Nachbarschaft
Veröffentlicht am 24.07.2024 von Valentin Petri

Wer das Warenhaus vom Sozialprojekt Reinickendorf Ost betritt, findet sich in einem überdimensionierten Wohnzimmer wieder. In dem Haus an der Roedernallee stehen dichtgedrängt dutzende Sofas, Sessel, Tische und Regale. Es ist irgendwie gemütlich. Man möchte sofort Probesitzen.
In den zwei aneinandergrenzenden Verkaufsräumen gibt es fast alles zu kaufen, das es für einen Haushalt braucht: Kleidung, Schuhe, Geschirr, Küchengeräte, Bücher, Spiele und Möbel. Alle Waren sind gespendet und werden für kleines Geld verkauft.
„Wir behandeln die Menschen, die zu uns kommen, als geschätzte Kunden, nicht als Bittsteller oder Leistungsempfänger“, sagt Christian Schultze (im Foto links), der zusammen mit Frank Zwiener (im Foto rechts) dem Trägerverein des Sozialkaufhauses vorsteht. Wichtig sei, dass die in einem guten und ansehnlichen Zustand sind, erklärt der evangelische Pfarrer. „Den würde ich mir auch selbst in die Wohnung stellen“, sagt Schultze und deutet auf einen Tisch.
Das Warenhaus ist ein Treffpunkt im Kiez. Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen kommen hier zusammen. Seit der Corona-Pandemie ist die Nachfrage für die Gebrauchtwaren erheblich gestiegen, berichtet Zwiener, der für einen Bundestagsabgeordneten arbeitet. „Auch Leute, die früher nicht zu uns gekommen sind, kaufen jetzt bei uns ein.“
Der Name des Sozialprojekts ist ein Überbleibsel aus der Entstehungszeit. Das Sozialwarenhaus hatte die pensionierte Religionslehrerin Gertrud Mayer einst in der Weißen Stadt eingerichtet, um dort zunächst gebrauchte Kinderkleidung anzubieten. Im Jahr 2011 gründeten Mitglieder der Luther-Kirchengemeinde Alt-Reinickendorf rund um Pfarrer Schultze und Frank Zwiener den Trägerverein, um das Projekt fortzuführen.
Einige Jahre später wollte der Eigentümer, die Deutsche Wohnen, die Räumlichkeiten in der Aroser Allee anderweitig nutzen. In Wittenau fand das SOPRORO ein neues, größeres Zuhause. Früher war in dem Haus mal ein Kino. Der Umzug in die Roedernallee sei ein ungewollter Glücksfall gewesen, erklärt Zwiener. „Wir konnten uns hier ganz anders entwickeln.“ Die Verkaufsfläche konnte erheblich vergrößert werden. Die Verkehrsanbindung ist gut. Viele Kunden kommen aus dem nahen Märkischen Viertel.
In den neuen Räumen wuchs das Sortiment immer weiter an. Die Möbelabteilung kam hinzu. Sperrige Einrichtungsgegenstände werden heute bis nach Hause geliefert, für einen kleinen Aufpreis auch über den vierten Stock hinaus. Seit Kurzem bietet das Team vom SOPRORO ganze Wohnungsauflösungen zum geringen Preis an. Nachdem das gegenüberliegende Postamt geschlossen wurde, eröffnete die DHL im Kaufhaus eine eigene Postfiliale.
Die jüngste Errungenschaft ist die Vintageecke in der Modeabteilung. Eine Reaktion auf den Trend zum Retro-Look, der innerhalb des S-Bahn-Rings vor allem junge Menschen zuhauf in Gebrauchtwarenläden treibt. Der alte Fotoapparat, die Platten oder das 80er-Hemd sind auch im SOPRORO-Kaufhaus ein paar Euro teurer eingepreist als sonst, aber immer noch deutlich erschwinglicher als in den gentrifizierten Trendshops.
„Es ist nicht so, dass uns die Leute aus Prenzlauer Berg und Mitte die Bude einrennen“, meint Schultze trocken. Hauptzielgruppe seien weiterhin Menschen, die nicht genug Geld haben, um sich neue Sachen zu kaufen. Nachhaltigkeit spielte beim SOPRORO schon eine Rolle, als das Thema noch nicht in aller Munde war.
Das Warenhaus leiten zwei hauptamtliche Geschäftsführer. Mehrere Dutzend Beschäftigte arbeiten im Verkauf, sortieren die gespendeten Waren oder liefern das Erworbene an die Kunden aus. Es ist eine bunte Mischung: Einige waren lange arbeitslos, bessern ihre schmale Rente auf, viele helfen ehrenamtlich, andere leisten Sozialstunden. Die meisten seien Menschen, die auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätten, erklärt Schultze.
Auch darüber hinaus möchte das SOPRORO im Bezirk und der Gesellschaft präsent sein: Zum 80. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler haben Mitarbeiter aus dem Warenhaus sich künstlerisch mit dem 20. Juli 1944 auseinandergesetzt und Bilder gestaltet. Die kleine Ausstellung ist im hinteren Teil der Möbelabteilung zu sehen.
Dass die Zeiten schwieriger werden, bekommt auch das Sozialwarenhaus zu spüren. In diesem Jahr hat sich die Miete schlagartig verdoppelt. Jetzt sucht der Verein nach Lösungen, um das zu stemmen. Spenden sind gerne gesehen. Kunden helfen am meisten, sagt Zwiener. „Die Räume sind für uns ideal.“ Ein Umzug kommt deshalb nicht infrage. Aufgeben noch weniger. Aber auch Pfarrer Schultze meint: „Es wird verdammt schwer.“
- Roedernallee 88-90, 13437 Wittenau.
- Mehr Infos über das SOPRORO Sozialwarenhaus hier.