Nachbarschaft

Veröffentlicht am 15.01.2025 von Valentin Petri

Auf dem Reiterhof am Rande Tegels scheint die Großstadt plötzlich weit weg. Hinter einem grünen Tor am Waidmannsluster Damm geht es leicht den Hang hoch, dahinter beginnen die Stallungen.

Die einfachen Holzbauten strahlen ländliche Gemütlichkeit aus. Auf einer Schubkarre dampft Heu in der klirrenden Winterkälte, es riecht angenehm unaufdringlich nach Mist. Nur das Grundrauschen des Feierabendverkehrs auf dem Waidmannsluster Damm und der nahen Autobahn erinnert an die Großstadt.

Straßenlärm seien die Tiere gewöhnt, erklärt Sandra Ehlers vom Ländlichen Reiterverein Tegel. „Dass unsere Pferde den ganzen Tag draußen stehen, ist schon etwas Besonderes.“ Auf einer kleinen schlammigen Koppel steht ihr Pferd Hanna. Auf dem geduldigen Rücken der Stute haben schon viele Kinder reiten gelernt.

„Schulpferde müssen sehr nervenstark sein“, erklärt Ehlers fröhlich. Nicht alle Tiere akzeptieren die wechselnden Reiter auf ihrem Rücken. Das braucht jahrelanges Training.

Seit gut 40 Jahren gibt es den LRV Tegel. Heute ist der Hof einer der letzten seiner Art im Bezirk. Ein, zwei Mitarbeiter und die Trainer, ansonsten kümmern sich die knapp 100 Vereinsmitglieder ausschließlich ehrenamtlich um die Pferde und den Reitbetrieb. Oft helfe die ganze Familie mit, sagt Ehlers. Vor Reitinteressenten kann sich der Verein kaum retten. Rund 300 Menschen stünden auf der Warteliste, schätzt die hauptberufliche Steuerberaterin.

Trotzdem könnte es mit dem Stückchen Landleben im Bezirk bald vorbei sein. Und das sehr viel schneller als gedacht.

Ab 2027 soll auf dem großen Gelände ein Förderzentrum mit sonderpädagogischem Schwerpunkt für Geistige Entwicklung (GE) entstehen. „Eine GE-Schule ist eine besonders große Schule, weil wir da sehr viel mit mobilitätseingeschränkten Kindern zu tun haben“, erklärte Schulstadtrat Harald Muschner (CDU) vergangene Woche im Rathaus. Breite Wege und Türen, bestimmte Raum- und Toilettengrößen seien notwendig. Deshalb brauche der Bezirk das gesamte Gelände am Waidmannsluster Damm.

Im Ergebnis müsste der Verein also das ganze Grundstück von etwa 12.000 Quadratmetern räumen und das auch schon zum Jahresende. Denn das Bezirksamt will das Jahr 2026 dafür nutzen, um die Fläche für die anstehenden Bauarbeiten vorzubereiten. Wann genau die Baumaßnahmen im Jahr darauf losgehen sollen, sei noch nicht bekannt. Deshalb plane man lieber großzügig, erklärte Muschner im Bezirksparlament.

Es ist eine knifflige Situation: Dem Bezirk fehlen bis 2030 rund 300 Förderschulplätze, rechnet der Stadtrat. Die Schule am Waidmannsluster Damm könnte gut 170 Kinder unterbringen. Weitere Schulplätze sollte eigentlich der Neubau in der naheliegenden Rue Racine bringen. Doch das Bauvorhaben hat der Senat im Rahmen der Haushaltskürzungen auf Eis gelegt, „fast abmoderiert, muss man ja sagen“, erklärte Muschner zerknirscht.

Insofern ist die Schulplatzsituation für GE-Kinder im Bezirk nun noch angespannter als ohnehin schon. „Es ist nicht nur eine Herausforderung. Es ist ein Problem“, bemerkte der Stadtrat, der nicht gerade dafür bekannt ist, in Alarmismus zu verfallen.

„Wir verstehen völlig, wenn hier eine Schule herkommt, das haben wir immer gewusst, dann aber nicht mit so einer kurzfristigen Hauruckaktion, sondern sauber und ordentlich“, erklärt Sandra Ehlers vom Reitverein. Dass sie aber die gesamte Fläche räumen müssten, davon sei lange Zeit keine Rede gewesen. „Kommuniziert war bei den Gesprächen, dass wir zum 31.12.2026 raus müssen“, sagt sie. Kurz nach Weihnachten sei dann die Kündigung zum 31.12.2025 eingetrudelt.

„Wir sind auch bereit, uns konzeptionell anzupassen und zu schauen, wo wir uns verkleinern“, erklärt die Schatzmeisterin. Ein Vereinskollege würde gerne therapeutisches Reiten anbieten. „Da wären wir offen, auch für eine Kooperation mit einer Schule.“ Ein Umzug zum Jahresende sei für den Verein nicht aus eigenen Mitteln zu stemmen.

Ein neues Grundstück im Bezirk zu finden, gestaltet sich ohnehin schwierig. In Lübars steht zwar ein ganzer Reiterhof zum Verkauf. Die etwa 6,5 Millionen Euro kann der LRV Tegel erklärtermaßen aber auf keinen Fall aufbringen.

In direkter Nachbarschaft gibt es noch eine Lagerfläche für Bioabfälle. „Das wäre eine echte Alternative gewesen“, sagt Ehlers. Doch das Straßen- und Grünflächenamt habe das Grundstück nicht abtreten wollen. Schlimmstenfalls müsste der Reitverein sich auflösen oder ins Umland ziehen.

Dann müssten die Eltern aber einen Fahrdienst einrichten. Wegen der guten ÖPNV-Anbindung in Tegel können Kinder bisher selbstständig zum Hof kommen. „Reiten soll nicht nur für die erschwinglich sein, die in der oberen Liga unterwegs sind“, sagt Ehlers. Kampflos aufgeben kommt für sie nicht infrage. „Alles, was jetzt von uns gefordert wird, ist völlig utopisch.“

Auch Schul- und Sportstadtrat Muschner und sein Amt sind offenbar ratlos. Ein geeignetes neues Zuhause für den LRV Tegel ließ sich bisher einfach nicht finden, sagte er schulterzuckend im Rathaus. „Wenn jemand einen guten Tipp hat …“

  • Mehr Infos über den Reiterverein Tegel finden Sie unter www.lrvtegel.de.