Nachbarschaft

Veröffentlicht am 29.10.2019 von André Görke

Berlin-Spandau 1989-2019. Neulich hatte ich Sie, die Leserinnen und Leser des Tagesspiegel-Newsletters für Berlin-Spandau, nach Mauerfall-Erinnerungen gefragt. Und ich bekam klasse Geschichten in die Mailbox geschickt. Zum Beispiel von Birgit A. Ohström, 55. Sie führt Touristen durch die Altstadt.

Frau Ohström, Ihre Mauerfall-Geschichte aus Berlin-Spandau, bitte! „Kurz nach dem 9. November bummelten wir durch die Altstadt. Plötzlich sprach uns jemand an, ob wir uns hier auskennen würden. Ja, schon, worum es denn ginge? Der Herr, schnell als Bürger der DDR identifiziert, wollte wissen, wo die Freiheit sei. Einigermaßen verblüfft, behielten wir sämtliche mehr oder minder lustigen und dämlichen Bemerkungen für uns. Der Mann suchte sein Auto – okay, seinen Trabi. Die Polizei hatte das Auto abgeschleppt und ihm erklärt, dass es sich „in der Freiheit“ befinde. Der Mann war sich nicht sicher, ob das ein schlechter Scherz war. Aber wir konnten helfen – auch wenn er etwas ungläubig geguckt hat, als wir ihm erzählten, dass es in Spandau tatsächlich eine Straße namens Freiheit gibt.“

Sind Sie Spandauerin? „Seit meinem zwölften Lebensjahr. Ich habe am Freibad Oberhavel gewohnt, in der Neustadt am Lutherplatz, in der Wilhelmstadt, nahe der Altstadt – ein typisches Spandauer Leben also. So ist das bei vielen hier: Die Leute bleiben für immer in Spandau oder kehren später wieder zurück.“

Was machen Sie in Spandau? „Ich bin seit zwölf Jahren Stadtbilderklärerin, also Gästeführerin, so richtig mit Zertifikat. Ich bin also kein Hobby-Guide, der das nebenbei macht, sondern professionell. In der Altstadt bieten wir das über ‚Visit Spandau‘ an, jetzt ist aber erst mal Winterpause. Wir möchten Touristen an den Stadtrand locken – im Frühjahr 2020 legen wir wieder los.“

Was erzählen Sie den Leuten so? „Oh, Spandau ist super – eine Stadt der Superlative, um mal richtig anzugeben. Wir haben das längste Bahnhofsdach in Deutschland, den größten Busknoten der Hauptstadt, Spandau ist die größte Stadt an der Havel…“

Wo ist Ihr Lieblingsort? „Muss ich mal nachdenken… auf alle Fälle am Wasser! Ich bin unglaublich gern an der Mündung von Spree und Havel und gucke mir die Schiffe an. Toll ist auch die Sitzbank an der Schleuse. Herrlich entschleunigend – machen Sie das mal. Oder gehen Sie auf der anderen Seite der Schleuse um die Zitadelle herum. Da entdecken Sie plötzlich Sportler beim Wildwasser-Rafting im Zitadellen-Graben, versteckt unter den Bäumen. Ein wilder Ort!“

Was muss man außerhalb des Spandauer Zentrums gesehen haben? „Viel zu wenig Leute kennen in Berlin das Luftfahrtmuseum Gatow: Wenn Sie dort über das riesige Feld auf den Tower zulaufen und dann neben den Flugzeugen der Sowjets, der DDR und all den Nationen stehen… so nah kommen sie nirgendwo an Flugzeuge der Militärgeschichte heran. Nur reinsetzen dürfen Sie sich nicht. Das ist spannend und ungewöhnlich. Und wenn die Leute einmal dort unten sind in Kladow, diesem alten Bauerndorf an der Havel, dann schicke ich sie gleich weiter zur BVG-Fähre. Die fragen dann immer: ‚Ist das echt Berlin hier?‘“

  • Sie suchen mal eine andere Idee für die Firmen-Weihnachtsfeier? Oder für den nächsten Geburtstag? Ohström bietet persönliche Spandau-Führungen. Kontakt und Buchung: www.abenteuer-berlin.net
  • Mehr Ausflugs-Touren? „Visit Spandau“ hat Fahrrad-Touren durch den Bezirk zusammengestellt – hier die Übersicht. Schöne Sachen für den sonnigen Herbst dabei!

Ihre Wende-Geschichten, Ihre Mauerfall-Events. Die besten Geschichten und Tipps veröffentliche ich hier im Tagesspiegel-Newsletter – Hauptsache aus Spandau. Und ich freue mich auf Ihre Termine, was Sie in Ihrem Kiez, Ihrer Kirchengemeinde, Ihrem Sportverein auf die Beine stellen, um an das Mauerfall-Jubiläum zu erinnern. Mail an mich: spandau@tagesspiegel.de.

Spandauer Rätsel: Und warum heißt die Freiheit jetzt „Freiheit“? Die Straße, in der der Mann seinen Trabi 1989 hoffentlich wiedergefunden hat, liegt am S-Bahnhof Stresow. Der war bis 1997 Spandaus Hauptbahnhof – hier meine Tagesspiegel-Fotostrecke. Und woher stammt der Name? Blick ins Berliner Straßenlexikon Kauperts: „Der Name bezieht sich seit 1870 auf die ‚Freiheitswiesen‘ zwischen Spree und Charlottenburger Chaussee, durch die die Straße führte. Die Bezeichnung bedeutete soviel wie: ‚von Abgaben befreites Land‘.“ Vorher hieß die Straße Lindenallee. Jetzt wissen Sie’s. – Text: André Görke
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Zum Newsletter-Autor. André Görke ist stellvertretender Berlin-Chef beim Tagesspiegel und groß geworden in Spandau.