Intro

von Robert Klages

Veröffentlicht am 30.03.2021

ich will den Dschungel zurück. Das Pressen der Espresso-Maschinen, das Schreien der Gemüsehändler, das Löffelgekratze in türkischen Tees, das Aufploppen von Bieren. Gedränge, volle S-Bahnen, Kinder, die aus der Schule stürzen, ein Bus, der Touristen ausspuckt, Wiesen, die an Festivals erinnern. Später das Gelaber des Besoffenen an der Theke, ein Obdachloser, der versucht, mich zu umarmen. Angeheiterte Kleingruppen, die fragen, wo es zum Berghain geht. Neben fremden Menschen zu schwerem Bass schweben bis in den Morgengrauen.

Ich wünsche mir das alles zurück, den Lärm und das Gedränge der Großstadt. Wenn es zurück ist, wird es mich vielleicht wieder nerven, aber jetzt gerade vermisse ich es. (Den Autolärm, den vermisse ich nicht – auch, weil es ihn trotz der Coronapandemie gibt, obwohl es weniger Autos sind.)

Es ist ein anderes Leben, ein anderer Lärm in der Pandemie. Manche sitzen in der Küche am Notebook und versuchen, sich zu konzentrieren, während ein Stockwerk darüber die Familie versucht, die Kinder im Zaum zu halten, die gar nicht oder nur halbtags in die Schule können. Ein Blick aus dem Fenster: Andere Kinder sind den ganzen Tag draußen, streunen über die Spielplätze. Vor der Haustür quellen die Mülltonnen über, zu viel Verpackung von all den Online-Bestellungen zu Ostern.

Diese „soziale Mischung“, wie man so sagt, birgt eine Großstadt in sich, besonders Berlin. Was ist akzeptabel, was nicht? Was muss man ertragen, was nicht? Wir leben Wand an Wand ohne uns richtig zu kennen. Wir müssen uns respektieren, darauf achten, miteinander klarzukommen. Das scheint nicht immer leicht zu sein. Wie oft habe ich die Kinder in der Wohnung über mir verflucht, wenn sie rumtrampeln, so, wie jetzt gerade, während ich diesen Text hier schreibe in meinem Homeoffice aka meiner WBM-Mietwohnung in einem Plattenbau in Berlin-Friedrichshain.

Aber wenn ich die Kinder treffe, wie sie durch den Hausflur springen, dann kann ich ihnen nicht böse sein. Und ich habe selbst Kinder und frage mich, ob es den Leuten unter meiner Wohnung manchmal geht wie mir. Das nette Rentnerehepaar unter mir hat sich erst einmal leicht beschwert, aber nicht über meinen Sohn, sondern über meine Workouts. Seitdem mache ich Sport ohne Springen, damit in der Wohnung unter mir keine Deckenlampe runterfällt.

Dann ereilte mich der Ruf aus Spandau, ab zu den Pepitahöfen, dem neuen „sozialen Brennpunkt“ des Bezirks, wie einige Bewohnerinnen und Bewohner des Neubaugebiets sagen. Also habe ich das Rad gesattelt und bin hin. Denn von dort drängen massive Klagen zu uns in den Newsletter, wie letzte Woche berichtet: Krach, Dreck, Falschparker, Bedrohungen. Was ist dran, was ist da los? Bitte lesen Sie weiter in der Rubrik „Nachbarschaft“.

Robert Klages ist freier Journalist beim Tagesspiegel und schreibt für gewöhnlich den Lichtenberg-Newsletter, vertritt hier im Spandau-Newsletter aber immer gerne. Schreiben Sie ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf FacebookTwitter und Instagram zu finden. Satirische Kurzgeschichten von ihm können Sie auf robert-klages.de lesen.