Nachbarschaft
Veröffentlicht am 16.07.2019 von Robert Klages

Liebe auf den zweiten Blick. Die Kabarettistin Frau zu Kappenstein wollte immer nach Berlin – aber nie nach Spandau. Dort wohnt sie nun jedoch, und das auch sehr gerne. Hier erzählt sie uns von ihrem Hass auf Busfahrer, schöne Friedhöfe und der besten Stadt der Welt:
„In den 70ern besuchte ich das erste Mal Berlin. Damals durfte in den gelben Doppeldeckern noch geraucht werden. Ich bezog am Wannsee Quartier und begab mich auf Entdeckungstour, welche mich bis in den historischen Teil der Stadt jenseits der Mauer führte. Damals begann, was bis heute andauert: Mein Herz schlägt für diese Stadt. 2011 gab es kein Halten mehr. Der Umzug aus dem Ruhrpott in die beste aller deutschen Städte war beschlossene Sache. In Berlin kann man hervorragend leben, solange man sein Dasein nicht bei aussichtslosen Wohnungsbesichtigungen fristen muss. Die endlosen Schlangen vor Berliner Mietshäusern soll man ja inzwischen sogar von der Raumstation ISS aus sehen können.
Seinerzeit konnte ich mir jeden Stadtteil für das Aufstellen meines Bettes vorstellen – bis auf Spandau, wo ich letztendlich doch gelandet bin. Dem Leerstand in der Zitadellenstadt 2011 sei Dank. Meine lange Suche nach einer hauptstädtischen Bleibe endete mit einem Umzug innerhalb von drei Tagen. Ich bezog eine frisch gestrichene Wohnung am Stadtrand. Zu ihren besonderen Merkmalen zählten ein Parkblick und ein Busfahrer als Nachbar. Letzterer war ein Musterbeispiel für Berliner Fahrpersonal – mit Herz und Schnauze. Leider war bei ihm und seinem verhaltensauffälligen Bello der Schnauze-Anteil etwas zu stark ausgeprägt.
In jenen Tagen entwickelte ich eine üble Busfahrer-Allergie. Um diesem Leiden zu entkommen, brachte ich einen weiteren Umzug hinter mich – von Hakenfelde-Nord nach Hakenfelde-Süd. Und ganz ehrlich, in einer so schönen Lage wie jetzt habe ich in meinem gesamten vorherigen Leben nicht gewohnt. Nun genieße ich einen atemberaubenden Blick auf meine Stadt. Ich winke dem Fernsehturm zu, der zum Glück nicht zurück winkt. Die friedfertige Zitadelle steht bei mir trutzig im Vorgarten und der Spandauer Rathausturm strahlt nachts in mannigfaltigen Farben.
Was ich an Spandau mag? Es ist grün, hat viel Wasser, eine sehenswerte Altstadt, eine geschichtsträchtige Zitadelle, Open-Air-Konzerte und Vieles mehr. Es kommen sogar Touristen nach Spandau, und das nicht nur zum legendären Weihnachtsmarkt. Mich ärgert jedoch, dass der Flughafen Tegel noch immer ein Flughafen ist. Umso mehr, als dass mir beim Einzug 2011 die unmittelbar bevorstehende Schließung versprochen wurde. Stattdessen kann ich auch heute noch alle fünf Minuten von meinem Fenster aus die Schweißperlen auf der Stirn der Piloten zählen, wenn sie sich auf die Landung in Tegel vorbereiten.
Ja, es ist laut in Spandau. Viel Flug- und anderer Verkehr. Es düst, brummt, hupt, quietscht und knattert allerorten. Doch nicht nur der Höllenlärm verleidet mir das Draußen sein auf Schritt und Tritt. Hundekot und Müll werden in Spandau offenbar sehr gern auf Gehwegen deponiert. Über die Jahre entstehen daraus kunstvoll anmutende Konglomerate. Es hat also auch sein Gutes: Wenn ich als Kabarettistin mal in den Ruhestand gehe, könnte ich hochpreisige Street-Art-Führungen anbieten. Ich habe übrigens eine Vermutung, auf welchem Flughafen die Kunstliebhaber aus aller Welt dann noch immer landen werden.
In den ersten Tagen als Neuberlinerin wurde mir schnell klar, dass ich gar nicht nach Berlin gezogen war. Denn es gilt: Wenn du aus Spandau kommst, dann kommst du nicht aus Berlin, dann kommst du aus Spandau. Deshalb fahre ich täglich nach Berlin und schaue nach, ob es noch da ist. Schließlich hat Spandau noch eine weitere positive Eigenschaft: Man kommt so gut von dort weg.
Herr Wowereit würde sagen: Und das ist auch gut so. Sie glauben gar nicht, wen ich in der Nachbargemeinde schon alles getroffen habe: Angela Merkel, Peter Altmaier, Jens Spahn, Frank-Walter Steinmeier, Klaus Lederer … Das politische Personal und viele andere Begebenheiten bieten reichlich Stoff für das zauberhafteste Licht – das Rampenlicht. Sie müssen wissen, dass ich alles mag außer Langeweile. Ich bin fest davon überzeugt, wer viel lacht, hat wenig Zeit für Krankheiten.
Ganz nebenbei habe ich hier in Spandau wunderbare Menschen entdeckt. Zum Beispiel Herrn Denny. Zusammen laden wir in unseren Podcast namens „Berliner Schätzchen“ ebensolche ein, stets auf der Suche nach kuriosen und amüsanten Geschichten aus ihrem Leben in, mit und trotz Berlin. Nicht nur hinhören, sondern auch hingucken kann man bei dem Musiker und Entertainer Matthias Wiesenhütter. Gemeinsam geben wir auf der Bühne regelmäßig Absurditäten aus der Hauptstadt zum Besten.
Für mich steht fest, dass ich in Berlin bleiben werde. Todsicher. Ich habe mir schon einen Friedhof ausgesucht. Und jetzt noch ein Superlativ: Berlin ist die Stadt mit den schönsten Ruhestätten. Glücklicherweise haben sich an diesen Orten noch keine Warteschlangen gebildet. Jetzt bleibt mir nur die Hoffnung, dass man mich nicht neben einen Busfahrer einbuddeln wird. Ein erneuter Umzug wäre doch etwas schwierig. Aber vielleicht gewöhne ich mich bis dahin an Dein Herz mit Schnauze, mein Spandau.“
Ihre Bühne für Comedy und Kabarett hat Frau zu Kappenstein allerdings in Marzahn: Immer freitags im Freizeitforum Marzahn: „Immer wieder freitags“ mit wechselnden Gästen. Allerdings erst wieder nach der Sommerpause: Am 27.09. ist die Kabarettistin Gisela Oechelhaeuser zu Gast. Zum Programm.
Foto: Michaela Hanf
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-a.goerke@tagesspiegel.de