Kiezgespräch
Veröffentlicht am 16.12.2020 von André Görke
BVV-Mehrheit gegen offenen Vollzug für Sicherungsverwahrte in Tegel. Es war eines der kontroversesten Themen überhaupt, mit dem sich die BVV bei ihrer letzten (digitalen) Sitzung am 9. Dezember beschäftigen musste. Es ging um eine Einrichtung des offenen Vollzugs für Sicherungsverwahrte im Umfeld der JVA in Tegel. Dass es einen solchen offenen Vollzug für Sicherungsverwahrte, also für ehemals Straffällige gibt, die aufgrund ihrer anhaltenden Rückfallgefahr nicht dauerhaft in die Freiheit entlassen werden sollen, ist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zurück zu führen. Das oberste Gericht hatte 2011 auch für diese Gefangenengruppe eine Freiheitsperspektive nach Ende der offiziellen Haftzeit gefordert. Anderenfalls würde eine andauernde Wegschließung der Menschenwürde widersprechen.
Der Berliner Senat hatte diese Vorgabe des BVG 2013 umgesetzt. Sowohl der Innen- als auch der Justizsenator waren zu diesem Zeitpunkt Politiker der CDU. Seit 2015 wurden in Berlin 15 Sicherungsverwahrte entlassen. Einer von ihnen wurde wieder straffällig und ist wieder in Haft.
Warum beschäftigte das Thema jetzt – nicht zum ersten Mal – die BVV? An der Seidelstraße in Tegel wird im Umfeld der JVA ein Haus für die Unterbringung von sicherungsverwahrten Personen, die zeitweisen Ausgang haben, umgebaut. Der CDU-Bezirksverordnete Felix Schönebeck begründete für seine Fraktion die Ablehnung des Projektes unter anderem so:
„Wenn man sich die in Sicherungsverwahrung befindlichen Straftäter einmal genauer anschaut, dann haben diese oft mehrere schwerste Straftaten, hauptsächlich Gewalt- und Sexualdelikte begangen. Auf der anderen Seite stehen Opfer, die ihr gesamtes Leben unter der Tat leiden. Das Gericht muss bei der Sicherungsverwahrung dem Täter eine weiterhin bestehende Neigung zu erheblichen Straftaten zusprechen. Und auch wenn es externe Gutachten und Prognosen vor der Entlassung in den offenen Vollzug gibt, bleibt ein unbekanntes Restrisiko bestehen. Ich kann verstehen, dass Anwohner und Eltern Angst haben, wenn sich solche Straftäter bald in Tegel und Reinickendorf frei bewegen.“
Die CDU-Fraktion stelle nicht den gesetzlichen Auftrag zur Einrichtung eines offenen Vollzugs in Frage, jedoch die konkrete Standortwahl in Tegel, auch weil Reinickendorf überproportional mit Vollzugseinrichtungen belastet sei.
Die SPD-Fraktion in der BVV zeigt für die Bedenken gegen eine solche Einrichtung Verständnis, wirft der CDU aber vor, keinen alternativen Standort vorzuschlagen. Es gebe aber auch Argumente für die Ansiedlung eines solchen Standortes in Tegel. Wörtlich heißt es in einer Stellungnahme der SPD dazu:
„Dabei gibt es auch Argumente der Senatsjustizverwaltung, die für eine Ansiedlung vor den Toren der JVA Tegel sprechen. Denn dort ist auch der geschlossene Vollzug der Sicherungsverwahrung untergebracht. Man muss bedenken, sicherungsverwahrte Personen haben oft deutlich länger als übrige Gefangene, von der Außenwelt abgeschnitten, hinter Gefängnismauern gelebt. Sie verfügen nur über wenige soziale Kontakte außerhalb, so dass die Mitarbeiter der JVA teilweise ihre wesentlichen sozialen Ansprechpartner sind. Die sogenannte Betreuungskontinuität kann maßgeblich zu einem erfolgreichen Übergang zu einem selbständigen Leben beitragen …
Die geplante Einrichtung in Tegel verfügt nur über 10 Wohnplätze. Um hier betreut zu werden, werden die einzelnen Insassen genau geprüft und von Gutachtern daraufhin untersucht, ob sie noch eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Es gibt also sehr strenge Anforderungen, und es darf insbesondere nicht zu befürchten sein, dass sich der Untergebrachte dem Vollzug entzieht oder weitere Straftaten begeht. Die Sicherheit der Bevölkerung wird also jederzeit beachtet.“
Am Ende der Debatte wurde der Ablehnungsantrag mit der Stimmenmehrheit der CDU und der AfD angenommen und damit das Bezirksamt beauftragt, sich beim Senat gegen einen offenen Vollzug in Tegel oder auch an anderer Stelle in Reinickendorf einzusetzen
Die Debatte ist nicht neu. Bereits im November des vergangenen Jahres hatte ich darüber im Newsletter berichtet – wenn Sie es noch einmal nachlesen wollen, bitte sehr: Tagesspiegel-Link. An den Argumenten hat sich seitdem nichts geändert.
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