Nachbarschaft

Veröffentlicht am 21.04.2020 von André Görke

Vor 75 Jahren endete der Krieg in Berlin-Spandau. Dieser Text betrifft die ganze Nachbarschaft – alle Kieze von Hakenfelde bis Kladow. Es geht um den Gedenktag „8. Mai 1945“. Doch die entscheidenden Stunden in Spandau waren viel früher – nämlich in dieser Woche vor 75 Jahren.

Das Foto zeigt den Vorplatz der Dorfkirche in Staaken. Zu sehen ist das Denkmal mit dem Stern oben drauf. Darauf steht: „Zum Gedenken an die Befreiung am 25. April 1945 durch die Rote Armee.“ Das ist der kommende Sonnabend.

Und wann war Kriegsende in den anderen Ortsteilen? Ich habe Urte Evert im Homeoffice angefunkt und um Rat gebeten. Sie ist die Museumschefin der Zitadelle und Historikerin, sie hat fürs DHM und im Luftwaffen-Museum in Gatow gearbeitet. Evert stöberte in ihren Büchern und half prompt.

  • „Ab 24. April begann von Schönwalde aus mit einem Angriff auf das Johannesstift der sowjetische Zugriff auf Spandau.
  • Ab dem 25. April begannen die Kämpfe von Osten um Siemensstadt, von Westen um Staaken, von Norden um Hakenfelde und Falkenhagener Feld, von Süden um Gatow und Kladow.
  • Am 26. April flog Hitler-Verehrerin Hanna Reitsch mit Generaloberst Rorbert von Greim noch von Gatow zum ‚Führerbunker‘.
  • Am selben Tag befreite die Rote Armee das KZ-Außenlager in Staaken. Um Fort Hahneberg gab es weiter erbitterte Kämpfe.
  • Am 27. April hatten die sowjetischen Truppen Spandau zum größten Teil eingenommen: Kladow, Gatow samt Flugplatz, Staaken, Hakenfelde, Falkenhagener Feld, Siemensstadt, Haselhorst sowie Teile von Wilhelmstadt und der Altstadt. Nach völlig sinnlosen Kämpfen um das Rathaus, die Stößensee-Brücke und die Charlottenbrücke rückten sie bis Pichelsdorf und Bocksfelde vor.
  • Am 28. April versuchten Reste des Volkssturms, die Havelbrücken nach Pichelsdorf zu verteidigen. Als auch diese Stellungen mit wahnwitzigen Verlusten von Jugendlichen aufgerieben waren, blieb nur noch die Zitadelle. Dort waren nach wie vor Wehrmachts-Offiziere, die glaubten, Stellung halten zu müssen.
  • Ab dem 29. April begannen die Verhandlungen zur friedlichen Übergabe mit Lautsprecher-Informationen, dass Spandau eingenommen war.
  • Nach mehreren Versuchen war es am 1. Mai soweit: Die Zitadelle wurde ohne weitere Kampfhandlungen übergeben.“

Eng verbunden mit diesem letzten Kriegstag in Spandau ist der Name von  Wladimir Gall. Der sowjetische Offizier und Dolmetscher, 26 Jahre alt, stand an jenem 1. Mai 1945 vor der Zitadelle. In der Festung befand sich das letzte Häuflein von Wehrmacht und SS, aber auch viele Zivilisten und Kinder. Gall und andere Entscheider kletterten in die Zitadelle und überredeten die Deutschen zur Aufgabe. So wurde zumindest an diesem Tag in Spandau das Blutvergießen verhindert. Der Rundweg um die Zitadelle trägt seit 2019 Galls Namen – hier mein Foto. Und unter diesem Tagesspiegel-Link finden Sie einen Nachruf.

Lektüretipps der Museumschefin für Sie: Neben Lesestoff aus der Jugendgeschichtswerkstatt Spandau (Helmut Bräutigam: „Spandau 1945. Das Kriegsende in einem Berliner Bezirk.“ Berlin 1997) empfiehlt sie als Standardwerk: Wolfgang Ribbe: Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke. Band 6 Spandau. Berlin 1991. Und ganz neu: Peter Liebig, „Die Schlacht um Berlin und das Ende des Dritten Reichs 1945“, Berlin 2020. – Die Zitadelle im Netz: zitadelle-berlin.de

Neue Serie im Checkpoint: „Gestern hat die russische Großoffensive begonnen“: Im „Tagesspiegel Checkpoint“ von Chefredakteur Lorenz Maroldt erinnern wir bis zum 8. Mai an die letzten Kriegstage und zeigen Auszüge aus den Tagebüchern des Berliner Verlegers Curt Cowall. Den Checkpoint 30 Tage gratis testen – unter diesem Tagesspiegel-Link.

Auszüge aus dem Tagebuch des späteren Tagesspiegel-Gründers Erik Reger gibt’s bei Twitter, hier der erste Tweet vom 21. April, es geht um den „Danse macabre der Propaganda“: twitter.de

Nächstes Mal im Spandau-Newsletter erinnert sich ein Leser, 84, an die letzten Kriegsstunden im Kiez am Münsingerpark („…und dann durchstreiften die ersten Soldaten unsere Keller. Es waren, glaube ich, Mongolen.“). Ihre Erinnerung an: spandau@tagesspiegel.de – Name, Alter, Ortsteil bitte nicht vergessen. – Text: André Görke
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Meine Themen im Spandau-Newsletter – eine kleine Auswahl

  • Vor 75 Jahren eroberte die Rote Armee Spandau. Tag für Tag: Wann war Kriegsende in Kladow, Staaken, Hakenfelde?
  • CDU fordert mobile Wasserhähne für Spandaus Schulen
  • Lange Schlangen am BSR-Hof: Werfen jetzt alle ihren Dreck in den Wald?
  • Gehaltsverzicht in der Corona-Krise: Was hält der Bürgermeister davon (und was verdient der eigentlich?)
  • DLRG startet Not-Betrieb: „Auch im Boot müssen wir Abstand halten..“
  • Kommt der Corona-Drive-in? Das sagt der CDU-Stadtrat
  • Weinmeisterhornweg: Raserdebatte – jetzt spricht die Polizei
  • Igitt! Kaputte WC-Leitung zerstört DLRG-Station am Glienicker See
  • Speedboote auf der Havel: Das AfD-Verkehrskonzept im Vergleich
  • Wie meine Mutter von falschen Polizisten ausgetrickst werden sollte
  • P+R-Dilemma am Stadtrand
  • Ausflugsziel: Meine Top 10 von Seeburg
  • Rätsel gelöst: Wo war die Berliner Brücke?
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