Nachbarschaft
Veröffentlicht am 30.04.2019 von André Görke
Ralf Rachner, 68, Chef vom „Musicland“ an der Klosterstraße in Wilhelmstadt. Den Musikladen kennt jeder – auch Bela B. von den Ärzten, Loveparade-Erfinder Dr. Motte oder Liedermacher Klaus Hoffmann, aber das erzählt Rachner einfach mal selbst. Ding, Dong.
Wie ging’s denn los, Herr Rachner? „Seit 1976 arbeite ich hier. Ich war DJ, hing immer im Musicland in der Uhlandstraße rum, wollte dort arbeiten, ich brauchte ja immer das neueste Zeug. Der Chef gab mir den Job hier in Spandau – und ich war schnell mein bestes Pferd im Stall (lächelt vergnügt). Die Wendezeit war wie Weihnachten, 1992 habe ich das Geschäft übernommen. Ich bin groß geworden in der Hippie-Zeit, mit Beatmusik, aber auch Led Zeppelin, Alice Cooper. Ich fand später auch Guns’n’Roses interessant und Nirvana … ach, ich hab‘ wirklich alles ausprobiert, Rock, Jazz, Elektro. Ich koche hier meine eigene Suppe, ich orientiere mich nicht an Mediamarkt, das wäre Blödsinn. Ich habe die Zeit der Kassetten überlebt, die CD-Ära, die Brenn-Phase, die ganzen großen Musikläden. Am besten finde ich sowieso Platten. Du musst einer Platte eine Chance geben, dich reinfühlen, neue Lieder entdecken – nicht so wie bei diesen Streaming-Diensten, wo man sich nur bequem und schnell die Lieblingssongs zusammenstellt. Ich mag die Cover-Kunst, ich mag den Sound der Platten – aber nur im Original! Billige Kopien gibt es bei mir nicht. Zu mir kommen viele Stammkunden. Die Leute geben schon mal 100 Euro aus für ’ne Platte. Pink Floyd habe ich immer da.“
Stimmt es, dass Sie Bela B. von den Ärzten kennen? „Klar, der Dirk, ein sympathischer Typ.“
Dirk Felsenheimer ist Belas bürgerlicher Name. „Dirk wohnte um die Ecke. Er hatte eine Lehre als Dekorateur in der Altstadt begonnen, drüben bei Hertie. Eines Tages kam er mit seiner Band rein, setzte sich da drüben hin und sah gar nicht lustig aus. ‚Die haben mich nicht übernommen‘, hat er mir erzählt. Mensch, stell dir vor, der wäre bei Hertie geblieben und würde heute Schaufenster dekorieren?!“
Und Klaus Hoffmann, der heute in Kladow wohnt? „Klaus war mein Schulkamerad. Ich kann mich an unsere erste Jugendreise erinnern – nach Sylt, ohne Eltern. Wir saßen wie die Pfadfinder mit Gitarre in den Dünen und haben mit Klaus ‚We shall overcome‘ gesungen. Und Motte kennste ja auch. Hat auch in der Nähe gewohnt und oft nach neuen Platten gefragt.“
Sie meinen Dr. Motte, den Erfinder der Loveparade. Wer kommt denn heute so rein? „Viele aus dem Kiez. Wir sind hier so eine kleine Sozialstation, ein Kieztreff, ein Ort zum Quatschen und Zuhören. Ich biete neuerdings auch mal ein Stück Kuchen an und zapatistischen Kaffee aus Südamerika. 1,50 Euro, ist ziemlich gut. Die Idee hatte meine Frau Miriam. Ich habe sie letztes Jahr geheiratet. Für die Hochzeitsreise habe ich mir eine Woche frei genommen – mein erster Urlaub in den letzten 25 Jahren (lächelt wieder vergnügt).“
Sind Sie eigentlich Spandauer? „Nein, ich wohne in Charlottenburg. Aber wir haben am Südpark einen kleinen Garten. Null Stress, da mag ich’s.“
Letzte Frage: Verraten Sie den Sinn des ominösen Logos? „Ist richtig alt, hat ein Künstler entworfen. Das ist ein Schallplatten gebärender Vogel. Haben Sie es erkannt?“
Service: Musicland, Klosterstraße 12, Ecke Altonaer Straße. Täglich ab 12 Uhr geöffnet. Kein Internet. – André Görke
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Dieses Interview haben wir dem neuen Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel entnommen. Den Spandau-Newsletter können Sie in voller Länge kostenlos lesen. Ganz unkompliziert bestellen unter leute.tagesspiegel.de