Intro
von André Görke
Veröffentlicht am 18.08.2020
Es ist die traurigste Nachricht der Woche. Zwei Menschen sind tot, gestorben bei Unfällen in Berlin-Spandau. Beide an einem Tag, kurz hintereinander. Beide nur 1000 Meter voneinander entfernt.
Der erste Unfall geschah kurz nach 11 Uhr in der Wilhelmstadt. Ein 25-Jähriger fuhr mit seinem Transporter über das Kopfsteinpflaster der Brüderstraße und wollte die Pichelsdorfer Straße überqueren. Dabei rammte der Mann mit seinem Wagen eine Frau, 66 Jahre alt, die gerade zu Fuß ihr Fahrrad über die Brüderstraße schob. Sie kam noch in ein Krankenhaus, starb dort aber wenig später. In der Kiezstraße gilt Tempo 30.
Der zweite Unfall geschah kurz danach vor dem Rathaus. Der wird uns hier im Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel noch länger beschäftigen – und es gibt offene Fragen. Um 13.50 Uhr bildete sich plötzlich ein Stau, Polizeiautos schossen aus allen Ecken und sperrten die Kreuzung. Ein Hubschrauber flog kurz danach übers Rathausdach und landete vor dem S-Bahnhof. Ein Mensch lag unter einem Auto.
„Das Opfer ist eine Frau, 82 Jahre alt“, teilte mir die Berliner Polizei gerade eben mit. Eine 59-Jährige hatte sie beim Rechtsabbiegen aus der Seegefelder Straße in die Klosterstraße gerammt und mit ihrem Auto überfahren – das Fahrrad klemmte noch unter dem Wagen. „Die Seniorin erlitt schwerste innere Verletzungen und verstarb trotz eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen noch am Unfallort.“
Der Unfallhergang ist allerdings nicht ganz eindeutig und wird von der Polizei noch ermittelt. Die Radfahrerin kam vom Altstädter Ring, also von links, und war auf dem Radweg nach Süden unterwegs. Offen ist daher die Frage: Ist dort eine der beiden bei Rot gefahren?
Berlins größter BVG-Busknoten kam zum Erliegen. Auch in weit entfernten Ortsteilen wie Kladow, Staaken und Hakenfelde fielen Busse aus, weil die alle am Rathaus feststeckten. Erst nach eineinhalb Stunden hob der Rettungshubschrauber ab; die Ermittler der Berliner Polizei rückten mit ihren Spezialdrohnen an. Kurz vor 18 Uhr rollte der Verkehr wieder. Die Frau aber ist tot.
Kann diese zentrale Kreuzung sicherer werden? 18 Unfälle gab es auf dieser Kreuzung im letzten Jahr, sechs davon mit Schwerverletzten (und nur drei davon übrigens in der Dunkelheit): Das ist die Bilanz der Verkehrsunfall-Analyse 2019 hier im Tagesspiegel. Willi Loose vom Fahrrad-Netzwerk Spandau nennt die Ecke in der Bezirksanalyse eine „Gefahrenstelle“.
Diese Kreuzung (und die benachbarte vor den Arcaden) ist unbeliebt bei Radfahrern und Fußgängern, weil sie hektisch ist und überall Autos um die Ecke kommen können. Autofahrer mögen die Kreuzung auch nicht. Viele haben Probleme, weil die Straßen im Ost-West-Verkehr schräg versetzt sind und Autos in den Gegenverkehr geraten können (hier eine Ansicht).
Seit 25 Jahren, erinnern sich Kommunalpolitiker, wird über diese hässliche Ecke geredet. Damals entstand der große Bahnhof zwischen Arcaden und Altstadt. Als Problem haben viele die Seegefelder Straße identifiziert, die eigentlich geschlossen gehört zwischen Galenstraße und Rathaus. Dann würde dort ein sicherer Bahnhofsvorplatz zwischen BVG-Knoten und S-Bahnhof entstehen, den beispielsweise nur Busse passieren dürfen. Die Kreuzung mit nur drei Straßenzügen würde übersichtlicher. Diese Debatte wird kommen und im Rathaus längst geführt. Passen Sie jetzt mal genau auf.
„Wir wollen und werden die Seegefelder Straße abbinden und einen echten Bahnhofsvorplatz planen und bauen lassen, damit das Chaos rund um Bahnhof und auf den Kreuzungen aufhört oder zumindest weniger gefährlich wird. Der Altstädter Ring ist ein Relikt der 60-er Jahre mit dem Ansatz der autogerechten Stadt. Darunter leidet der Bezirk bis heute.
Die Straße teilt Spandau, ist gefährlich, laut, stinkend und packt – trotz der teilweise 10 Spuren – den Verkehr nicht, weil es an den Knoten knarzt. Zumindest am Bahnhof soll das besser werden. Dass damit eine bessere Anbindung der Altstadt an Bahnhof und Arcaden einhergeht, ist klar.“
Diese Passage stammt von einem, der Spandaus Verkehr so gut kennt wie kaum ein anderer und ein Befürworter eines sicheren Bahnhofsvorplatzes ist. Sein Name ist Jochen Liedtke, SPD, Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Er fährt täglich mit dem Fahrrad von Hakenfelde nach Friedrichshain. Diese Worte sagte er aber nicht heute im August 2020 – sondern im August 2019, vor genau einem Jahr. Diese Debatte wird weitergeführt werden müssen. Hoffentlich schneller.
Am Mittwoch, 17.30 Uhr, wird erst einmal getrauert. Am Nachmittag ist am Unglücksort vor dem Bahnhof eine Mahnwache geplant. Dort werden sich viele Bürgerinnen und Bürger treffen. Anschließend, so der Plan, wollen die Teilnehmer gemeinsam zur Pichelsdorfer Straße radeln und auch dort an die Tote erinnern. Die Antragsunterlagen liegen gerade bei der Polizei und wurden jetzt bestätigt. – Text: André Görke
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Dieser Text erschien zuerst im Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau. Die Tagesspiegel-Newsletter für die 12 Berliner Bezirke gibt es kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de.
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