Namen & Neues
Das Bürgertum wehrt sich: So lief der Protest in Kladow
Veröffentlicht am 30.11.2020 von André Görke
Das Bürgertum wehrt sich: So lief der Protest in Kladow. Am Dorfplatz parkten so viele Polizeibusse wie noch nie. Zivilpolizisten schlichen durch die Menge. Polizeigitter riegelten die Wiesen ab. Ein einsamer Gitarrist sang drüben seine Lieder vom gemeinen Staat. Und der Veranstalter, ein in der rechtsextremen Szene bekannter Mann, sprach verwundert in sein Mikro: „Warum sind CDU und SPD eigentlich hier? Ich habe euch nicht eingeladen.“ 15 Leute hatten sie zu ihrer „Versammlung“ mobilisiert, um sechs Stunden für „Freiheit“ in Kladow zu demonstrieren und am Dorfplatz auf Amazon zu schimpfen. Am Ende waren’s vier Stunden. Auf der anderen Seite standen über 200 Bürgerinnen und Bürger, die ihr Dorf nicht als Bühne missbrauchen lassen wollten: hier Fotos.
„Kladow gegen Rechts“, stand auf Plakaten. Oder: „Trust in Science.“ Und: „Lieber eine Maske auf der Nase als einen kleinen Zettel am rechten Zeh“ (eine Anspielung ans Leichenhaus). Die Pfarrer der Kladower und Gatower Kirchen ließen die Glocken läuten und hielten ein Plakat in den Händen: „Unser Kreuz hat keine Haken“. Es blieb zum Glück alles gesittet. Bemerkenswert waren auch die vielen höflichen Polizisten vor Ort.
Alle waren erleichtert, dass so viele Bürgerinnen und Bürger Anstand und Haltung gezeigt haben. Das hörte ich immer wieder von älteren Kladowerinnen und Kladowern. So einen bürgerlichen Protest hatte es in Kladow das letzte Mal 1989 gegeben. Damals ging es um den Protest gegen tausende Lastwagen, die im 90-Sekundentakt vor der Grundschule zur West-Berliner Kohle-Grube fahren sollten (das ist heute der See im Golfclub). Gesehen habe ich auch viele Politiker: neben Gesundheitsstadtrat Frank Bewig, CDU, auch die Grünen-Fraktionsspitze Gollaleh Ahmadi und Oliver Gellert. Oder Bürgermeister Helmut Kleebank und Stadtrat Stephan Machulik, beide SPD. Es waren noch viel mehr Menschen vor Ort: Mitglieder der Linken, Eltern, Omas, Kinder kamen ins Dorf, selbst die coolen Skater sind so früh aufgestanden – sie alle aufzuzählen: unmöglich. Natürlich waren nicht alle einer Meinung bei den Corona-Strategien, sehr wohl aber darin, dass man nicht gemeinsam Seite an Seite mit Rechten stehen kann.
„Wir danken den Bürgerinnen und Bürgern von Kladow und Gatow und von überall, woher auch die Unterstützung kam“, hieß es hinterher in einem Brief vom „Bündnis für Solidarität, Gesundheit und Demokratie“. „Wir danken den vier Kirchengemeinden vor Ort, wir danken den Vereinsmitgliedern, die uns aus der Mitte des Kladower Lebens heraus unterstützt haben, wir danken den Institutionen und den demokratischen Parteien. Ihr Rückhalt, Ihre Präsenz machen uns glücklich, und den vielen vielen Privatpersonen, die die Seele eines Dorfes sind.“
Der Zeitplan war super knapp, deshalb stand letzten Dienstag auch nur ein knapper Hinweis hier im Newsletter – aber bewusst an erster Stelle. „Genau vor einer Woche bekamen wir das Flugblatt der Querdenkerdemo in die Hand“, berichtete das Orga-Team. „Am Dienstagabend gründeten wir das Bündnis für Solidarität, Gesundheit und Demokratie und beschlossen die Gegendemo, am Mittwoch meldeten wir die Demo an, ab Freitag durften wir offiziell Werbung machen und am Samstag um 10 Uhr waren über 250 Personen da. Unserer Schätzung nach waren im Laufe unserer Demo ca. 500 Personen dabei.“ Und weiter: „Sie, liebe Kladower Familien, haben kreativ und friedlich demonstriert, so dass wir nun stolz und mit Haltung in den Advent gehen können.“ – Text: André Görke
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