Nachbarschaft

Veröffentlicht am 07.01.2020 von André Görke

Stephan Machulik, SPD, 47, Stadtrat im Rathaus von Berlin-Spandau. Er ist unter anderem zuständig fürs Ordnungsamt.

Herr Machulik, in der Altstadt gibt es seit Herbst Poller. Die Dinger sollen die Leute abschrecken, einfach mit dem Auto durch die Altstadt zu fahren. Machen aber immer noch genug – ein Poller ist meistens umgeklappt. Wann schicken Sie Ihre Leute raus? „Sind sie doch, täglich sogar. Das Ordnungsamt zettelt ohne Ende. 35 Euro kostet das jedes Mal, wenn Autofahrer in der Fußgängerzone parken. Für mein Empfinden ist das zu wenig. Das müsste 100 Euro kosten, dann würden Falschparker zwei Mal überlegen…“

Klappen Sie doch den Poller hoch. „Nein, das geht nicht so einfach. Ich stehe mit meinem Kollegen Frank Bewig in Kontakt. Wir beobachten die Entwicklung. Ich kann jeden verstehen, der sich über die Falschparker ärgert – aber lassen Sie sich nicht vom Eindruck täuschen, wenn mal wieder sechs, sieben Autos morgens auf dem Marktplatz parken. Viele haben ein dringendes Anliegen: Ärzte, Patienten, Apotheken-Lieferdienste, Geldtransporter, auch die BSR muss an den Pollern vorbei. Da ist mir zu viel künstliche Aufgeregtheit dabei, da wir im Bezirk an Lösungen arbeiten.“

Machen Sie doch Schwerpunkteinsätze im Bezirk – mit Polizei und Abschleppern gegen Falschparker. „Nee, sorry! Ich stelle mich nicht neben einen Abschlepper, im Hintergrund Blaulicht, und gebe vorne ein Interview. Können andere gerne machen, ich finde das komisch. Meine Leute vom Ordnungsamt sind gut. Die kriegen das schon allein hin – da muss nicht noch der Machulik stören und kluge Sprüche auf der Busspur geben. Und ich werde einen Teufel tun und Schwerpunkteinsätze vorher im Tagesspiegel ankündigen… warten Sie mal den Frühling ab.“

Herr Machulik, in Spandau gibt es ständig Ärger um Falschparker. Die blockieren BVG-Spuren, behindern den eh schon engen Verkehr und… „…weiß ich alles: Ich habe derzeit durchschnittlich sechs Außendienstmitarbeiter für sämtliche Ordnungswidrigkeiten draußen pro Schicht im Einsatz. Das ist leider nicht viel, aber es werden 2020 endlich mehr – wir kriegen 20 neue Kräfte finanziert.“

Andere Bezirke denken an eigene Abschleppdienste. Und Sie? „Ich will einen Vertrag mit einem Abschleppdienst abschließen, der mit einem Schlepper zu bestimmten Zeiten nur für uns in Spandau im Dienst ist.“

Wo ist es besonders schlimm in Spandau?„Neuendorfer Straße, Askanierring, oben im Neubaugebiet bei den Pepitahöfen… aber das alles den Autofahrern in die Schuhe zu schieben, ist mir zu einfach. Das ist auch ein Stück verfehlte liberale Politik.“

Was meinen Sie? „Irgendwann haben wir die Vorgaben für Parkplätze in Wohnquartieren und für Gewerbeunternehmen mit Fuhrpark abgeschafft. Und jetzt verdichten wir Häuserlücken, setzen Wohnungen auf Dächer, bauen ein Viertel für 1000 Menschen und wundern uns, dass die Leute auch noch ein Auto mitbringen. Na, huch! Es gibt leider keine U-Bahn, keine S-Bahn, keine Straßenbahn in den Quartieren westlich der Havel – und die BVG-Busse quälen sich durch die Straßen. Ich kann es verstehen, wenn dort viele ihr Auto nicht abschaffen. Ich wohne selbst im Spandauer Norden, ich kenne die Lage.“

Sie fahren viel Fahrrad. „Ist mir aber auf den Hauptstraßen mit den 2-Reihe-Parken oft zu gefährlich. Allerdings muss ich genauso sagen: Schön war es als Radfahrer früher auch nicht. Ich finde auch nicht, dass mehr Radfahrer unterwegs sind. Sie sind nur lauter mit ihren Forderungen geworden und das ist auch richtig so.“

Fahren Sie Auto? „Selten. Wenn ich in die Stadt muss, stelle ich mich ins Parkhaus – oder noch schneller: Ich nehme die Regionalbahn. Bis zum Rathaus fahre ich in der Regel mit dem Fahrrad. Mich ärgern auch die vielen Paket-Lieferanten und Pizza-Dienste in der zweiten Reihe – aber das sind die, die wir alle täglich rufen. Auch da setzen wir mit dem Ordnungsamt Nadelstiche: Zwei Leute fahren eine Stunde raus – das macht schnell 20 Strafzettel. Das spricht sich rum in der Nachbarschaft. Mich persönlich nerven auch die vielen Anhänger, die überall auf den Straßen rumstehen. Von Markthändlern, Booten, Bauunternehmen…“

… haben Sie ein Extrem-Beispiel? „Vor der Borchert-Schule am Askanierring ist das extrem nervig. Aber wenn die Anhänger alle zwei Wochen bewegt werden, haben wir keine gesetzliche Handhabe.“

Ärger gab es auch am Glienicker See in Kladow, wo Autofahrer seit Jahren alles vollparken. 2019 wurde sogar dreist im Feld geparkt. „Ja, es war früher schlimm – aber sollen wir es deshalb so lassen? Nein. Wir werden im Hochsommer 2020 öfter zum Glienicker See rausfahren. Vielleicht bringt auch der Einsatz von Parkwächtern etwas. Ich kann aber nicht zwei Leute den ganzen Tag am Badesee abstellen. Da sagen die Leute zurecht: Habt ihr vom Ordnungsamt nichts besseres zu tun?!“

Was haben Sie denn besseres zu tun? „39 Leute haben wir insgesamt. Die Kolleginnen und Kollegen kontrollieren Spielhallen, Alkoholkonsum, Currywurstbuden, Hundehalter, Müllsünder. Und sie rücken nachts zu Jugendschutzkontrollen aus. Ab 2020 sind wir bis Mitternacht im Dienst…“

…auch in Zivil? „Ja, weil es ja keinen Sinn macht, draußen vor dem Schaufenster der Shisha-Bar mit dem Ordnungsamt-Auto zu parken. Da ist der Überraschungseffekt schnell verpufft. Es geht öfters um mehr als um Ordnungswidrigkeiten. Dort, wo wir in bestimmten Einrichtungen und Kiezen mehr vermuten, arbeiten wir eng mit Polizei, LKA und Zoll zusammen. Diese abgestimmten Kontrollen werden wir in Zukunft verstärken.“ – Gespräch: André Görke

Nicht die Poller, sondern die Falschparker sind das Ärgernis: Lesen Sie mehr im Spandau-Newsletter. Hier ein paar Lektüre-Tipps:

  • „Das Verhalten dieser Automobilisten ist inakzeptabel und rücksichtlos.“ So sieht es der Chef des Verkehrsausschusses, Jochen Liedtke, SPD. Hier der Text.
  • Bis 11 Uhr dürfen bestimmte Autos in die Altstadt fahren. Aber es wird schlimmer. So erleben es Anwohner am Markt. Hier der Augenzeugen-Bericht im Newsletter.
  • „Die Durchfahrten machen 30 Prozent der illegalen Autofahrten in der Altstadt aus. 10.500 Euro kosten die Sperren. Wir testen das jetzt.“ Lesen Sie hier, wie die Poller das Abkürzen durch die Fußgängerzone erschweren sollen und wann automatisch versenkbare Poller kommen könnten. Hier das Newsletter-Interview mit Stadtrat Frank Bewig, CDU.

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Dieser Text ist zuerst im Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau erschienen. Den gibt es einmal pro Woche – kostenlos, kompakt und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de.
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Meine weiteren Themen aus dem neuen Spandau-Newsletter – eine Auswahl

  • Bello-Statistik für Spandau: Hunde, wie viele seid ihr?
  • „Das werden wir uns 2020 öfter anschauen“: Newsletter-Interview mit Stadtrat Stephan Machulik über Strafzettel, Abschlepper und Poller in der Altstadt.
  • Jetzt ist es amtlich: Gedenkfeier für Tote ohne Angehörige jetzt auch in Spandau – der Pfarrer nennt Details im Newsletter
  • „Ich gucke seit 25 Jahren auf dieses Grundstück“: Spandaus Chef-Planer im Newsletter-Gespräch über die 100-Mio-Baustelle neben dem ICE-Bahnhof
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