Nachbarschaft

Veröffentlicht am 28.04.2020 von André Görke

Vor 75 Jahren: Kriegsende in Spandau. Letzte Woche berichtete hier Urte Evert, Museumschefin der Zitadelle und Militärhistorikerin, über die letzten Tage des Krieges vor 75 Jahren, Ortsteil für Ortsteil. Gab viel Resonanz. Hier einige Auszüge aus Leserbriefen an den Spandau-Newsletter.

„Ich bin 84 Jahre alt, aufgewachsen im Haus Seegefelder Straße 22, gegenüber dem Bahnhof „Spandau West“. Ich habe im Krieg bei meinen Großeltern und später noch bis 1992 dort gelebt. Hab‘ die Bombennächte und den Einmarsch der Russen miterlebt. Im Krieg bin ich zum Schlafen „in den Bunker“ gegangen, allerdings wurde der nur im Volksmund so genannt. Der „richtige Bunker“ stand am Lindenufer südlich der Charlottenbrücke, unser „Bunker“ hingegen war erst der Keller unter der Schule an der Moritzstraße, später im Tiefgeschoss vom Rathausanbau neben C&A, damals Klostermühle. Ich habe keine Erinnerungen mehr an die Sanitäranlagen, wohl aber an eine junge Rotkreuz-Schwester namens Irmgard. Und den Tischspruch kann ich noch heute. Wir fassten uns an den Händen und sagten rhythmisch: „Es hat uns allen gut geschmeckt, wir danken!“ Quark mit Marmelade zum Frühstück esse ich heute noch. Wir wohnten im Seitenflügel, 2. Treppe. Unten ist eine Durchfahrt zwischen den Höfen. Ich habe noch in Erinnerung, dass einige Männer miteinander sprachen – die Russen seien schon in der Staakener Straße. Dann sind wir wohl in den Luftschutzkeller des Hauses, bis die ersten russischen Soldaten – ich glaube, es waren Mongolen – den Keller durchstreiften. Eine Hausbewohnerin erzählte mir Jahrzehnte später, der Nazi-Blockwart habe sich mit Kopftuch getarnt. Er tat so, als habe er Zahnschmerzen oder sei eine Frau, jedenfalls hat Herr Schmidt überlebt. Die Russen hatten ihr Quartier in den Gärten aufgeschlagen. Ich habe als einziges Kind mit einigen Frauen des Hauses auf dem Hof für die Russen Kartoffeln geschält. Mein Lohn: ein Schlag Erbsensuppe. Ich bin auf dem Foto der Junge rechts.“ Horst Nowack

„Mit großem Interesse habe ich den Bericht über die Eroberung Spandaus 1945 gelesen. Das deckt sich total mit meinen Erinnerungen. Ich habe das Kriegsende zwar nicht in Spandau, aber in der Siedlung Ruhleben erlebt – und das ist ja fast Spandau. Es war die Konew-Armee, die Berlin komplett in die Zange nahm und sich von Westen her der Schukow-Armee, die von Osten kam, entgegenkämpfte. Dass sie Ukrainische Armee geheißen haben soll, wundert mich, denn ich sah viele kaukasisch oder mongolisch aussehende Soldaten.“ Helga Schwarz

„Ich wohnte bis Ende April 1945 in Spandau, Stresowplatz 1. Am 27. oder 28. schoss die sowjetische Artillerie die Gegend am Stresowplatz und Obermeierweg in Brand. Die Altstadt war schon in russischer Hand. Wir mussten aus dem brennenden Haus flüchten, trotz der in der Straße tobenden Kämpfe. In Richtung Havel standen bereits sowjetische Soldaten mit Handfeuerwaffen. Als sie die flüchtenden Menschen sahen, trat eine kurze Feuerpause ein – zum Glück!“ Klaus Mendte

„Im April 1945 zog die Rote Armee, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, in die alte Festung ein. Damit war die militärische Nutzung des Fort Hahneberg beendet. Das schrieben wir in unserer ersten Publikation, im August 1991, initiiert von Gert Steinmöller„, berichtet der Verein ASG Fort Hahneberg um Vorstand Robert Houben

„In Staaken am Weinmeisterhornweg hat es noch am 2. und 3. Mai viele Tote gegeben. Ich habe das Kriegsende mit anderen Wissenschaftlern erforscht, zum Beispiel mit Helmut Engel, der Landeskonservator war. Im Zuge der Kämpfe ums Regierungsviertel wurden die Deutschen Richtung Westen gedrängt. Hier bildete der Bereich Heerstraße und Altstadt Spandau einen Art Trichter, in denen die Soldaten getrieben wurden. Gerade im Bereich der Havelbrücken und der Altstadt hat es zwischen dem 27. April und dem 2. Mai Kämpfe gegeben – der Rathausturm wechselte mehrfach hin und her. Durch russische und deutsche Zeitzeugen wissen wir, dass die Deutschen über die Heerstraße, Schmidt-Knobelsdorf-Straße Richtung Westen drängten. Im Bereich Scharfe Lanke und Weinmeisterhorn hatten die Russen einen Stützpunkt eingerichtet. Das Luftwaffenmuseum der Bundeswehr in Gatow und wir, die Heimatkundliche Vereinigung Spandau, wollten eigentlich diese Woche eine Ausstellung zum Kriegsende in Spandau eröffnen. Darin wird auch der russische Bericht zur Übernahme der Zitadelle erstmalig präsentiert. Der russische Chef beschreibt den Sachverhalt etwas anders als Wladimir Gall. Die Ausstellung soll nun in der zweiten Jahreshälfte durchgeführt werden.“ Karl-Heinz Bannasch

Am 28. April 1945 schob meine Mutter ein Fahrrad von Haselhorst, wo unsere Wohnung ausgebombt worden war, nach Groß Glienicke, wo ihre Eltern wohnten. Auf dem Fahrrad saß ich auf dem Sattel, damals 4 Jahre alt, meine 3-jährige Schwester saß auf dem Gepäckträger und die einjährige Schwester saß in einem Korb am Lenker. Dieser Weg – an der Zitadelle vorbei – gehört zu den ersten Erinnerungen meines Lebens, sicherlich verstärkt durch die späteren Erzählungen meiner Mutter. Ich werde am 1. Mai im Torbogen der Zitadelle Blumen ablegen vor dem Gedenkschild für Wladimir Gall und Wasili Grischin. Kaum vorstellbar, was geschehen wäre, wenn es um die Zitadelle Kämpfe gegeben hätte.“ Jutta Schöler

Endlich war der Krieg der Nazis vorbei: Hier der Themenschwerpunkt im Tagesspiegel – tagesspiegel.de/zweiter-weltkrieg – Text: André Görke
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