lückenschluss ausgewiesen werden.

In Reinickendorf beträfe das laut Mail die Waldstraße sowie die Markstraße. Der Radweg entlang der Waldstraße zwischen der Ollenhauer Straße und dem Eichborndamm sollte ab dem zweiten Quartal dieses Jahres neu gebaut werden. Hier würde die Anzahl der Parkplätze reduziert, die Maßnahme sei „derzeit noch nicht umzusetzen“. In der Markstraße, welche zwischen Residenzstraße und dem Louise-Schroeder-Platz im Wedding verläuft, sei die Umsetzung durch eine neue Planung, welche sich in Bearbeitung befände, obsolet.

Und der eigentlich schon fertige Radweg in der Ollenhauerstraße? Er taucht in dem Schreiben nicht auf. Auf Anweisung des Senats wurde dieser also offenbar nicht gestoppt. Geschah die Aussetzung des Radwegeprojekts im vorauseilenden Gehorsam des Bezirksamtes? Das reagierte heute in Form einer Pressemitteilung auf die Kritik bezüglich der Radwege-Politik und bestätigt dabei auch die Aussetzung der Inbetriebnahme des Radweges auf der Ollenhauerstraße. Die Wald- oder Markstraße werden nicht erwähnt.

Als Begründung gibt das Bezirksamt im Falle der Ollenhauerstraße an, dass es „von Beginn an insbesondere aus dem Anwohnerbereich heraus“ Kritik an der Maßnahme gegeben habe. Sie sei vom alten Senat entschieden und begonnen worden. Nun wolle man prüfen, wie an dieser von allen Verkehrsteilnehmer:innen „rege frequentierten Verkehrsader die Belange der beidseitig Anwohnenden und die der überwiegend klein- und mittelständischen Gewerbetreibenden mit einbezogen werden können.“

Allerdings geht das Bezirksamt hier nicht auf die bauliche Schaffung einer Lieferzone ein, die in Einklang mit dem Radweg umgesetzt werden sollte, um Anlieferungen für Unternehmer:innen vor Ort nicht zu gefährden, welche Bedenken am Bau des Radwegs geäußert hatten. Mit der Umsetzung dieser Baumaßnahme war bereits begonnen worden.

Auch die Kosten des Projektstopps bleiben unklar. Entstehen würden diese unter anderem durch den bisherigen Bau des Fahrradwegs, seinen Rückbau, die Schaffung der Lieferzone, die gelben Markierungsstreifen, die den bereits gebauten Radweg annullieren und alle weiteren Personal- und Materialkosten. Denkbar wäre aber auch eine Rückforderung der für bereits vergebene Aufträge gezahlten Bundesmittel.

In der Pressemitteilung des Bezirksamtes wird derweil bekundet, Reinickendorf sei sich „einig mit dem Senat“. Die Radweginfrastruktur Reinickendorfs bedürfe zwar „deutlicher Verbesserungen“, es bestünden aber auch keine Zweifel daran, dass „der neue Senat sehr bestrebt ist, möglichst viele neue und sichere Radwege zu schaffen.“ Doch dafür sei es „sinnvoll, alle aktuellen Planungen einer kritischen Würdigung“ zu unterziehen. Der Bezirk setze sich dafür ein, eine vernünftige Lösung für alle zu finden. „Mit der Brechstange erreichen wir im Sinn eines gesellschaftlichen Miteinanders gar nichts“, wird Verkehrsstadträtin Schrod-Thiel zitiert.

Neben der grünen Verkehrspolitikerin Kapek machte auch die Reinickendorfer Bezirksverordnete Kai Bartosch ihrem Ärger Luft: „Der Radweg auf der Ollenhauerstraße ist fertig markiert und sollte diese Woche (!) freigegeben werden! Kurz vorm Ziel also in die Hose? Ich bin so enttäuscht und sauer!“, schrieb sie am Samstag. Auf ihrer Webseite postete sie am Montag erstellte Fotos aus der Ollenhauerstraße – und erhob einen Vorwurf:

In der vergangenen BVV habe sie ihre mündliche Anfrage, die sich auf verbleibende Gefahrenstellen auf der Ollenhauerstraße bezog, nicht stellen können, da das Zeitlimit für mündliche Anfragen nach über 50 Minuten Redezeit von den Bezirksstadträt:innen Harald Muschner und Julia Schrod-Thiel, beide CDU, überschritten wurde. „Dass hinter dieser Verschleppung Kalkül stand, ist ein Gedanke, der sich nicht nur mir aufdrängte. Sollte verhindert werden, dass die Stadträtin im Rahmen der Beantwortung meiner Frage den Stopp oder sogar Rückbau der Radverkehrsanlagen verkünden muss?“, fragt sich Bartosch auf ihrer Homepage.

Auch die Reinickendorfer Grünen-Fraktion kritisierte die langen Redebeiträge und spricht in einer Pressemitteilung vom Freitag von „mangelnder Kollegialität von Seiten der CDU-Stadträt:innen“.

Verkehrssenatorin Schreiner korrigiert unterdes das in der vergangenen Woche verkündete Moratorium für den Radweg-Ausbau. Nach einer Anfrage des Tagesspiegels teilte eine Sprecherin der Senatsverkehrsverwaltung am Dienstagabend mit, dass die Aussetzung „für alle Maßnahmen, für die bis zum heutigen Tag noch keine vertraglichen Verpflichtungen zur Umsetzung der eigentlichen Baumaßnahmen eingegangen wurde“ gelte. Für „Maßnahmen, für die bereits Planungsleistungen erfolgt sind”, gelte der Stopp hingegen nicht.”

Wir haben die zuständige Bezirksstadträtin Schrodt-Thiel um eine schriftliche Stellungnahme gebeten. Bis zum Redaktionsschluss erhielten wir keine Antworten auf unsere Fragen.