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"Das alles ist Investoren-Vergraule." Baustadtrat im Interview über Mietendeckel, Großbaustellen, angesagte Kieze
Veröffentlicht am 22.10.2019 von André Görke
„Das alles ist Investoren-Vergraule.“ Baustadtrat im Interview über Mietendeckel, Großbaustellen, angesagte Kieze. Am Wochenende traf sich die CDU in Berlin-Spandau mit 1000 Leuten, Brezeln, Karo-Hemd und schmissigen Reden im Oktoberfestzelt vor der Zitadelle. Auf Platz 1 der Bierbank: Kai Wegner, Landeschef und Kladower. Am Tag danach hatte Stadtrat Frank Bewig, CDU, 44, seinen ersten Arbeitstag nach den Ferien. Servus! Ich sprach mit ihm über Mietendeckel, angesagte Kieze, Großbaustellen – und ein Hochhaus in der TXL-Schneise.
Herr Bewig, am Ferienstart sprachen wir über den Verkehr, über U-Bahn-Träume und fiese Radwege, heute geht‘s um den Wohnungsbau. „Da können wir lange reden. Der Wohnungsbau hat eine enorme Dynamik genommen. Wo fangen wir an?“
Zählen wir mal auf: Die Spandauer Baustellen sind – Siemens-Campus, Gartenfeld, Wasserstadt… „Carossa Quartier: 1200 Wohnungen. Paulsternstraße: 500 Wohnungen. Auch auf dem Postgelände im Zentrum wird aller Voraussicht nach 2020 begonnen. An der Parkstraße entstehen 500, 600 Wohnungen… und bald geht’s auch los an den Speichern am Havel-Ufer, mit Balkon und Blick auf den Fluss und Eiswerder.“
Dieses Bild des Luftbildfotografen Dirk Laubner zeigt die neuen Pepitahöfe mit 1000 neuen Wohnungen
Sieht super aus, wird das Ufer beleben, ist aber Luxus. „Nein, kein Luxus, aber eben auch keine Sozialwohnungen. Das werden Wohnungen sein, die es nicht für 6,50 Euro den Quadratmeter gibt. Aber wir brauchen genau diese Mischung für Spandau: Jüngere Leute mit Einkommen, Familien und klassischer Mittelstand und auch mal gehobene Schichten und nicht ausschließlich geförderten Wohnungsbau. Das haben wir reichlich. Von dieser Durchmischung profitieren die Kieze.“
Die Koalition hat sich auf den Mietendeckel geeinigt, muss den jetzt aber noch beschließen. Ist das jetzt gut oder schlecht für Spandau? „Wissen Sie, ich komme mit Katrin Lompscher persönlich ganz gut klar, aber politisch bin ich ganz weit weg von der Stadtentwicklungssenatorin – Mietenbremse, sozialer Wohnungsbau in sozial schwachen Gebieten und jetzt auch noch der Mietendeckel. Das alles ist Investoren-Vergraule. Das geht nicht, das fällt uns in ein paar Jahren schlimm auf die Füße. Ich höre von den privaten Wohnungsbaugesellschaften, dass sie inzwischen extrem zurückhaltend sind und lieber abwarten, bevor sie hier Geld in Spandau in den Neubau oder in die Sanierung des Bestandes stecken.“
Wie schützt die Spandauer Politik die Mieter? „In einem ärmeren Bezirk wie Spandau müssen wir die schützen, die hier schon lange leben. Wir treiben das Thema Milieuschutz voran. Sie können heute schon in der Neustadt und Wilhelmstadt nicht mehr luxussanieren oder Wohnungen ohne unsere Zustimmung zusammenlegen. Und in Tegel sind bald die Flugzeuge weg, das wird die Neustadt auf unserer Seite der Havel verändern.“
Und Ihre Prognose für den zweiten Kiez, die Wilhelmstadt? „Gerade die Wilhelmstadt wird attraktiver für junge Familien – Wasser, Altbauten, Kiezstrukturen am Wasser mit viel Grün, das funktioniert. Und im Spätsommer 2020 können wir hoffentlich mit dem Umbau der Pichelsdorfer Straße loslegen. Mehr Raum für Fußgänger, neue, robustere Bäume, die auch wirklich mal wachsen. Der Fußverkehr war dort noch nie so aufgewertet. Die Pichelsdorfer muss mehr sein als eine Durchfahrtsstraße oder kilometerlanger Parkplatz.“
Dieses Bild zeigt die Wilhelmstadt, die direkt an der engen Havel liegt.
Herr Bewig, schneller Blick auf die prominenten Baustellen: Beim Siemens-Campus engagieren sich laut Senat knapp 20 Architekturbüros. Wie ist ist der Stand – kennen Sie die Ergebnisse? „Die Architekten haben Ideen entworfen und uns gezeigt. Jetzt liegt es am Preisgericht, im Januar einen Sieger zu benennen. Vor 2021 wird da aber kein Bagger rollen.“
Wie ist der Stand auf der Insel Gartenfeld? „Auch da wird kein Bagger morgen loslegen. Es geht um fast 4000 Wohnungen, also 10.000 Menschen. Wir haben jetzt endlich die Klarheit, dass der Entwickler durch den Bau einer Brücke einen zweiten Zugang zur Insel schafft – dazu war die Senatsverkehrsverwaltung personell leider nicht in der Lage. Die Verantwortung für diese Brücke wird nach der Fertigstellung an das Land übergeben.“
Hier der Standort der neuen Brücke. Für wen ist die eigentlich gedacht? „Nicht für Autos, sondern nur für Busse, Fahrräder, Fußgänger und – wenn es nach der Senatsverkehrsverwaltung geht – später vielleicht mal für die Straßenbahn. Die Brücke entsteht an der Rhenaniastraße über den Kanal. Ob die andere große Brücke im Nordwesten kommt, also die Verlängerung der Wasserstadtbrücke durch die Kleingartenanlage …. das wird bestimmt noch 10 Jahre dauern. Außerdem soll die viel mehr kosten.“
Dieses Bild des Luftbildfotografen Dirk Laubner zeigt die alte Wasserstadt (links) und die neue. An der oberen Brücke entsteht ein 16-Stockwerke-Haus.
Die Rede ist von 50 Millionen Euro allein für dieses Brückenprojekt. Sie soll die Insel Gartenfeld mit der Wasserstadt verbinden. Was steht dort jetzt an? „Wir legen jetzt mit der nächsten Etappe am Ufer los. 440 Wohnungen sollen in der Wasserstadt entstehen und an der Wasserstadt-Brücke ein Haus über 16 Stockwerke. Das steht den Flugzeugen in der TXL-Schneise nicht im Weg, das wurde geprüft. Ich bin vorsichtig, aber etwas optimistischer, dass diesmal der BER in Betrieb geht und wir in Spandau 2020 Klarheit haben in der Einflugschneise von Tegel. Ich kann mich noch gut an die Eröffnungsparty 2012 erinnern, die kurz vor dem Start abgesagt wurde – ich muss die Einladungskarte zu Hause mal suchen. Das Stück gehört an die Wand.“ – Text: André Görke
- Die Milieuschutz-Gebiete: Hier die Karte der zwei Kieze.
- Die Vorgeschichte: Wie Lars Leschewitz, Linke, und andere den Milieuschutz immer wieder auf die Rathaus-Agenda brachten.
- Die Gegenseite: Im Tagesspiegel lesen Sie heute ein Pro & Contra, viele Fakten, viele Gegenargumente – auf drei Seiten. Das alles können Sie heute im E-Paper nachlesen. Hier geht es zum kostenlosen E-Paper-Probeabo vom Tagesspiegel.
- Die 50-Mio-Brücke: Als Daniel Buchholz, SPD, dem Newsletter die ersten Details nannte.
- Lesen Sie nächste Woche: „So bauen wir die Altstadt um“. Mit Bewig sprach ich auch über die 50-Mio-Pläne für den Altstadt-Umbau und die Ödnis vorm Rathaus. Nächste Woche lesen Sie das Gespräch im Spandau-Newsletter. Dabei geht es auch um diese Stufen, die auf dem Marktplatz ein Hindernis darstellen. Foto: André Görke
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Dieses Interview ist im neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau erschienen. Den gibt es komplett und kostenlos unter leute.tagesspiegel.de
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