Kiezkamera

Veröffentlicht am 18.06.2019 von André Görke

Ein Spandauer Leben an der Scharfen Lanke. Diese Fotos verdanken wir Jörg Sonnabend, 85. Er hatte neulich Geburtstag, lebt in einem Seniorenwohnhaus in Siemensstadt und ist fleißiger Newsletter-Leser. Das obere Foto entstand 1952 – achten Sie mal auf die karge Sanddüne im Hintergrund; die ist heute voll bewachsen. Vorn ist die alte Werft zu sehen, wo gerade ein Boot ins Wasser gelassen wird.

„Geboren wurde ich 1934 und zwar in Berlin-Kreuzberg, aber 1939, als ich fünf Jahre alt war, zogen meine Eltern mit mir nach Spandau. Meine Eltern bekamen beide eine Arbeitsstelle auf der Naglo-Werft – so hieß die Lanke-Werft bis 1940 – , mein Vater als Motorenschlosser und meine Mutter als Buchhalterin. Von 1950 bis 1953 absolvierte ich eine Lehre als Werkzeugmacher bei der AEG, machte aber später eine Ausbildung als Fertigungsingenieur an der „Beuth-Schule“. In der Berliner Industrie arbeitete ich bis 1995 als Ingenieur.“

„Keine Hitlerbilder im Klassenzimmer am Földerichplatz“. Sonnabend erzählt aus seiner Spandauer Kindheit: „1940 wurde ich eingeschult: 5. Volksschule, Adamstraße, heute Christoph-Földerich-Schule. Wenn ich heute immer lese, die Kinder wurden während des Dritten Reiches in der Schule politisch gedrillt, so traf das auf unsere Schule nicht zu. In den Klassen hingen keine Hitlerbilder, das einzige Hitlerbild hing im Rektor-Zimmer. Auch sonst war der Unterricht normal. Natürlich musste die gesamte Schule bei Ferienbeginn zum Fahnenappell antreten, dann mussten wir den rechten Arm zum Gruß erheben und es wurde das Deutschlandlied und anschließend das Horst-Wessel-Lied gesungen. Da konnte einem schon der Arm lahm werden und die Versuchung war groß, die Hand auf der Schulter des Vordermannes abzustützen (…) Durch Wasser, Wald und Haveldüne waren wir immerhin besser dran als die Spandauer Innenstadtkinder, die in den Ruinen spielen mussten. Unsere Eltern achteten darauf, dass wir wegen der Havelnähe früh Schwimmen lernten.“

Die zwei Pferde im Südpark. Achten Sie mal auf die Postkarte unten rechts. Was ist das, Herr Sonnabend? „Das ist eine Aufnahme der ehemaligen Pferdegruppe aus dem Südpark. An dieser Pferdegruppe führte mich in den 40er Jahren immer mein Schulweg vorbei. Leider wurden diese Bronzepferde im Krieg abgebaut und eingeschmolzen, zu Rüstungszwecken.“ Bei Wikipedia steht: Vorbild waren Kaltblüter der Schultheiss-Brauerei; die Skulptur stand ursprünglich im Hof des Roten Rathauses. 1942 wurden sie im Südpark abgebaut.

Foto unten links: Wo war das „Restaurant Weinmeisterhorn“? „Das große Gartenrestaurant Roske befand sich, wenn Sie die Scharfe Lanke Richtung Lanke-Werft laufen, hinter dem “Grundbesitzerverein Weinmeisterhorn”, noch vor dem Restaurant „Blau-Rot“. Die Scharfe Lanke macht dort einen kleinen Knick. Heute ist dort ein Parkplatz“ – hier eine Satellitenaufnahme. Sonnabend erzählt: „Die Besitzer waren Richard und Ottilie Roske. Die Roskes wohnten am Weinmeisterhornweg, nähe Falstaffweg. An dem Haus ist heute noch die Inschrift “Villa Ottilie” zu lesen. Im Tanzsaal von Roske waren während des Krieges ca. 20 Holländische Fremdarbeiter untergebracht, die auf der Lanke-Werft  arbeiteten. Ich weiß allerdings nicht, ob die freiwillig hier waren, sie bekamen jedenfalls Lebensmittelkarten und auch Zeitungen und Briefe aus der Heimat. Wir Kinder hatten guten Kontakt zu ihnen, bekamen Holländische Briefmarken und versuchten die Holländische Zeitung zu lesen. Das Restaurant, das ein kompletter Holzbau war, wurde 1944 durch einen Bombentreffer vollkommen zerstört.“ – Die gekürzten Texte haben wir den persönlichen Erinnerungen von Jörg Sonnabend entnommen. – André Görke

  • Mehr Fotos aus alten Spandauer Tagen zeigt Ihnen Jörg Sonnabend unter diesem Tagesspiegel-Link. Immer im Mittelpunkt: die Scharfe Lanke.
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    Diesen Text haben wir als Leseprobe dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau entnommen. Den Spandau-Newsletter, den wir Ihnen einmal pro Woche kompakt mailen, können Sie ganz unkompliziert und kostenlos bestellen unter leute.tagesspiegel.de