Nachbarschaft

Veröffentlicht am 31.03.2020 von André Görke

Gudrun Widders, 61, Chefin im Gesundheitsamt in Berlin-Spandau. Sie habe ich heute im Interview. Der Anlass: die Corona-Krise.

Erst einmal: Wer ist Spandaus wichtigste Frau in der  Corona-Krise? Hier die Kurzvita: Sie ist in Lichtenberg aufgewachsen, Ärztin, hat einst das Gesundheitsamt in Cottbus geleitet und führend fürs Land Brandenburg gearbeitet. Seit 2011 ist sie Leiterin des Gesundheitsamtes in Spandau. Und sie vertritt klare Interessen: Sie ist Vize-Landesvorsitzende des „Verbands der Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst“. Und kurz privat: Sie ist Mutter von drei Kindern. – Quelle: Robert Koch Institut

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Guten Morgen Frau Widders, es ist 7.40 Uhr, wo erwische ich Sie gerade? „Am Autotelefon. Ich fahre gerade ins Büro, gleich ist Morgensitzung.“

Die erste Corona-Konferenz des Tages? „Ja. Wir treffen uns immer in der Früh mit Bezirksstadtrat Frank Bewig, als Arbeitsstab. Wie ist die Morgenlage? Wie sind die Zahlen? Wo brauchen wir Personal? Er unterstützt uns, und zwar jeden Tag, das ist leider nicht immer so in der Politik.“

Frau Widders, Sie sind die Chefin des Gesundheitsamtes und damit Spandaus wichtigste Frau in der Corona-Krise. „Danke, aber die wahren Helden der Arbeit sind meine Kolleginnen und Kollegen. 70 Leute sind allein wegen Corona jeden Tag in Spandau im Einsatz, derzeit kommen viele temporär hinzu und helfen uns. Die Belastung ist enorm hoch, über Tage und Wochen. Viele von ihnen arbeiten bis zu 14 Stunden, sehen ihre Familie selten, kommen spät nach Hause, haben ihre Handys immer an und kümmern sich um die Ermittlungen zu Corona-Fällen und zu Kontaktpersonen. Das sind übrigens hunderte Patienten mehr als im Krankenhaus. Alle haben große Anerkennung verdient.“

Sie wünschen mehr Beachtung in der Politik? „Ich glaube, dass sich alle in den Gesundheitsämtern freuen würden, wenn unser Bürgermeister Michael Müller stellvertretend für Politik und Öffentlichkeit ihre Leistungen – die übrigens auch in Zeiten ohne Corona erbracht werden – wertschätzen würde. Und wenn die Menschen draußen auf den Balkonen klatschen und den Ärzten, Pflegern, Schwestern symbolisch Applaus spenden – eine wirklich schöne Aktion! –, dann klatschen Sie doch bitte noch einmal mehr für die Leute im Gesundheitsamt. Wir haben momentan einen Mammutanteil der Arbeit und verhindern mit der Quarantäne Schlimmeres für die Bevölkerung. Das können wir bereits jetzt erkennen, wenn positiv auf Covid-19 getestete Kontaktpersonen schon durch uns in Quarantäne sind. Wir schaffen das alles nur gemeinsam.“

Frau Widders, Ihre drei Tipps gegen Corona? „Abstand halten. Hände waschen. Nicht anhusten.“

Wie ist die Corona-Lage in Spandau? „Spandau hat es besser als Innenstadtbezirke wie Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf oder Friedrichshain-Kreuzberg, also städtebaulich. In Spandau gibt es mehr Grün – Parks, Wälder und Gärten. Die Leute können ihre Freizeit anders verbringen als in der Innenstadt und sich besser aus dem Weg gehen. Wahrscheinlich deshalb ist die Ausbreitung in Außenbezirken wie Spandau und Marzahn-Hellersdorf geringer.“

Wie ist Ihr Team in der Corona-Krise aufgestellt? „Das ändert sich jeden Tag, weil wir uns der Epidemie anpassen müssen. Ein Beispiel: Wir hatten in den ersten Tagen unglaublich viele Anrufe im Gesundheitsamt. Die Leute hatten Angst. Manche waren sogar in Panik und alle hatten Fragen – ganz, ganz viele Fragen.“

Also? „Also haben wir die Mitarbeiter geschult, medizinisch gebrieft und in der Stadtbibliothek eine große Hotline mit bis zu 25 Menschen für den Bedarf aufgebaut. Mittlerweile sinkt die Zahl der Anrufe. Dafür brauchen wir jetzt mehr Mitarbeiter im Kontaktverfolgungsteam, das sich um die Menschen kümmert, die sich in Quarantäne begeben mussten.“

Wie viele Teams haben Sie denn in Spandau? „Ich kann das kurz mal darstellen. Wir haben als erstes die Hotline, wie eben beschrieben. Dann haben wir die  Gesundheitsaufseher, die ich hervorheben möchte: Sie machen eine sehr qualifizierte und anspruchsvolle Arbeit. Sie ermitteln zu den gemeldeten Fällen, erfassen die Kontaktpersonen und legen Infektionsschutzmaßnahmen fest. Sie sind schlecht bezahlt, aber unglaublich wichtig, und bei uns machen sie einen super Job. Das Team wurde durch die Schulung von anderen Mitarbeitern aus dem Gesundheitsamt fast verdreifacht. Dann haben wir das Excel-Daten-Team – weil es eine große Flut an Zahlen gibt, mit denen wir täglich verlässlich arbeiten müssen. Ein weiteres Team ist eben jenes Kontaktverfolgungsteam, das sich um Erkrankte und Kontaktpersonen kümmert, die in Quarantäne versetzt wurden. Jeden Tag rufen Sie bei diesen Personen an. Außerdem haben wir das Post-Team, ohne das die Bürger ihre Bescheide nicht rechtzeitig erhalten würden. Und wir haben das Abstrich-Team in der Klosterstraße, das letztlich ganz nah dran ist, übrigens auch mit einer mobilen Einheit.“

Das sind die Leute mit den Schutzanzügen? „Genau, mit FFP2-Maske als Mund-Nasen-Schutz…“

…was ist noch mal eine FFP2-Maske? „Na, eine spezielle Maske – da kommen die Corona-Viren nicht durch. Und die Kollegen tragen Kittel, Einmalschutzhandschuhe, Visier oder Brille vor den Augen, so etwas. Und wir haben noch viel mehr Leute in der Verwaltung, denen ich dankbar bin.“

Haben Sie auch ein Gute-Laune-Team? „Die Stimmung in den Teams ist gut – trotz der hohen Belastung.“

Das Rathaus klagt immer über wenig Personal. Wo kommen all die Mitarbeiter her? „Im Rathaus arbeiten viele, die wegen der Beschränkungen zur Eindämmung von Corona-Infektionen gerade im Homeoffice sind. Wir bekommen Hilfe aus allen Ämtern – quer durch das Bezirksamt. Alle wollen helfen. Besondere Unterstützung bekommen wir auch von der Planungs- und Koordinierungsstelle, die dem Bezirksstadtrat zugeordnet ist. Bei ihm trifft sich der Arbeitsstab jeden Morgen. Die fachliche Leitung liegt bei mir. Ich selbst bin Fachärztin für Allgemeinmedizin, für Öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizinerin. Die Ärzte im Gesundheitsamt arbeiten ja nicht ohne Grund hier. Es gibt für uns nämlich viele andere Aufgaben, zum Beispiel für die Kinderärzte, die Sozialpsychiater, die Kinder- und Jugendpsychiater, für die gutachtlich tätigen Kollegen, die Zahnärzte, für den Infektionsschutz, die Hygiene… Wenn also zur Zeit Kinderärzte keine Einschulungsuntersuchungen machen dürfen, dann helfen Sie in der Gesundheitsaufsicht bei der Ermittlung zu Corona-Meldungen oder im Abstrich-Team.“

Aber es arbeiten nicht alle im Corona-Team. „Nein, natürlich nicht. Wir haben immer noch den Alltag, der nicht runterfallen darf. Kinderschutz, Versorgung psychisch oder suchtkranker Menschen, Notsprechstunden müssen aufrecht erhalten bleiben. Unsere Aufgaben reichen bis zu den ordnungsbehördlichen Bestattungen. Aber darüber unterhalten wir uns bitte ein anderes Mal.“

Sie sind jetzt mit Ihrem Auto im Rathaus offenbar angekommen, Frau Widders. Verraten Sie mir noch, wie Sie sich ablenken? „Ich wohne im Havelland. Ich habe einen kleinen Garten, der hält mich frisch. Ich tanze sonst sehr gern – aber diese Leidenschaft fällt leider gerade aus.“ – Interview: André Görke

  • Info-Telefon des Bezirks zu Corona: 90279-4012,-4014,-4026, Montag bis Freitag, 8 bis 17 Uhr. Infos: Rathaus Spandau.
  • Zentrales Info-Telefon des Senats zu Corona: 90 282828. Alle Infos berlinweit: berlin.de/corona
  • Tagesspiegel-Berlin-Blog: Hier lesen Sie alle Nachrichten zu Corona in unserer Stadt und Ihrem Kiez.

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