Nachbarschaft

Veröffentlicht am 21.01.2020 von André Görke

Maximilian Knabe, 27, aus Berlin-Hakenfelde. Er ist Gamer, Youtuber, Influencer, Moderator. Den Spandauer kennen Millionen Menschen.

Das Büro von Max Knabe liegt auf Insel Eiswerder in einem umgebauten Industriebau, das früher mal ein Getreide-Silo war. Hier ist die Zentrale von „HandofBlood“, kurz: Hänno – so lautet sein Künstlername. Knabe ist einer der bekanntesten Menschen aus Spandau. Abonnenten bei Youtube: 1,8 Millionen. Instagram: 560.000. Twitter: 560.000 (und damit 200.000 Abonnenten mehr als der Tagesspiegel bei Twitter, aber das nur am Rande).

Max Knabe schrieb eine der Geschichten des Jahres 2019. Weil er bei einer Gamer-WM in New York 62.500 US-Dollar erspielte und das Geld mal eben weiterreichte ans Tierheim in Berlin. Hat der so viel? Womit verdient der Geld? Und wer ist das eigentlich? „Lassen Sie uns um die Insel Eiswerder laufen“, erzählte mir Knabe, als ich ihn für den Spandau-Newsletter besuche. „Das ist wie an der Ostseepromenade.“

  • Herr Knabe, wie geht’s Falco? „Gut, Danke, liegt im Büro.“
  • Falco heißt Ihr Hund. Ihn haben Sie aus dem Tierheim am Berliner Stadtrand geholt. Jenem Tierheim, dem Sie im letzten Jahr mal eben 62.500 US-Dollar gespendet haben. Ist das Geld schon überwiesen? „Ach, es ist kompliziert. Geld aus den USA, ein Spende, die Steuern… hat das Finanzamt auch nicht alle Tage. Aber das Geld fließt jetzt endlich.“
  • Wie kam es überhaupt zur Spende? „Sagt Ihnen Fortnite was?“
  • Naja. Ein Computerspiel. Da machen 250 Millionen Leute mit, und die Besten traten in New York bei der WM an. „So ungefähr, ja. Die WM fand im Tennisstadion der US Open vor 20.000 Zuschauern statt, aber am Bildschirm waren Millionen weltweit dabei…“
  • … es ging um ein Preisgeld von 30 Millionen Euro… „korrekt, aber ich war ja kein Spieler, sondern gehörte zum Vorprogramm. Ich sollte das machen, was ich am besten kann: quatschen und andere auf den Arm nehmen. Wir bekamen 250.000 US-Dollar Gage, wir waren zu viert aus Berlin, also standen mir 62.500 US-Dollar zu.“
  • Und das reichen Sie mal eben weiter? „Das ist unglaublich viel Geld, gar keine Frage, aber ich hatte mit der Gage nicht gerechnet. Und weil ich das nicht im Kopf verplant hatte, habe ich es für einen guten Zweck verwendet, fürs Tierheim. Wissen Sie, meine Mutter war Hundezüchterin, die hat mir die Hunde morgens ins Bett geworfen, ich kenne es nicht anders. Tiere liegen mir mein Leben lang am Herzen, denen will ich helfen. Ich wollte mir einen Bürohund holen und lieber ein Tier aus dem Heim retten, als einen Hund beim Züchter zu kaufen. Da kam mir die Idee, das Thema auf meinem Kanal zu thematisieren. Ich rief im Tierheim an und erzählte, wer ich bin.“
  • Ich ahne die Antwort. „Hat natürlich erst keiner verstanden, was ich wollte. Gamer? Tierheim? Was will der von uns? Irgendwann war denen klar, dass ich drei, vier Leute über meine Kanäle erreiche und sie davon profitieren können. Wir haben dann einen Film über das Tierheim gedreht, und ich habe dort Falco entdeckt. Die machen tolle Arbeit. Aber das Tierheim benötigt jedes Jahr neun Millionen Euro Spenden – neun Millionen! Müssen Sie sich mal vorstellen.“

Knabe läuft über die Insel-Promenade. An einem kleinen Strand bleibt er stehen: „Hier baden wir im Sommer, wenn’s im Büro zu heiß wird – da laufen ja rund um die Uhr Scheinwerfer und Bildschirme.“ Wir setzen uns auf eine Parkbank mit Blick auf die Zitadelle.

  • Herr Knabe, wie erklären Sie, was Sie eigentlich als Beruf machen? „Ich kommentiere Videospiele. Warum? Weil die Leute das mögen und zwar so, wie ich das mache. Es geht um ein Miteinander, das ich unterhaltsam und humorvoll begleite. Und sie mögen das, weil sie selbst spielen. Achten Sie mal im BVG-Bus oder in der Regionalbahn darauf, wie viele Erwachsene Candy Crush auf ihrem Handy spielen. Völlig normal, kein Nischending. Und dann gibt es noch die E-Sportler.“
  • Da geht’s um Millionen, Werbeverträge, Sponsoren. Und da sind Sie… „nee, bin ich nicht. Ich bin kein E-Sportler. Ich bin auch kein Casual, also kein Gelegenheitsspieler – ganz im Gegenteil: Ich bin Gamer, der täglich zockt, mit einem Hang zum Wettkampf. Und ich bin Moderator, Influencer, auch Sprachrohr, weil wir gemerkt haben, das auch wir uns mehr öffnen und erklären müssen.“
  • Herr Knabe, Sie sind 27 Jahre alt. Wann hat man als E-Sportler das beste Alter? „Mit 16. Da bist du fit, schnell, koordinativ, sowohl in der Bewegung, als auch im Kopf. Die besten E-Sportler reisen ja sogar mit eigenen Köchen durch die Welt…“
  • … das ist jetzt ein Scherz!? „Nein, die Top-Leute müssen fit sein. Und es ist nun mal nicht hilfreich, wenn du nur Salami-Pizza futterst und dann träge vor dem Bildschirm sitzt. Wir sprechen von APM, Action per Minutes. Die Top-E-Sportler müssen 350 Entscheidungen pro Minute am Bildschirm treffen – 350! Das ist purer Stress. Da hilft ein voller Magen nicht. Es gibt sogar Trainingslager, um fit zu sein. Wie im konservativen Sport haben die Sportler auch Manager, Analytiker, Trainer. Wer bei E-Sportlern immer noch an Chipstüten denkt, hat die letzten 20 Jahre verpasst und zu viel Reportagen über Killerspiele gesehen. Das ist eine Wirtschaftsbranche.“

Knabe spricht über andere Länder, die weiter sind als Deutschland. Er spricht über Politik, Eltern, Erziehung und über die Tagesgage von 15.000 Euro, die ihm Firmen zahlen – mehr lesen Sie gleich im ausführlichen Teil des Tagesspiegel-Interviews, das ich für Sie online aufbereite. Seine Fanartikel entwirft eine Firma, die sich sonst um Metallica oder Sido kümmert. „Der Designer“, erzählt Knabe, „ist übrigens auch Spandauer.“ 

  • Herr Knabe, Millionen kennen Sie. Aber es gibt fast keine Interviews in klassischen Medien mit Ihnen. Sie sagen, wenn’s falsch ist: Sie sollen Klarinette spielen können, aus Salzgitter kommen… „korrekt, und in Braunschweig habe ich die Waldorfschule besucht. Salzgitter ist eine große Kleinstadt – da stand mein Bett im Haus meiner Eltern, aber weil die letzte Bahn um 21 Uhr fuhr, wollten wir Jugendlichen weg. Braunschweig war städtischer, da habe ich an der TU studiert. Mein Geld habe ich bei McDonalds verdient am McDrive-Schalter. Ich habe auch früher schon Youtube-Videos gedreht – mit selbstgebautem Stativ aus Playmobil und Urlaubs-Camcorder auf dem Dachboden meiner Eltern. Tja, wollte nur leider keiner sehen. Wirtschaftswissenschaften waren aber auch nicht so mein Ding, also wollte ich schon zur Uni im Harz wechseln.“

Es kam anders. Knabe bekam einen Praktikumsplatz bei „Freaks 4U Gaming“. Die haben ebenfalls in Spandau ihren Firmensitz (nahe der Zitadelle) und gelten als „Hidden Champion“ in der Wirtschaft, also als versteckter Branchenführer.

  • Wie fing das an in Spandau? „180 Leute haben die heute bei ‚Freaks 4U Gaming‘. Als ich anfing, waren es 28, und das ist erst fünf Jahre her. Ich bin jede Woche mit dem Fernbus nach Berlin gefahren. Ätzend! Ich zog schließlich nach Spandau, nichts Aufregendes. Die letzten Jahre haben wir am Päwesiner Weg gewohnt. Mir geht es gut, ich spare, aber ich brauche kein Loft. Ich mag mein Hakenfelde, ich laufe jeden Tag zur Arbeit.“
  • Aber Spandau hat doch so ein ödes Image. „Erste Party in Berlin, zack!, wo wohnst du? Ich wurde gleich auf den Arm genommen. Ich merkte schnell: Spandau war Vorstadt, bisschen zu stolz, ziemlich uncool. Ich dachte mir: Hey, ich bin doch eigentlich der, der die Leute auf den Arm nimmt und die größte Schnauze hat. Also habe ich das umgedreht, kokettierte mit dem Stadtrand und machte daraus eine Marke: ‚Spandauer Inferno‘ nannten wir unser Spiel-Team, und ich war ‚HandofBlood‘. Spandau stellten wir in unseren Filmen als das letzte elitäre Dorf vor, mit eigenen Regeln wie einst in Sparta. Unser Spruch wurde: ‚Man wendet sich nicht gegen Spandau‘. Und zu WM-Turnieren fuhren wir mit der Stretch-Limo vor. Was für ein Lacher – passt null zu Spandau, kam aber super an! Wir haben alle auf den Arm genommen, vor allem uns selbst. Ich glaube ja, dass die Leute Spandau mögen, weil es so normal ist wie ihr eigenes Dorf – eben nicht wie die Innenstadt. Die Leute können sich mit uns identifizieren: Hey, der verteidigt auch sein Dorf. Und so kommt es, dass jeder Jugendliche aus Meppen-Süd oder Buxtehude Spandau kennt.“
  • Jetzt wollen Sie umziehen… „Ach, nur um die Ecke, in die Altstadt. Wir werden größer und stellen neue Kräfte ein, aber wir bleiben in Spandau. Friedrichshain nimmt mir doch keiner ab.“

Im Büro auf Insel Eiswerder hängen Schwerter und Plastikpistolen an der Wand, in der Ecke stehen absurde Kostüme und Perücken (Foto), die Knabe in seinen Videos überzieht. Da prollt er rum, kreischt, blödelt. Hier im Büro siezt er durchgehend – die Kamera ist aus, das hier ist Business. 2019 hat er mit Kollegen eine eigene Agentur gegründet: Instinct3. Jetzt ist er selbst Arbeitgeber – und kämpfte mit Depressionen, nahm seinen Opa als Vorbild und freut sich über das Dankeschön aus dem Tierheim.

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