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„Sollen wir die Verkehrssenatorin ernst nehmen?": Das Interview zum Verkehr in Spandau

Veröffentlicht am 08.10.2019 von André Görke

„Sollen wir die Verkehrssenatorin ernst nehmen?„: Das Interview zum Verkehr in Berlin-Spandau. Zweiter Stock im Rathaus, Blick auf Havel, ICE-Trasse und Parkhaus: Das ist die Aussicht aus dem Büro von Stadtrat Frank Bewig, CDU – hier ein Foto. An der Wand hängt ein Cartoon vom „Tagesspiegel Checkpoint“. Darauf ist der Stadtrat zu sehen, wie er wütend versucht, einen Zuständigen des Senats an den Stadtrand zu holen („Hier spricht Spandau. Ja, Spandau! Nein, links von Berlin!!!“). Der Cartoon war böse, Bewig kann darüber lachen. Ich hatte den Stadtrat zum Herbstgespräch gebeten. Heute: Teil 1 des Interviews – der Verkehr.

Herr Bewig, wie sind Sie heute ins Rathaus gekommen? „Mit meinem Privatauto. Im Sommer steige ich auch mal aufs Rad und fahre durch den Spektegrünzug ins Rathaus, aber wenn ich Termine in Kladow oder Hakenfelde habe, ist das Auto praktischer mit meinen Akten und auch schneller.“

Kennen Sie die Zustände in der Regionalbahn? „Klar. Ich muss ja auch regelmäßig in die Stadt: zum Senat, zur Liegenschaftsverwaltung… und schneller als mit der Regionalbahn geht das nicht. Ich stand jahrelang selbst auf dem Bahnsteig in Staaken und Albrechtshof und habe mich morgens in den Zug gequetscht, als ich in den Bundestag musste.“

Da haben Sie bei Kai Wegner gearbeitet. „Ja, aber die Zustände in den vollen Zügen sind heute viel schlimmer – eine echte Katastrophe, nicht nur für Fahrgäste im Zug, sondern auch verkehrspolitisch. Die Bahn ist ein tolles Verkehrsmittel, aber so schreckt das ab. Wir beide sind groß gewachsen. Wir halten das Gedränge aus. Aber was soll ich einer zierlichen Person sagen, die ihr Auto stehen lassen soll? Da habe ich als Politiker wenig Argumente.“

Sind Sie eigentlich für die Verlängerung der S-Bahn? Darüber wird seit der Wiedervereinigung 1990 diskutiert – zuletzt wieder intensiver im Förderprojekt i2030„Es ist wirklich nicht leicht, den Überblick zu behalten, wo wir stehen. Ich hoffe, dass möglichst bald eine Entscheidung des Senats fällt. Die Zeit rennt uns davon, der Druck auf die Schiene wird von Tag zu Tag größer. Ich bin für die Verlängerung der S-Bahn, aber nicht auf Kosten der Regionalbahn. Die S-Bahn kann aber viele Leute vom Stadtrand ins Spandauer Zentrum bringen und so Straßen und Busse entlasten. Studien laufen, wie der Bahnhof fit gemacht werden kann, denn der ist auch am Limit. Es geht um einen zusätzlichen Bahnsteig zwischen Arcaden und Bahnhof.“

Herr Bewig, in Spandau entstehen 15.000 neue Wohnungen. Viele werden schon gebaut, viele sind konkret in Planung – darüber reden wir im zweiten Teil nach den Ferien. Bleiben wir heute beim Verkehr. Hier an der Wand hängt der Checkpoint-Comic. Sie sagen, Spandau werde nicht richtig ernst genommen vom Senat. „In der Tat habe ich das Gefühl, dass dieser Senat sich fast ausschließlich auf die Innenstadtbezirke konzentriert und die Außenbezirke komplett vergisst. Inzwischen sehe ich, dass man sich auf Grund des Wohnungsbaus bemüht, Übergangslösungen auf den Weg zu bringen. Aber grundlegende Entscheidungen für einen wirklich leistungsfähigen öffentlichen Personen-Nahverkehr werden weiter vertagt. In dieser Wahlperiode ist hier nichts mehr zu erwarten.“

Verkehrssenatorin Regine Günther hat neulich über den Rückbau der „Autobahn“ in Spandau geträumt und vom „menschenfreundlichen“ Rathausplatz gesprochen. Auch da haben Sie sich geärgert. Warum? „Spandau hat aktuell viele weitere Probleme. Die Senatorin kommt aus Berlin für eine Stunde nach Spandau, haut einen Spruch raus und ist wieder weg – ohne zu sagen, was wie wann gemacht werden soll. Sie ist die Chefin, aber was heißt das denn jetzt konkret? Was heißt das für meine Mitarbeiter? Ist das jetzt Priorität der Verkehrschefin? Oder sollen wir diese Worte doch nicht so ernst nehmen? Sie hat sich persönlich leider sehr wenig mit dem Zustand des Verkehrs hier vor dem Rathaus beschäftigt. Vier Busspuren nutzt allein die BVG und hat trotzdem Kapazitätsprobleme. Der Bus ist die Nr. 1 in Spandau. In drei, vier Monaten soll es erste Infos geben zu neuen Linien und neuen Takten. Die BVG weiß ja gar nicht, wo die hier vor dem Rathaus alle parken sollen. Das ist das viel dringendere Problem.“

Es gibt die Idee im Rathaus, die Seegefelder Straße vor dem S-Bahnhof zu schließen – dort könnte ein großer, zusammenhängender Platz für Fußgänger entstehen, wo nur noch Busse langfahren dürfen. Die Kreuzung würde entschärft. Und die BVG hätte mehr Platz. Ihre Meinung? „Diese Kreuzung funktioniert einfach nicht gut. Auf Basis der zukünftigen Kapazitätsausweitungen der Busverkehre darf es keine Denkverbote geben. Ob die Schließung der Seegefelder Straße allerdings der richtige Weg ist, muss noch genauer untersucht werden. Dabei müsste genau geprüft werden, wie leistungsfähig dann andere Knotenpunkte für den Individual- und Wirtschaftsverkehr sind. Hier bin ich sehr skeptisch.“

Die Tram-Pläne wurden vom Senat nach hinten geschoben, weil wegen des S-Bahnbaus nach Siemensstadt alles neu geprüft werden muss. Wie stehen Sie zur Straßenbahn? „Ich bin kein Freund der Idee, die Straßenbahn in Spandau zu etablieren.“

Wie ist Ihr Plan? „Ich, nein, jetzt rede ich nicht als Stadtrat, sondern als CDU-Politiker. Wir als CDU haben immer gesagt: Setzt auf die U-Bahn, setzt auf die S-Bahn, verlängert vorhandene Schienenwege, die schon einen Anschluss in die Innenstadt haben. Gar nicht lange her, da waren alle anderen für die Straßenbahn. Kennen Sie noch die Pläne der SPD, die links, rechts, überall hier in Spandau Straßenbahnlinien eingezeichnet hat auf dem Stadtplan? Als ginge das mal eben so, nur weil kein Tunnel gebuddelt werden muss. Von wegen! Das dauert doch auch 30 Jahre, bis die erste Straßenbahn im Falkenhagener Feld ankäme. Und dieses politische Hin und Her ärgert mich. Jetzt sind sie alle plötzlich wieder für die U-Bahn. Als wir das gesagt haben, wurden wir ausgelacht: Zu teuer, zu langsam. War wohl doch nicht ganz falsch. Selbst der Senat untersucht jetzt die U7-Verlängerung nach Staaken, auch wenn mir eine Entscheidung lieber wäre als immer neue Machbarkeitsstudien. Und der S-Bahn-Weiterbau in die Wasserstadt ist auch nicht vom Tisch. Dafür habe ich mich persönlich eingesetzt.“

Und was passiert kurzfristig, Herr Bewig? Busspuren, Fahrradwege? „Die Straßen werden wir nicht breiter machen können. Da kann mal hier und da eine Busspur vorgesehen werden, aber eine bedarfsgerechte Lösung ist das nicht. Sicherlich können kürzere Strecken auch mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Deswegen arbeiten wir daran, die Beschaffenheit der bestehenden Radwege zu verbessern und neue Radwege zu bauen. Wir sollten uns aber nichts vormachen. Die Verkehrsprobleme in Spandau werden wir nicht mit der Nutzung des Fahrrads lösen. Dafür sind die Entfernungen teilweise viel zu weit. Anders ist das sicherlich im Innenstadtbereich. Die vom Senat gegründete InfraVelo prüft im ganzen Bahnhofsviertel, wo neue Fahrradständer entstehen können. Ein Fahrradparkhaus wäre super, kostet viel Geld und braucht viel Platz – und bis 2027 können wir mit immer neuen Prüfstudien auch nicht warten. Die Leute haben teure Räder, E-Bikes, die wollen sie sicher anschließen, wenn sie in die Altstadt oder zum Pendlerbahnhof fahren. Ich fordere schon seit längerem ein großes Fahrradparkhaus am Ferdinand-Friedensburg-Platz…“

… Sie meinen den U-Bahnhof Haselhorst, der Umsteigebahnhof werden soll für mehr als 10.000 Leute aus der Wasserstadt. „Noch allerdings hat das Fahrradparkhaus für den Senat keine Priorität. Ich werde aber weiter für eine schnellere Realisierung werben. Wir fangen jetzt erst mal mit festen Fahrradbügeln an. Wir planen am Ferdinand-Friedensburg-Platz eine größere Anzahl für die Leute aus der Wasserstadt. Sie sollen diesen U-Bahnhof nutzen und nicht auch noch alle zum Rathaus strömen. Für die BVG bauen wir dort die Bushaltestellen um. Das wird das neue ‚Drehkreuz‘ zur Wasserstadt.“

Herr Bewig, ein kleiner, fieser Radweg ist mir neulich im Spätsommer aufgefallen – hier ein Video. Wer von Spandau rüber in die Landeshauptstadt Potsdam will, braucht einen Orthopäden. „Sie meinen das kleine Stück am Glienicker See, oder? Das ist ein kurzer Abschnitt mit Kopfsteinpflaster, vielleicht 300 Meter, ich kenne das Problem –  und es ist der einzige Radweg von Spandau nach Potsdam. Wir haben uns die Gutsstraße angeschaut, aber der Denkmalschutz sieht hier die Notwendigkeit, das historische Pflaster in dieser Form zu erhalten.“

Und das bleibt jetzt für immer so – oder vollziehen Sie 30 Jahre nach dem Mauerfall die Einheit auch dort auf dem Radweg? „2020 dürfte knapp werden. Aber den Radweg kann man auch an den Rand des Kopfsteinpflasters setzen. Ich habe meine Abteilung gebeten, da noch einmal nach Ideen zu suchen.“

  • Lesen Sie nach den Herbstferien: Stadtrat Frank Bewig über Milieuschutz, Wohnungen in der TXL-Schneise und den Umbau der Altstadt. Das alles erzählt der Baustadtrat im 2. Teil des Newsletter-Interviews.

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Diesen Text haben wir dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau entnommen. Den gibt’s in voller Länge (und kostenlos) hier: leute.tagesspiegel.de