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"Es ist nicht mehr auszuhalten": Der Krach auf der Havel

Veröffentlicht am 21.07.2020 von André Görke

„Es ist nicht mehr auszuhalten“: Der Krach auf der Havel. Neulich auf den Rieselfeldern in Gatow: Bei einer Radtour höre ich plötzlich Wummern, Bässe, Techno. Himmel, ist das laut! Eine Gartenparty? Wo kommt das her? Ich radelte den Bässen entgegen – und entdecke nach 3000 Metern Fahrt ein Techno-Hausboot, das über die Havel schippert. „So geht das jedes Wochenende“, erzählte mir ein Gatower am Ufer, „es ist nicht mehr auszuhalten“. Und die Motorboote würden auch immer durchgeknallter – hier ein Foto. Eine Einzelmeinung?

Ich fragte Sie daher letzte Woche hier im Spandau-Newsletter nach Ihrer Erfahrung. Und ich stach nicht in ein Wespennest, es war eher ein Wespen-Großflughafen. Ich bekam so viele Tagesspiegel-Leserbriefe wie seit Jahren nicht – von der Scharfen Lanke über Gatow bis Kladow. Von Anwohnern, Vereinen und Wassersportlern. Auch Stadtrat Stephan Machulik, SPD, äußert sich. Und die Wasserschutzpolizei um Barbara Slowik nennt Zahlen. Der Lärm auf der Havel ist ein kilometerlanges Ärgernis und gehört auf die Rathaus-Agenda. Hier Auszüge aus den Leserbriefen.

Partys bis in die Nacht. „Ich bin Anliegerin im Verein Breitehorn und neben den Speedbooten, die ja zum Glück schnell vorbeirasen, leiden wir vielmehr unter den unglaublich lauten Partybooten, die immer mehr werden und direkt bei uns gegenüber ankern und nächtelang so laut Musik machen, dass an Nachtruhe und Schlaf nicht zu denken ist. Auch tagsüber, besonders an Wochenenden zerstören diese Boote jedwede Erholung in der Natur. Was könnten wir dagegen unternehmen? Es ist unerträglich!“ Ulrike Fischer

Nicht nur Techno nervt. „Ich kenne die Bestimmungen zu Lärm auf den Gewässern nicht, aber wenn es sie geben sollte, werden sie nicht durchgesetzt. Die Wasserpolizei stoppte gestern ein dröhnendes Partyboot auf dem Wannsee – ich war als Segler 100 Meter entfernt – , und das Boot machte nach einem kurzen Gespräch fast genauso laut weiter. Wofür braucht man dann eine Wasserpolizei? Es ist ein ungeheuerlicher Egoismus dieser Partyfreunde, alle erholungs- und natursuchenden Menschen mit ihrem Lärm zu belästigen. Und das gilt unabhängig von der Musik. Ein lauthals mitgegröltes „An der Nordseeküste…“ ist kein Deut besser als Techno.“ Patrick Rudolph

Zerstörung der Natur. „Auch wir gehören zu den 20.000 Anwohnern, die über diese Zerstörung des Ufers und der Tier- und Pflanzenwelt nur fassungslos den Kopf schütteln. Wegen der Church for future und durch die Klima-Akademie denke ich bei diesen Booten zunächst an die Natur.“ Mathias Kaiser, Pfarrer der Kirchengemeinde Gatow (1300 Mitglieder)

Dröhnen der Auspuffmotoren. „Ich bin selbst Motorbootbesitzer auf der Unterhavel. Habe mir vor 17 Jahren ein Motorboot gekauft, wo auch der Auspuff über der Wasserlinie lag. Habe ich gleich ausgebaut, den so etwas gehört nicht in die Natur. Wir wollen ja alle unseren Spaß haben, aber wenn es nur noch dröhnt, ist es störend. Wie heißt es so schön: „Rücksicht ist ein schweres Los“. Manch einer der „Wasserfreunde“ meint, umso höher die Drehzahl des Motors, um so schneller ist der Motor warm. Und zum Partyboot, das im Pichelsdorfer Hafen liegt: Es soll ja nicht untersagt werden und es sind auch nicht alle Gesellschaften übermäßig laut, aber muss ich denn das Boot schon hören, wenn es am Grunewaldturm, 23 Uhr, dahin gleitet und der Technobass bis zu uns am Pichelsdorfer Hafen dröhnt? Also bitte, etwas mehr Rücksicht, dann heben wir alle unseren Spaß auf dem Wasser und in der Natur. Die Tiere werden es uns auch danken. Und die Anrainer auch.“ Konrad Meihack

Tyrannen und Machos im Speedboot. „Vier Speedboote tyrannisieren mit ihren täglichen Runden mit ohrenbetäubendem Lärm die 20.000 Anwohner an der Unterhavel. Der Bezirk will Uferbereiche renaturieren, die dann durch Wellenschlag wieder zerstört werden. Keine Frachtkähne und „normale Motorboote“ verusachen einen solchen Lärm und Wellenschlag wie diese Speedboote. Ich bin selbst Segler und Kajakfahrer auf der Unterhavel und muss zusehen, wie durch den Wellenschlag bedingt Mastpitzen in unserem Hafen zusammenschlagen. Und ich muss aufpassen, bei hohen Wellen mit meinem Kajak nicht zu kentern. Für die Havel selbst fühlt sich der Bezirk nicht zuständig und verweist auf den Senat und die Wasserschutzämter. Für die untere Havel gilt von km 0 bis 17,7 eine Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h. Bei Flußbreiten von mehr als 250 Metern und einem Uferabstand von über 100 Metern dürfen sie maximal 25 km/h fahren. Neulich fuhren zwei Superyachten mit 50 km/h ohne Rücksicht auf Verluste gen Pfaueninsel. Warum wird dies von der Wasserschutzpolizei nicht besser überwacht? Und zum Lärm: Die Rennbootpiloten tragen vermutlich Gehörschutz! Ich sehe nicht ein, warum sich in Zeiten des Klimawandels die Mehrzahl der Bevölkerung große Sorgen macht und ein paar Machos die Sau rauslassen dürfen.“  Max Weithmann

Lärmproblem auch auf der Insel. „Kein Problem sind die Ausflugsdampfer und auch das eine oder andere Partyschiff, das bis 22 Uhr auch mit lauter Musik vorbeifährt. Die Leute haben Spaß und das gehört einfach dazu. So richtig nervig ist aber die zunehmende Rücksichtslosigkeit weniger Mitmenschen, die auf die Befindlichkeiten anderer so gar keine Rücksicht nehmen. Völlig unverständlich ist die Entwicklung auf der Insel Lindwerder. Die Musikveranstaltungen sind noch im Abstand von über 600 Metern bei geschlossenem Fenster deutlich zu hören. Seit zwei Jahren kommt es immer wieder zur stundenlangen Beschallung mit unerträglich lauten Bässen, dass an einen Aufenthalt im Freien nicht zu denken ist. Muss es wirklich sein, dass einer der letzten ruhigen Orte in Berlin auch noch mit Lärm verseucht wird?“ Ralf Scholz

Abends kommen sie aus ihren Garagen. „Wir wohnen in Hohengatow und freuen uns über die ruhige Lage. Aber: Abends kurz vor Anbruch der Dunkelheit kommen sie aus ihren Bootsgaragen oder woher auch immer. Wir erkennen inzwischen schon die verschiedenen Speedboote am Motorengeräusch. Unglaublich, wie viel Lärm so ein Boot machen kann…“ Gisela Glave-Lohfert

Wo ist die Polizei? „Ich bin Mitglied eines Havelvereins in Kladow. Ich verbringe dort meine Freizeit und ärgere mich über zwei bis drei Speedboote, die mit schöner Regelmäßigkeit fast täglich am Nachmittag die Havel hinunter und wieder flussaufwärts fahren. Sie erzeugen einen höllischen Lärm (gibt’s da keine Obergrenze?) und fahren mit überhöhter Geschwindigkeit auch außerhalb der Fahrrinne. Sämtliche Menschen westlich und östlich der Havel (in den Wohnungen, den Gartenlokalen, an der Havelchaussee…) werden belästigt. Diese lärmende Raserei hat mit Wassersport in unseren Breiten nicht das Geringste zu tun. Leider lassen sich die Registriernummern der Boote von Land aus nicht feststellen. Die Wasserschutzpolizei, die sonst brav ihren Dienst tut, ist leider an genau diesen Nachmittagsstunden auch nicht zur Stelle.“ Klaus Schumacher

Sonderzone für Partyboote? „Ich bin 60 Jahre, betreibe den Segelsport quasi schon seit meiner Geburt. Unser Schiff liegt im Stößensee. Von dort segeln wir bis zum Großen Fenster oder weiter bis in eine Bucht gegenüber der Kirche St. Peter und Paul. Dort lassen wir den Anker fallen und genießen die Ruhe und die Natur – wenn man uns lässt :-(. Seit einigen Jahren, aber gerade jetzt in Corona-Zeiten vermehrt, gibt es immer mehr Partyboote, die auch immer größer werden. Gruppen von 15 bis 20 Personen auf solch einem Hausboot sind keine Seltenheit. Und dort geht die Post ab. Bei Grillwürstchen und Getränken spielt Techno-Musik in Disko-Lautstärke. Dazu Gejohle und Freudenschreie. Wir fragen uns, ob es wirklich immer und überall Party sein muss. Können die jungen Leute nicht auch einmal die Ruhe und die Natur genießen? Das geht auch mit Bratwurst und Bier. Vielleicht sollte man für die „Partyboote“ eine separate Zone einrichten, in der sie ankern können und ihre lauten Partys feiern können, ähnlich der Wasserskistrecke zwischen der Insel Lindwerder und dem Großen Fenster.“ Thomas Faust

Das sagt der Stadtrat im Bezirk. „Die zu lauten Partyhausboote haben wir auf der Ober- wie auf der Unterhavel. In den letzten Jahren waren sie manchmal so überfüllt, dass man sich fragte, ob der Vermieter wusste, wer da auf seinem Boot unterwegs war. In Zeiten der Corona-Pandemie dürfte das nicht der Fall sein. Aber ich kann zu viert anmieten, losschippern und zwei Stege weiter wartet mein Partyvolk. Schwer zu kontrollieren, auch was die Lautstärke angeht. Meldung von Bürgerinnen bei den Internetwachen der Polizei oder bei Ordnungsamt Online ohne Bootskennung und GPS-Standort verlaufen ins Leere, weil nicht alle Vermieter GPS-Ortungen installiert haben. So was wie die App Flightradar für alle größeren Boote auf Fließgewässern wäre natürlich sehr hilfreich, aber kostenintensiv. Anzeigenlage dazu beim Ordnungsamt in den letzten Jahren daher Tendenz null. Es gibt aber noch die Partydampfer, die mit viel Bumms und Tätärä durch die nächtlichen Gewässer gondeln.“ Stephan Machulik, SPD, Ordnungsstadtrat im Bezirk Spandau

Das sagt die CDU. „Berlin ist eine Metropole, in der es auch mal bunter und lauter zugeht. Wir wollen auch, dass man mal auf der Havel oder der Spree Party machen kann. Gegen punktuelle Events hat wohl niemand etwas. An den Orten, an denen aber dauerhaft die Nacht zum Tag gemacht wird, da müssen wir darüber sprechen, wie wir Nachtleben und Nachtruhe in Einklang bringen.“ Thorsten Schatz, Sprecher der CDU-Fraktion im Rathaus Spandau

…und was sagt die Wasserschutzpolizei? Im Abgeordnetenhaus hat Danny Freymark, CDU, bei der Wasserschutzpolizei um Barbara Slowik die aktuellen Daten erfragt. Wie groß ist das Lärmproblem auf Berlins Gewässern? Der Computer der Wasserschutzpolizei spuckte eine Zahl aus, die so gar nicht zu dem passt, was die Bürgerinnen und Bürger berichten: Nur 4 Ordnungswidrigkeiten wegen Lärms auf Berlins Gewässern habe es im ersten Halbjahr 2020 gegeben. Im Vorjahr waren es 28 für ganz Berlin. Ist das Problem also halb so wild? Oder haben die Bürger viel mehr resigniert, weil eh nichts passiert? Das Problem ist offenkundig da, jeden Tag und jedes Wochenende – Politik und Polizei müssen nur Ohren und Augen öffnen. – Text: André Görke

Dieser Text stammt aus dem Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau. Die Newsletter für die 12 Berliner Bezirke (mit fast 220.000 Abos!) gibt es kostenlos und in voller Länge hier: leute.tagesspiegel.de.
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