Nachbarschaft

Veröffentlicht am 13.11.2019 von Gerd Appenzeller

Dietmar Peitsch, 67, Romanautor, Verfassungsschützer a. D.

Heute 67 Jahre alt, aufgewachsen in Moabit und seit 1975 in Hermsdorf ansässig, hatte Dietmar Peitsch schon ein turbulentes Berufsleben hinter sich gebracht, als er beschloss, im Ruhestand Romane zu schreiben. Seinen Beruf als leitender Mitarbeiter der Innenverwaltung hat er nach eigenen Angaben einer resoluten Sachbearbeiterin im Immatrikulationsbüro der FU zu verdanken. Eigentlich wollte er Musikwissenschaftler werden. Seine Eltern meinten jedoch: „Junge, studiere ein Fach mit dem du Geld verdienen kannst.“ Um ihnen einen Gefallen zu tun, wollte er deshalb im Nebenfach Jura studieren. Also ging er ins Immatrikulationsbüro der FU (damals meldete man sich noch persönlich für ein Studium an, einen NC gab es nicht) und sagte: „Ich möchte im Hauptfach Musikwissenschaften studieren und im Nebenfach Jura.“ Darauf meinte die Sachbearbeiterin: „Junger Mann, studieren Sie ein Fach, mit dem man Geld verdienen kann. Ich immatrikuliere Sie im Hauptfach für Jura und im Nebenfach für Musikwissenschaften.“ Gesagt getan, und so wurde er Jurist. Sein ganzer Lebenslauf klingt ziemlich turbulent und so spannend, dass ich ihn hier in voller Länge wiedergebe:

„Unmittelbar nach dem Studium bewarb ich mich bei der Senatsverwaltung für Inneres für den höheren Verwaltungsdienst und wurde tatsächlich eingestellt. Meine erste Dienststelle war der Polizeipräsident in Berlin. Im Dezernat Präsidiale Angelegenheiten wurde ich Gruppenleiter für Rechts- und Ordnungsaufgaben, Datenschutz und Geheimschutz. Ich hatte keinen leichten Stand und musste lernen, mich durchzusetzen. Datenschutz war damals ein heiß und kontrovers diskutiertes Thema und bei der Polizei ausgesprochen unbeliebt. Zum Glück fand ich viel Rückhalt bei den Polizeipräsidenten Klaus Hübner und Georg Schertz.

Bei der Polizei erlebte ich die eindrucksvollste Zeit meines Berufslebens, nämlich die deutsche Einheit und die Zusammenführung der West- und Ostberliner Polizei. Meine Aufgabe damals war die juristische Begleitung des Einigungsprozesses. Ich musste die für die Polizei geltenden Rechtsvorschriften der DDR und der Bundesrepublik gegenüberstellen und aufzeigen, welche Unterschiede es gab und was zu tun war, damit nach der deutschen Einheit eine gesamtstädtische Polizei ausreichende Rechtsgrundlagen für ihre Arbeit hatte. Dies war eine Aufgabe ohne Vorbild; jeden Tag stellten sich neue Fragen und Probleme, die ad hoc zu lösen waren, und für die es keine Vorbilder gab. Noch heute überkommt mich eine Gänsehaut, wenn ich an die Zeit zurückdenke.

1991 erhielt ich das Angebot, die Geschäftsführung der Unabhängigen Kommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt in Berlin zu übernehmen. Die Kommission sollte die Gewaltsituation in Berlin in den verschiedensten Bereich analysieren und Vorschläge zur Abhilfe machen. Diese Aufgabe reizte mich und ich sagte zu. Hier erlebte ich etwas für einen Beamten sehr Ungewöhnliches: Ich arbeitete unabhängig, also weisungsfrei, was ich sehr genoss.

Als die Arbeit der Kommission nach zwei Jahren zu Ende ging, suchte ich nach einer neuen Stelle, denn die bei der Polizei war inzwischen anderweitig besetzt. Es waren jedoch keine Stellen frei, und ich wurde immer unruhiger, je näher das Ende der Arbeit der Kommission rückte. Da erhielt ich eines Tages einen Anruf des damaligen Innenstaatssekretärs Jäger, der sagte: „Packen Sie Ihre Sachen, in drei Tagen fangen Sie beim Verfassungsschutz an.“ Ich fiel aus allen Wolken, denn der Verfassungsschutz stand nun überhaupt nicht auf der Agenda meiner Berufswünsche. Aber ich hatte keine Alternative und sagte zu. Der Verfassungsschutz brauchte damals dringend einen Juristen, der die Post- und Telefonüberwachung, die bis dahin in den Händen der Alliierten lag, aufbauen sollte. Es dauerte dann zwar etwas länger als drei Tage, aber ich habe nie wieder ein so schnelles Stellenbesetzungsverfahren erlebt. Ich kam in ein Arbeitsgebiet, das – zumindest in Berlin – völlig neu war. Das Planen und Gestalten machte mir dann doch viel Spaß und ich gewöhnte mich an die neue Tätigkeit, die ich sieben Jahre lang ausübte.

Das Ende meiner Tätigkeit beim Verfassungsschutz kam genauso überraschend wie der Beginn. Als die Behörde wegen der vielen Skandale im Jahre 2000 aufgelöst wurde und fast alle Mitarbeiter in andere Berliner Behörden versetzt werden sollten, erklärte mir die damalige Innenstaatssekretärin Mathilde Koller in einem Personalgespräch, dass ich in die Wissenschaftsverwaltung versetzt werden würde. Sie hatte bereits mit ihrem Kollegen Josef Lange aus dem Wissenschaftsressort die Einzelheiten abgesprochen. Damit war ich am Ziel meiner Wünsche, denn in diesem Bereich wollte ich schon immer arbeiten. Frau Koller war ziemlich verdattert, als ich meine Freude zum Ausdruck brachte, denn ich war wohl der einzige Verfassungsschützer, der ohne Murren die Behörde verließ.

In der Hochschulabteilung des Wissenschaftsressorts leitete ich 15 Jahre lang das Referat für Hochschulrecht. Das war ein sehr lebendiges Aufgabengebiet, in dem ich viele Gestaltungsmöglichkeiten hatte.

Nach meiner Pensionierung fühlte ich mich noch zu jung für das Altenteil und ich begann zu schreiben. Mein Roman „Der Kalif von Berlin“ ist im Juli dieses Jahres erschienen, derzeit arbeite ich an einem weiteren Manuskript mit meinem Protagonisten Heiko Peikert. Außerdem widme ich mich der Geschichte Berlins. Seit Anfang des Jahres bin ich im Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins und arbeite – was naheliegend ist – die Polizeigeschichte zur Zeit der Wende auf. Einen Teil meiner Zeit verbringe ich zurzeit im Keller des Polizeipräsidiums und stöbere dort in alten Akten.

Und um was geht es in dem Roman? Im „Der Kalif von Berlin“ sucht der Berliner Verfassungsschützer Heiko Peikert nach islamistischen und rechtsterroristischen Attentätern, die am selben Tag in Berlin Anschläge begehen wollen. Die Islamisten werden von einem Unbekannten gesteuert, der „Kalif“ genannt wird. Sofort werden Maßnahmen zur Verifizierung der Informationen eingeleitet. Jedoch sind die Ermittlungen erfolglos und die Nervosität wächst, je näher der Tag der geplanten Anschläge heranrückt. Aber nicht nur Islamisten und Rechtsterroristen beschäftigen Peikert und seine Kollegen, auch eine linksextremistische Organisation, die Flüchtlinge gegen ihre behördliche Registrierung aufstachelt, halten den Verfassungsschutz in Atem. Zusätzlich entsteht Nervosität, als ein V-Mann behauptet, ein leitender Beamter der Senatsverwaltung für Inneres habe Kontakt zu eben dieser linksextremistischen Organisation und verrate vertrauliche Informationen dorthin. Kurz darauf verweigert der V-Mann die weitere Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz und taucht ab.“

Der Roman spielt 2016 und bezieht reale Ereignisse aus diesem Jahr in die an sich fiktive Handlung ein, Ereignisse, über die damals auch in den Medien berichtet wurde. Insgesamt also ein spannender Stoff. Wenn Dietmar Peitsch in den kommenden Wochen in einer Reinickendorfer Buchhandlung liest, wird das im Newsletter rechtzeitig bekannt gemacht. Der Kalif von Berlin, Verlag Tredition, 373 Seiten.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: gerd.appenzeller@tagesspiegel.de