Nachbarschaft

Veröffentlicht am 07.08.2018 von Robert Klages

Paul Weigl, Kabarettist und Poetry Slammer, schreibt hier heute über Siemensstadt und Spandau.

Wenn ich gefragt werde, wo ich wohne, antworte ich mit „Siemensstadt“, woraufhin ich ein „oh“ zurückbekomme, als hätten Sie gerade in der Südkurve Ihres Vereins einen Lattentreffer kommentiert. „Ist das nicht etwas laut, wegen der Flugzeuge?“ werde ich gefragt. Naja. Wer, wie ich, sechs Jahre an einer Tramkurve im Friedrichshain gewohnt hat, zieht das sanfte Brummen einer Boeing 737 dem Quietschen und Rattern einer gequälten M13 um zwei Uhr morgens vor.

Nicht selten beginnen sie, über Spandau zu lachen, weil es im „Szene-Kiez“ zum guten Ton gehört, sich darüber lustig zu machen. Oft erzähle ich sogar auf Poetry Slams oder Comedy Bühnen, dass ich aus Siemensstadt komme, um bereits bei der Begrüßung einen guten Lacher in Berlin zu ernten. Im Anschluss füge ich an, dass ich genauso über deren Mietverträge lache; dann verstummt das Gelächter schnell wieder.

Aber ganz ehrlich. Ich bin froh, dass viele Siemensstadt belächeln oder eine komische Miene ziehen. Denn solange sie lachen, wollen Sie nicht hierherziehen. Wer will denn schon an einen Ort, wo um 22:00 der Bordstein hochgeklappt wird, wenn er nicht noch vom Vorabend oben ist? (Der F-Hain kichert in seinen Club Mate-Longdrink.) Wo man auf dem Weg zum nächsten Spätkauf plötzlich in Charlottenburg steht? (Neukölln schunkelt genügsam.)

Ach Siemensstadt! Wo der 80-Jährige dem 90-Jährigen den Platz im Bus frei macht und dieser dann sagt: „Danke, junger Mann!“ (Kreuzberg lacht unverhohlen.) Ich habe dort neulich ein Kind gesehen… (Nach einer kurzen Pause beginnt Pankow langsam zu prusten und wippt die Kinderwägen sanft vor und zurück.) Dann füge ich noch hinzu, dass das Kind seinen mitgebrachten Fußball nicht gekickt, sondern Wilson genannt hat. (Das Prusten wird zum schallenden Gelächter.)

Jeder lacht sich ins Fäustchen über Siemensstadt und Spandau, ohne auch nur einen Fuß aus Ihrem Kiez mit irgendeinem ayurvedischen Soja-Papaya-Lassi gemacht zu haben. Und es ist gut so.

Mit seinem aktuellen Programm „Passionsfrüchten – Wie man Leidenschaft“ tourt Paul Weigl derzeit durch Deutschland u.a. am 27.09.18 im Mehringhoftheater. Weitere Informationen unter www.paulweigl.de.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: spandau@tagesspiegel.de