Nachbarschaft
Veröffentlicht am 27.07.2022 von Lisa Erzsa Weil

Die Frau auf dem Schwarz-Weiß-Foto heißt Beate Fischer. Sie war 32 Jahre alt, Mutter zweier Kinder. Am 23. Juli 1994 ermordeten Neonazis die in Weißensee Lebende in einer Wohnung in der Emmentaler Straße 97 bei uns in Reinickendorf. Der Mord ist heute 28 Jahre her, doch er spielt auch weiterhin noch eine wichtige Rolle, wenn es um Frauenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt gegen Sexarbeiter:innen geht.
Was ist geschehen? Fischer soll die Täter am S-Bahnhof in Lichtenberg getroffen haben. Sie war in der Sexarbeit tätig und soll – laut Aussagen der Täter – zunächst freiwillig mit ihnen in ihre Reinickendorfer Wohnung gefahren sein, wo sie den jungen Männern ihre Dienste als Prostituierte angeboten haben soll.
Dann aber kam es zu einer sadistischen Misshandlung, Fischer wollte abbrechen und gehen. Die Täter verhinderten das und fesselten die Frau. Sie vergewaltigten die 32-Jährige mehrmals, rasierten ihr eine Glatze, schlugen und folterten sie. Die grausamen Misshandlungen an diesem Samstagabend sollen mehrere Stunden gedauert haben. Die abscheulichen Details der Folter, die die Männer Fischer antaten, erspare ich Ihnen an dieser Stelle.
Am Ende erdrosselten die Täter die Frau, wickelten sie unbekleidet in eine Decke ein und legten ihre Leiche hinter einen Müllcontainer im Hof des Wohnhauses. Ihr Motiv beim Mord: die Spuren der Folter verwischen und einer Anzeige entgehen. Dass Beate Fischer ermordet wurde, erfuhr ihr Ehemann, von dem sie getrennt lebte, erst aus der Zeitung, als er sie auf dort veröffentlichten Fotos wiedererkannte. Die Kinder des Paares waren damals vier und sechs Jahre alt.
Bei den Ermittlungen stellte sich nach und nach heraus, dass sich die Täter im rechtsextremen Milieu bewegten und einige von ihnen bereits zuvor gewaltbereit waren. Nachbarn berichteten von Partys in der Reinickendorfer Wohnung, bei denen Glasflaschen von dort aus auf Passanten geworfen worden sein sollen, von rechter Musik, die laut aus der Wohnung ertönte. Ermittler:innen war die Wohnung sogar als Neonazi-Treffpunkt bekannt.
Auch der Vermieter war den Behörden als Rechtsextremer bekannt, soll zum Tatzeitpunkt jedoch verreist gewesen sein. Einer der Täter lebte eine Zeit lang in einem von Neonazis besetzten Haus in der Lichtenberger Weitlingstraße (mehr dazu u. a. hier), andere bewegten sich in Kreisen rechter Wehrsportgruppen, Fußballhooligans oder bezeichneten sich selbst, wie es im psychiatrischen Gutachten heißt, als Nationalisten.
Die Täter wurden schließlich von der Mordkommission aufgrund von Zeugenaussagen gefasst oder stellten sich freiwillig. Der damals 19-jährige Mirko D. aus Lichtenberg wurde in der Wohnung seiner Eltern gefunden. Der ebenfalls 19-jährige Oliver P. aus Steglitz wurde von seinem Vater zur Kripo gefahren. Die beiden gestanden, am Mord beteiligt gewesen zu sein. Später wurden dann auch der damals 18-jährige Dirk G. aus Lichtenrade sowie der Haupttäter, der damals 22-jährige Matthias F. aus Reinickendorf, festgenommen. Matthias F. erhielt vom Berliner Landgericht eine lebenslange Haftstrafe. Den Mittätern verhängten die Richter zweimal die höchste Jugendstrafe von zehn sowie einmal neun Jahre in Haft.
Wie hängen extrem rechte Ideologie und tödliche Mysogynie, also Frauenfeindlichkeit, in diesem Fall zusammen? Im Gerichtsverfahren wird klar, dass sich die Täter nicht in erster Linie sexuell befriedigen wollten. In einem Tagesspiegel-Artikel vom 27. April 1995 heißt es: „Vor dem Hintergrund der sogenannten ‚Wolfmoral‘ der Neonazis hätten die Männer laut Gutachten ‚Sex als die Bühne ihrer Macht‘ gegen die hilflos ausgelieferte Frau benutzt.“ Im Urteil steht, dass die Täter wussten, dass es sich bei Fischer um eine Sexarbeiterin handelte: „Nach den Vorstellungen der Angeklagten gehörte sie damit einer Gruppe von Menschen an, die sie als ‚minderwertig‘ ansahen […] Wesentlich war es allen vier Angeklagten, ihre Dominanz zu demonstrieren und durch unterschiedliche Handlungen deutlich zu machen, dass sie Frau in ihrer Gewalt hatten und ihr überlegen waren.“
Letztlich wird die Tat allerdings als Verdeckungsmord gewertet. Bis zum Jahr 2018, als die Behörden einen weiteren Aspekt anerkennen. Dann nämlich unternimmt die Arbeitsstelle Jugendgewalt und Rechtsextremismus des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin eine Untersuchung, bei der die Wissenschaftler:innen zu dem Schluss kommen: „Der Fall sollte […] als politisch rechts klassifiziert werden.“ (Die aufwändige Analyse können Sie hier, bei Fall 6, nachlesen.) Auch der Tagesspiegel ist an den Recherchen beteiligt. Nach Veröffentlichung der Untersuchung meldet die Polizei den Fall von Beate Fischer – und fünf weitere – als rechtes Tötungsdelikt beim Bundeskriminalamt nach.
Am Samstag jährte sich Beate Fischers Todestag nun zum 28. Mal. Seit einigen Jahren wird unweit des Tatortes in der Emmentaler Straße dem Tod der 32-jährigen Frau gedacht, am vergangenen Wochenende still im kleinen Kreis durch die Gruppe Antifa Nordost (NEA). Diese brachte auch eine Gedenktafel mit (siehe Foto von der NEA oben), die sie allerdings wieder mitnahmen, „um eine Zerstörung zu vermeiden. Langfristig planen wir uns für eine Gedenktafel vor Ort einzusetzen, wie sie kürzlich auch für den ebenfalls von Faschisten ermordeten Dieter Eich in Berlin-Buch aufgestellt werden konnte“, heißt es dazu von der NEA.
Im nächsten Jahr wolle man wieder wie in den Vorjahren eine Kundgebung oder Demonstration zum Gedenken zusammen mit der Initiative „Niemand ist vergessen“ und anderen Gruppen organisieren.
- Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: lisa.weil@extern.tagesspiegel.de