Kiezkamera
Veröffentlicht am 26.01.2021 von André Görke

Niemals vergessen: Als Staaken noch geteilt waren. Diese Bilder hat Leser Martin Müller 1990 gemacht. Müller ist Chirurg und hat ein ruhiges Händchen auch an der Linse.
- Das erste Bild ist speziell. Auf dem Ortseingangsschild steht nämlich nicht „Berlin, Bezirk Spandau“, sondern „Staaken, Kreis Nauen, Bezirk Potsdam“.
- Das zweite Bild zeigt den kargen Grenzstreifen mit Blick vom Fort Hahneberg auf die Heerstraße und hinten die Neubauten am Brunsbütteler Damm.
- Das dritte Bild entstand am DDR-Bahnhof in Staaken, der sich an der Feldstraße befand und längst abgerissen ist. Hier ein Foto aus einer anderen Perspektive.
- Das vierte Bild zeigt das kuriose „Elefantentor“. Auch das stand in Staaken. Dahinter rollten die Züge nach West-Berlin. Die Straße hinter dem Elefantentor (manche sprachen auch vom „Affenkäfig“) führte durch schwer bewachtes DDR-Grenzgebiet.
„Die Bilder sind von 1990, kurz nach der Grenzöffnung“, schreibt mir Martin Müller. Er ist 64 Jahre alt, wohnt in Spandau und arbeitet seit 1981 als Chirurg und Beschneider im Jüdischen Krankenhaus. Aufgewachsen ist er in Lankwitz. Seine Interessen: Berlingeschichte, Foto- und Eisenbahn. Mit seiner Frau („in Spandau aufgewachsen“) ist er 1989 nach Staaken-Ost gezogen, also West-Berlin, und erkundete mit Fahrrad, Frau und Tochter die neue Umgebung, die immer größer wurde: Die DDR-Mauer hatte endlich Löcher bekommen.
„Wir machten insbesondere West-Staaken und Döberitz unsicher. Ost-Berlin und Potsdam waren, soweit möglich, auch schon vor der Wende unsere Ziele“, erzählt Müller. Seine Fotos hätten übrigens aktueller nicht sein können. Denn in Staaken jährt sich ein wichtiges Datum.
Am 1. Februar 1951, also am Montag vor 70 Jahren, besetzte die DDR-Volkspolizei West-Staaken. Die Ecke gehörte eigentlich zu Berlin und war der Dorfkern mit Kirche, Friedhof, Bauernhäusern. Doch weil die Briten 1945 den Flugplatz Gatow bekamen (und damit Kladow bis an den Glienicker See wuchs), tauschten sie Alt-Staaken einfach mit den Sowjets.
- Hier zeige ich Ihnen eine Karte, wo die ursprüngliche Berliner Stadtgrenze verlief. Achten Sie mal auf die Potsdamer Chaussee und wie klein Kladow bis zum Gebietsaustausch war: hier der Foto-Link.
Bis zu jenem 1. Februar 1951 wurde West-Staaken (in der DDR) weiter vom Rathaus Spandau (in West-Berlin) verwaltet. Dann aber war Schluss: Um Staaken kümmerte sich fortan der Ost-Berliner Bezirk Mitte. Noch heute schreibt die Feuerwehr Staaken in ihrer lesenswerten Chronik: „Die schwerste Stunde nach dem 2. Weltkrieg erlebte Staaken am 1. Februar 1951, durch die Teilung des Ortes Staaken durch die Alliierten. Dadurch hatte Staaken nun zwei getrennte Feuerwehren.“ Und getrennte Kirchen, Vereine, Familien.
„Zwei Doppelstreifen der Vopo mit Mütze, bewaffnet mit Revolver und Polizeiknüppel“, die gegen 8.30 Uhr auf dem „Finkenkruger Weg (russ. Interessengebiet)“ patroullierten so verzeichnet es das Protokoll der Polizeiinspektion Spandau für den 1. Februar 1951. Wenig später wurden sechs mit Zivilpersonen besetzte Pkw beobachtet, die in das Barackenlager Staaken am Finkenkruger Weg fuhren. Durch die Kennzeichen war erkennbar, dass sie in Ost-Berlin zugelassen waren. „Es wird angenommen, dass eine Bezirksverwaltung ihre Dienstgeschäfte übernehmen wird“, hieß es in dem Polizeiprotokoll.
Dann ging es Schlag auf Schlag: Gegen Mittag hing ein rotes Spruchband mit weißer Schrift an der Volksschule am Nennhauser Damm: „Wir lehren und lernen für den Frieden“. Schüler einer anderen Schule berichteten vom Austausch ihrer Lehrer. Bald sah man erste Aushänge, wonach West-Staaken, bislang von Spandau aus verwaltet, dem Ostsektor Berlin-Mitte II angegliedert worden sei – „um die für die Bewohner West-Staakens durch die Spaltung des Magistrats Groß-Berlin hervorgerufenen Unzuträglichkeiten zu beseitigen“. Die Bewohner sollten sich registrieren lassen und ihre Lebensmittel- und Kohlenkarten abholen. Auch gelte als Zahlungsmittel nur noch die DDR-Mark. – Lesetipp: Tagesspiegel
Später wurde West-Staaken herumgereicht. Die Zuständigkeit wanderte von Ost-Berlin nach Falkensee, wurde schließlich eigenständig, hatte aber weiter Ost-Berliner Telefonnummern. Erst neulich hatte Leser Jürgen Klix an die spezielle Rolle West-Staakens im Osten erinnert, wo die Versorgung besser war als in Falkensee: „Wir wurden bei Laune gehalten“. Und Norbert Rauer, von 1991 bis 2009 Pfarrer in Alt-Staaken, erinnerte hier mal an die feinen Unterschiede zwischen Alt-Staaken, Neu-Staaken, West-Staaken, Ost-Staaken und Süd-Staaken.
Seit Oktober 1990, nachdem Chirurg Müller seine Bilder gemacht hatte, sind West-Staaken und Ost-Staaken wieder eins. Und liegen in Berlin-Spandau. Schön!
Mein Tagesspiegel-Tipp: Leser Müller nimmt Sie, die Leserinnen und Leser des Spandau-Newsletters, mit auf einen digitalen Ausflug ins Jahr 1990. Ich habe seine Bilder in die Fotostrecke zu Berlin-Staaken eingebaut. Hier der Link. – Text: André Görke
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