Kiezkamera
Veröffentlicht am 28.01.2020 von André Görke

Das Spandau-Rätsel vom Altstädter Ring. Letzte Woche zeigte ich Ihnen ein Foto vom Rathausturm in Berlin-Spandau, aufgenommen 1967 – hier ist es. Das Bild stammt aus dem Spandau-Museum auf der Zitadelle. Vieles habe ich erkannt, eines wusste ich nicht: Was ist das für ein Haus, das da auf dem heutigen Parkplatz an der Moritzstraße stand? Die Frage reichte ich weiter an Sie, die Leserinnen und Leser. Und ich bekam Post, sehr viel Post.
80 (!) Leserbriefe: „Es ist das Kino Bio“. Ich bekam Mails ohne Ende, sogar aus Österreich, Fotos und Anekdoten – ich war ganz begeistert. Vielen lieben Dank! Deshalb greife ich das Thema gleich noch mal auf. Hier finden Sie eine Ansicht, wie es dort heute aussieht. Viele Leser wiesen mich auf einen Film von Frank Halverscheid hin, der aus vielen alten Spandau-Bildern einen wirklich tollen Youtube-Streifen gemacht hat – hier der Link (siehe Screenshot oben, mit dem Rathaus im Hintergrund). Herrlich auch die Mail von Olaf Scheiding, der mir fix den Spandau-Stadtplan von 1966 und das Branchenbuch von 1967 mailte (siehe oben, Bildmitte).
Frank Moldenhauer kennt noch den Spitznamen: „Das Kino wurde im Spandauer Volksmund auch FLOHkiste genannt – Flohkiste deshalb, weil das Kino früher ein Reitstall und im Vergleich zu den großen Kinos in Spandau eben sehr klein und ohne Schnickschnack war.“
Iris Luchs erinnert sich sogar noch an die Filme: „In diesem Kino habe ich Bildungswerke wie ‚King Kong gegen Godzilla‘ und ‚Vier Fäuste für ein Halleluja‘ gesehen.“
Thomas Neumann berichtet: „Das ‚Bio‘ ist einst in einem ehemaligen Pferdestall entstanden. Als ich Ende der 1970-er-Jahre der Liebe wegen nach Spandau kam stand es noch, war jedoch nicht mehr in Betrieb. Es wurde einige Jahre später abgerissen und es entstand der Parkplatz.“
Ilona Müller erinnert sich „Das ‚Bio-Filmtheater‘ wurde 1977 geschlossen, entwickelte sich innerhalb der folgenden Jahre zur Schmuddel-Ecke und wurde zu Beginn der achtziger Jahre abgerissen.“
Alexander Strehlow wiederum erzählt. „Ich kann mich daran erinnern, weil wir als Kinder vor dem Abriss darin rumgeturnt sind. Ich glaube, dass der Anstrich weiß mit blauen Pfeilern war.“
Frank Wiewiorra schrieb mir: „Als ich in den späten 1970-ern ins ‚Bio‘ ging, waren die besten Zeiten dieses Lichtspielhauses schon vorbei. Das elegantere, im Stile der 1950ziger Jahre dekorierte Savoy-Kino in der Staakener Ecke Seegefelder Straße (neben der Cosy-Autowaschanlage) war das letzte Kino in Spandau. Als auch dieses Kino geschlossen wurde, gab es für viele Jahre gar kein ‚richtiges Kino‘ mehr in Spandau.“
Christine Lange aus Gatow schrieb mir mit einem Augenzwinkern: „Herr Görke, Sie sind zu jung! Ich, BJ ’62, war noch im Kino ‚Bio‘. Dann gab es noch ein Kino direkt in der Stadt bei den Raab-Passagen, eines in der Havelstraße (später Discount und nu wieder Kino), in der Seegefelder (an der Bücherei schräg rechts rein), am Metzer Platz auf der Seite von Rossmann, unten in der Pichelsdorfer beim Steakhouse, in Hakenfelde bei Kegelhalle und bestimmt noch mehr (aber diese kenne ich zumindest noch von außen.)“
„Winnetou am Hakiberg.“ Auch Jochen Liedtke, 52, erzählte mir eine feine Kiez-Geschichte. Er ist ein bekannter Mann in Spandau, SPD-Politiker, Chef des Verkehrsausschusses im Rathaus: „Wir ‚Mittelalterlichen‘ und die Älteren können sich sicherlich zahlreich an das ‚Bio‘ erinnern. Ich war leider nicht mehr drin, erinnere mich vor allem an eine Bauruine, die lange vor sich hingammelte, bis es ihr an den Kragen ging. Die Zeit der kleinen Kinos war ja längst vorbei. Es gab übrigens auf der ‚Spitze‘ zwischen Neuendorfer Straße und Schützenstraße in der Neustadt noch ein weiteres Kino, das nach seiner Schließung lange als ‚Baudenkmal‘ erhalten blieb: das ‚Haki‘. Der benachbarte Rodelberg trug den gleichen Namen: ‚Hakiberg‘. Beides war mein ‚Revier‘. Mein großer Bruder träumte sich in den 60-er Jahren im ‚Haki‘ in die Winnetou-Verfilmungen, bei mir waren es eher die ‚Pippi‘- und ‚Michel‘-Filme. Dann schloss das Kino und blieb ebenfalls lange stehen und verfiel. Heute ist die Gegend dicht bebaut.“
…und wie kam es zur Kino-Adresse am Augusta-Ufer? So heißt die Uferpromenade am Mühlengraben: Damals führte sie am „Bio“-Kino vorbei, heute spazieren wir dort hinter dem flachen Parkhaus entlang – hier ein heutiges Foto. Im Straßenlexikon Kauperts steht: „Die Straße wurde als Uferstraße am Mühlengraben angelegt und sollte um die Spandauer Altstadt eine Umgehungsstraße bilden, um so den Verkehr von den engen Straßen der Altstadt fernzuhalten.“ Es kam anders; die Straße wurde zur Ufer-Flaniermeile entlang der Kasernen. „Der Straßenname soll entweder direkt an Kaiserin Augusta oder an das 4. Garde-Grenadier-Regiment „Königin Augusta“ erinnern, das in den Jahren 1893 bis 1896 in Spandau seinen Standort hatte.“ – Quelle: Kauperts
Tagesspiegel-Tipp: Fast 100 Bilder aus dem alten Spandau. Erinnern Sie sich? Hier meine Tagesspiegel-Fotostrecke für Sie, die Leserinnen und Leser des Spandau-Newsletters. – Text: André Görke
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