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von Robert Klages
Veröffentlicht am 09.07.2019
was der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke in Hessen durch den Neonazi und mutmaßlichen Täter Stephan Ernst mit Lokalpolitik zu tun haben könnte? Also, der Reihe nach: Lokalpolitikerinnen und -politiker machen das nicht hauptberuflich, sondern gehen Lohnarbeiten nach. Arndt Meißner (CDU) und Jens Hofmann (SPD) sind zum Beispiel Polizisten, wie ich letztens in einem Artikel schrieb – da ging es darum, dass die AfD ein Konzert der Band „Feine Sahne Fischfilet“ untersagen wollte. Bei Hofmann stimmt die Bezeichnung nicht ganz, denn er war mal Kriminalbeamter und arbeitet nun beim Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) im Referat für „Terrorismus, Extremismus rechts/links, politisch motivierte Gewalttaten“. Da musste ich mich doch mal mit ihm unterhalten:
„Der Verfassungsschutz soll alles wissen, aber niemand will überwacht werden“, sagt Hofmann. Auch er sei gegen den Überwachungsstaat. Hofmann ist in Hessen aufgewachsen, nahe Kassel. Zu dem dortigen Mordfall sagt er: „Warum hätten wir Stephan Ernst auf dem Schirm haben sollen? Bei allen erdenklichen Maßnahmen, das wäre nicht möglich gewesen.“ Im Dezember 1993 hatte Ernst einen Bombenanschlag auf eine Unterkunft von Asylbewerbern bei Wiesbaden vorbereitet. Er habe sich aber 2005 zurückgezogen, 2009 einen Stein auf einen Polizeibeamten geworfen, berichtet Hofmann.
„Dass er sich zehn Jahre später nochmal so radikalisiert, wie will man das erkennen?“, sagt Hofmann dann. Er ist da wohl ganz auf einer Linie mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der jüngst sagte, er sehe keinerlei Anlass für einen grundsätzlichen Umbau der Behörden. Diese seien keinesfalls blind auf dem rechten Auge. Man könne nicht jedes Verbrechen verhindern.
Auch die derzeit 12.700 bekannten gewaltbereiten Rechtsextremen könne der Staat nicht überwachen, meint Hofmann weiter. Man habe aber aus dem Fall aus Hessen gelernt. Seehofer will mit mehr Personal die „Analysefähigkeit“ der Polizeien und Nachrichtendienste des Bundes beim Thema Rechtsextremismus stärken. Das gilt auch für die Überwachung rechtsextremer Umtriebe im Internet, vor allem bei den sozialen Netzwerken. Auch ein „Frühwarnsystem“ für Rechtsextremisten wurde bereits ins Spiel gebracht – von der SPD.
Der Neonazi Ernst hatte in einem ersten Geständnis, dass er später zurückzog, zu seinem Motiv angegeben, Lübckes Rede auf einer Veranstaltung 2015 gehört zu haben. Wegen Proteste gegen den Bau eines Flüchtlingsheims hatte der Politiker damals auf christliche Werte hingewiesen: „Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Das Bürgerhaus, in dem Lübcke die Rede hielt, liegt zwei Kilometer von Ernsts Wohnhaus entfernt. Die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge sollte damals rund einen Kilometer von seinem Haus entfernt entstehen. Die Sicherheitsbehörden fanden heraus, dass Ernst in Chats mit anderen Rechtsextremisten Lübckes Auftritt als Beleg für die Behauptung sah, das deutsche Volk solle durch Ausländer ersetzt werden.
Da sind wir in der Lokalpolitik. Hofmann findet, die Lokalpolitikerinnen und -politiker sollten wieder zu mehr Sachlichkeit finden und den Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass von Geflüchteten keine Gefahr ausgeht, dass der Bau einer Unterkunft notwendig sei und niemanden dadurch etwas genommen werde etc. So eine emotionale Aussage wie die von Lübcke könne dazu führen, dass sich ein Neonazis sagt: da muss ich was machen. Nun möchte Hofmann damit nicht sagen, dass Lübcke selbst Schuld sei oder so etwas. „Aber ich hätte so einen unsachlichen Satz so nicht geäußert.“
Der Anfang der Radikalisierung liege in der Verrohung der Sprache – auch in der Bezirksverordnetenversammlung Spandau (BVV) sei es ja abwertender und persönlicher geworden in den Debatten.
Generell könne „die Überschreitung von sprachlichen Grenzen schwerwiegendere Folgen haben als wir denken“, schreibt Hofmann auch auf seinem Blog. „Eine Lösung des Problems sehe ich kaum. Mehr Bildung und ein stetig höflicher Umgang miteinander, um möglichst viele gute Beispiele für ein höfliches Miteinander zu schaffen, sind die einzigen Mittel, die mir einfallen.“
Dass es manche Sätze von Politikerinnen und Politikern sind, die Rechtsradikale zu solchen Taten motivieren können, findet auch Sascha Lobo, allerdings etwas anders als Hofmann. Auch Lobo stellt die Frage, „ob nicht auch die verbale Gewalttätigkeit gesellschaftlicher Debatten dazu beitragen kann, wenn sie sich bis in höchste Kreise zieht.“ Und hier zitiert Lobo nun Hofmanns Chef beim BMI: Horst Seehofer. Dieser sagte 2011: „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone.“ Lobo dazu: „Man muss die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass eine von diesen Patronen Walter Lübcke traf.“ Damit wären wir wieder raus aus der Lokalpolitik.
Und was sagt der BMI-Mann Hofmann zum Verhältnis Links-und Rechtsextremismus? Im Rechtsextremismus gebe es eine breite Musikszene mit Festivals, wie sie sich in der linken Szene nicht finde. Die AfD hält er für ganz klar rechtsradikal. Teile der Partei – und alle anderen sind halt Teil dieser Partei. Auch und besonders durch die AfD schleiche sich rechtes Gedankengut ein in die Gesellschaft.
Und natürlich gebe es auch Rechte in der Polizei oder der Bundeswehr. „Auch Menschen, die für den Staat arbeiten, können sich radikalisieren.“ Es sei „logisch“, dass zum Beispiel Polizisten, die jeden Tag im kriminellen Ausländermilieu arbeiten, einen Hass auf Ausländer entwickeln könnten. Schnell werde dann verallgemeinert und Ausländer als feindlich eingestuft.
„Das ist natürlich eine Erklärung, kein Grund“, fügt Hofmann hinzu. Er findet, Polizeibeamte sollten öfter die Arbeitsgebiete und Kollegen wechseln – zudem sollte es eine eigene Beratungsstelle geben für rassistische Vorfälle in der Gruppe. Dieser „schleichende Rechtsextremismus“, der in einem Graubereich innerhalb von Polizeibehörden auftrete, müsse endlich soziologisch fundiert geprüft werden und die Forschungsergebnisse zu Maßnahmen führen, die Rechtsextremismus in Behörden wirksam verhindert.
Auch im Fall des islamistischen Attentäters Anis Amri sieht Hofmann wenig Schuld bei den Behörden. Amri sei zunächst überwacht worden, aber er habe gesoffen und Frauen besucht. „Die, die sich radikalisieren, saufen eigentlich nicht.“ Amri habe sich nicht so verhalten, wie es in das Profil eines islamistischen Attentäters passte. Diese würden eher streng-gläubig leben.
Meinungen, Entgegnungen, Zuspruch etc. zu dem, was Hofmann hier sagt, gerne an uns schicken. Nun geht es weiter mit dem Hyperlokalen.
Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden.