Nachbarschaft

Veröffentlicht am 10.01.2024 von Valentin Petri

In einem kleinen roten Gartenzelt sitzt Manfred Moslehner, genannt Manne, inmitten der kleinen Häuser am Steinberg. Aus dem Garten des Hauses hinter ihm tönt Musik. Die Mietergemeinschaft der Siedlung, die liebevoll „Kleinkleckersdorf“ genannt wird, hat zum Neujahrempfang geladen. Bekannt sind die Mieter auch als „gallisches Dorf“ im Berliner Norden.

Die Häuser in der denkmalgeschützten Siedlung waren 2010 von der Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft gekauft worden. Nach umfassender Modernisierung will diese die kleinen Häuschen als „Stonehill Gardens“ weiterverkaufen – offenbar für stattliche Preise. Seitdem wehren sich die Mieter seit Jahren gegen die Maßnahmen und fürchten Verdrängung.

Dort, wo Moslehner an diesem Abend sitzt, ist „Dauerdemo seit 3.800 Tagen“. So steht es auf einem Schild am Garteneingang. Zum 1. November letztes Jahr sollte der 84-Jährige seine Wohnung räumen. Seit seiner Geburt lebt er in dem Haus. Die Entwicklungsgesellschaft hatte ihm fristlos gekündigt. Der Mieter habe sich Modernisierungsmaßnahmen verweigert, hieß es damals in dem Anwaltsschreiben. Nach einem Urteil des Landgerichts von 2021, sei er verpflichtet, die Modernisierungsmaßnahmen zu dulden. Auf eine Anfrage des Tagesspiegel erfolgte im November seitens der Anwälte der Entwicklungsgesellschaft keine Reaktion.

„Die finden immer etwas Neues, womit sie mich rausbekommen wollen“, sagt Moslehner. Die Mieterhöhung, geschweige denn der Kaufpreis, sei für ihn nicht bezahlbar. Er wohnt weiterhin in seiner Wohnung. Im März steht der nächste Gerichtstermin an.

Früher hat er als Maschinenschlosser gearbeitet, hat Theaterstücke geschrieben. „Aber die wollte keiner aufführen“, meint er schmunzelnd. Er wirkt müde. Ihm gegenüber thront ein schwarzer, bulliger Ofen, an dem er sich gegen die eisige Januarkälte wärmt. Er macht Kreuzworträtsel, um da oben fit zu bleiben, sagt er und tippt auf seine Stirn. Zum Foto hebt er nochmal die Faust.

Im Garten hinter dem Protestzelt ist es bunt beleuchtet. Ein gutes Dutzend Anwohner, Mieter und Gäste tummeln sich auf dem Rasen und im Wintergarten. In dem Haus mit der prophetischen Adresse „Kehrwieder 1“ wohnt Hartmut Lenz. Wenn die Steinbergsiedlung ein gallisches Dorf ist, ist er der Häuptling, der für die Mieter spricht und kämpft.

Schon seine Mutter, die zuvor in dem Haus wohnte, galt als Rebellin für die Rechte der Mieter. Die Linke machte einst mit ihren Fotos Bundestagswahlkampf. „Sie hat immer SPD gewählt, aber der Gysi wollte sie trotzdem auf dem Plakat haben.“, erzählt Lenz.

Die Entwicklungsgesellschaft habe Moslehner nun zur Durchsetzung der Zwangsräumung verklagt, erklärt Lenz vor den versammelten Gästen im Garten. Die Angaben der Entwicklungsgesellschaft seien „hanebüchen“. Moslehner habe aktiv daran mitgearbeitet die Modernisierungspläne der Entwicklungsgesellschaft zu ermöglichen.

Auch andere Mieter in der Siedlung sollen ihre Wohnungen während der Modernisierungsmaßnahmen räumen. Bis Ende Januar sollen sie laut Lenz bekannt geben, ob und welchen Ersatzwohnraum sie gefunden haben. Die Entwicklungsgesellschaft will die Kosten für die Ersatzwohnungen während der Bauzeit übernehmen.

Trotzdem glaubt Lenz: „Das ist ein Rauswurf durch die Hintertür.“ Doch er will den Widerstand fortsetzen. Jetzt gelte es, Manne bei seinem Gerichtstermin am 11. März zu unterstützen.

  • Fotos: Valentin Petri