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Juristisches Nachspiel: Deutsche Umwelthilfe will gegen „Radwege-Stopp“ klagen

Veröffentlicht am 28.06.2023 von Lisa Erzsa Weil

Die Sperrung des eigentlich schon übergabereifen Radweges in der Ollenhauerstraße ist weiterhin großes Streitthema in der Politik, den Medien, auf der Straße – und zwar nicht zu knapp. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat nun nach eigenen Angaben Widerspruch eingelegt und beantragt, dass die gelben Überklebungen wieder entfernt werden. Das gab sie am Sonntag bekannt. Ein erstes rechtliches Verfahren sei bereits am Freitag eingeleitet worden.

„Eine persönlich betroffene Mitarbeiterin der DUH hat Widerspruch gegen die Sperrung des fertiggestellten Radwegs auf der Ollenhauer Straße eingelegt und die Abtragung der gelben Markierungen sowie eine Wiederherstellung des Radwegs beantragt“, so der Umwelt- und Verbraucherschutzverband. Die erste Frist endet am heutigen Mittwoch.

Zusätzlich hat die DUH durch ihre Mitarbeiterin Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang beantragt. Sollte der Radweg bis zum 3. Juli nicht wiederhergestellt sein, so kündigt die DUH einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht an. Weitere Details hat mein Kollege Christian Latz hier aufgeschrieben (T+) – er hat mit Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, gesprochen.

Darüber hinaus hat die DUH eine Unterschriftenaktion gestartet: „Ich stelle mich mit meiner Unterschrift hinter die Aktivitäten für den Erhalt von Fahrradwegen und den Einsatz für mehr sichere Radwege in Berlin und ganz Deutschland“, heißt es dazu auf der Webseite. Eigentlich ein Credo, das auch die CDU unterschreiben könnte.

Doch die verteidigt den „Radwege-Stopp“ weiterhin. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte am Donnerstag in einem Interview mit dem „Spiegel“, die Verfügung von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) sei kein Stopp, sondern eine Prüfung und Priorisierung. „Im Koalitionsvertrag steht, dass wir deutlich mehr Radwege bauen wollen als die letzte Landesregierung. Was ich nicht will, sind Radwege, mit denen man Autos mutwillig ausbremst.“

Wegner sagte aber auch, er müsse zur Kenntnis nehmen, dass deutlich mehr Menschen mit dem Rad fahren als noch vor zehn oder 15 Jahren. Um Fahrradfahrer:innen mehr Raum in der Stadt zu geben, müsse man auch mal eine Autospur wegnehmen. „Aber es muss sinnhaft sein.“ Er wolle, „dass in dreieinhalb Jahren Radfahren in Berlin sicherer geworden ist. Gerade in Kreuzungsbereichen – da passieren die meisten tödlichen Unfälle. Es ist bekannt, an welchen Kreuzungen.“ Natürlich müsse man dafür „mal zwei, drei, vielleicht sogar fünf Parkplätze wegnehmen“.

Zuvor hatte die Berliner Verkehrssenatorin Schreiner ihr Vorgehen verteidigt. „Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass wir uns die Radweg-Projekte anschauen, und ich mache im Moment nichts anderes“, sagte sie. Die Politikerin erklärte zudem, nicht verantwortlich zu sein für das ursprüngliche Schreiben aus ihrem Haus, in dem die Rede davon war, jedes Radwege-Projekt zu stoppen, bei dem auch nur ein Parkplatz wegfalle. „Ich habe das Schreiben gar nicht geschickt, damit habe ich gar nichts zu tun“, sagte sie dem Deutschlandfunk.

Die Verkehrssenatorin traf sich am Montag außerdem mit den Bezirksstadträtinnen und -stadträten für Verkehr. Im Anschluss sprach sie von einer „konstruktiven Runde“. Ziel sei ein „funktionierender Verkehrsfluss ohne Einseitigkeiten eines Verkehrsträgers“, sagte Schreiner. „Sorry, Manja, aber außer der EINSEITIGEN Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs (#Auto) durch zwei Fahrspuren pro Richtung und eine weitere Parkspur kann ich hier keine Bevorzugung anderer Verkehrsträger erkennen“, kommentierte die Reinickendorfer Bezirksverordnete Kai Bartosch in einem Beitrag auf ihrer Webseite. Sie gehörte bis Mai den Linken an, fühlt sich „verkehrspolitisch“ eher den Grünen näher. Aktuell ist sie parteilos.

Die Junge Union (JU) Reinickendorf nennt den Radweg derweil einen „Pop-up-Radweg“ und illustriert die Kosten für die Erstellung mit 50-Euro-Scheinen. Glauben Sie mir nicht? Bitteschön, hier ist der entsprechende Instagram-Post. Die Behauptung, der Radweg an der Ollenhauerstraße sei ein Pop-up-Radweg“, also ein temporärer, kurzfristig errichteter Radfahrstreifen – das ist, verzeihen Sie den Kalauer, fahrlässig.

Denn bereits 2016 ersuchten Grüne, CDU und SPD gemeinsam das damalige Reinickendorfer Bezirksamt, bei der Investitionsplanung 2019 bis 2023 auch die „Anlage adäquater Radverkehrsanlagen“ in der Ollenhauerstraße zu berücksichtigen, was daraufhin – unter dem damaligen Bezirksbürgermeister Frank Balzer und Bezirksstadträtin Katrin Schultze-Berndt (beide CDU) – auch geschah. Unter anderem folgte 2018 ein Lückenschluss. Es gab also eine lange Vorlaufzeit für die Pläne der im Radvorrangnetz befindlichen Ollenhauerstraße. Dennoch gab es lange Zeit keinen durchgängigen Radweg, obwohl hier auch viele Busse und LKW fahren – der ist Zukunftsmusik.

Und was hat es mit den 50-Euro-Scheinen auf sich, mit denen der Bezirksverordnete und Vorsitzende der JU Reinickendorf, Richard Gamp, auf dem Bild posiert? Die stünden für die Kosten des Projekts: „280.000 Euro für rund 700 Meter Pop-up- Radweg auf der Ollenhauerstraße in Reinickendorf. Das entspricht 400 Euro pro Meter für einige weiße Striche und Fahrrad-Piktogramme auf der Straße – so als hätte man den gesamten Fahrradweg der Länge nach mit 50-Euro- Scheinen nachgelegt“, steht im Post.

400 Euro pro Meter – das ist ja teuer! Natürlich nicht so teuer wie jeder Meter Autobahn beim Ausbau der A100. Denn dieser hat – Stand 2020 – 191.608,13 Euro pro Meter gekostet – also vor den Kostenexplosionen des letzten Jahres.

Im Fall des Radweges in der Ollenhauerstraße wurden 75% der Baukosten des Projekts (rund 200.000 Euro) über das Bundesprogramm Stadt und Land gefördert, während die restlichen 25% durch eine Finanzierung des Senats kamen. Grundlage der Förderung ist allerdings eine Fertigstellung bis Ende 2023. Sollte das nicht geschehen, müssen die Fördermittel zurückgezahlt werden.

Ob dieses Szenario droht sowie weitere Fragen habe ich Verkehrsstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU) auch diese Woche zukommen lassen. Sie ließ die Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Die JU fordert derweil im Vorgänger-Post zu dem mit dem Pop-up-Radweg und den 50-Euro-Scheinen: Schulwegsicherheit und eine gute Fahrradweg-Infrastruktur.