Nachbarschaft
Veröffentlicht am 02.11.2020 von André Görke
Hier & heute: Berlin-Spandau nimmt Abschied von Tegel. Am Wochenende ist der BER endlich in Betrieb gegangen. Na bitte. Zwei Umzugsetappen sind es noch, ehe am 8. November die letzte Air France von TXL nach Paris abhebt und am Rathausturm von Spandau vorbeilärmt. Warum Air France? Weil die vor 60 Jahren als erste zivile Airline in Tegel gelandet ist (der Flugplatz lag schließlich im französischen Sektor). Lange her, auch die großen Lärmproteste der Spandauer, die es zur TXL-Eröffnung gab – hier der Text aus dem Tagesspiegel-Archiv. Letzte Woche fragte ich Sie: „Wie nehmen Sie Abschied von TXL?“ Hier Auszüge aus Leserbriefen.
„Wegen Corona fällt unsere Party aus.“ Aus der Gartenstadt Staaken schrieb mir Leserin Christel Doerk: „Anno 2011 haben wir mit den Nachbarn ganz hoffnungsfroh unsere erste Fluglärmendeparty gefeiert. Das war bekanntlich ein Schuss in den Ofen (der Termin, nicht unsere Fete). Ein Jahr später haben wir genauso freudig unsere zweite Fluglärmendeparty gefeiert – den Fluglärm betreffend wieder umsonst. Dem dritten Schließungstermin haben wir nicht mehr getraut, den folgenden auch nicht. Aber nun ist es ja amtlich! Also trat unser bewährtes Festkomitee in Aktion, legte Ort und Zeit fest, schrieb Einladungen, plante Essen und Getränke… und jetzt haben wir das Fest gecancelt wegen Corona. Das ist so gemein!“
„Mein Job, mein Krach, mein Leben.“ Vom Spektesee im Falkenhagener Feld schrieb mir Constance Hecker-Pauli: „Der Flughafen Tegel war 27 Jahre mein zweites Zuhause. Ich habe in der Passagierabfertigung gearbeitet und für fast jede Airline die Flieger abgefertigt. Ich kenne jeden Stein, jeden Grashalm, jedes Büro. Seit 1998 wohne ich nun in Spandau, über unsere Terrasse sausen sie hinweg. Manchmal waren sie so laut, dass wir im Gespräch kurz innehalten mussten. Und oft ertappe ich mich dabei, dass ich zum Himmel hoch schaue, um zu sehen, wer da fliegt. Das Betrachten der Flugzeuge wird mir sicher fehlen, den Lärm allerdings werde ich nicht vermissen. Es wird bestimmt ’ne Weile dauern, bis man sich daran gewöhnt hat, dass sie nun nicht mehr da sind ?. Eine Feier wird es nicht geben, was soll denn überhaupt gefeiert werden? Auch wenn Tegel natürlich nicht die gleiche Symbolkraft hat wie Tempelhof, wird er mir fehlen, war er doch Teil meines Lebens.“
„Sekt und Taschentücher.“ Aus Siemensstadt schrieben mir Ursula und Wolfgang Eckstein: „Meine Frau wird ein Taschentuch benötigen – Trauer. Ich werde ein Glas Sekt zum Abschied trinken. Funktioniert allerdings nur bei Westwind.“
„Ich filme auf der Spandauer Seebrücke“. Aus der Wasserstadt meldet sich Maximilian Richter: „Ich werde für den allerletzten Abflug wahrscheinlich auf die Spandauer Seebrücke, die von mir ein Katzensprung entfernt ist, gehen und den Air France-Flieger auf Video festhalten. Ich hoffe natürlich, dass der Wind entsprechend steht, ansonsten wird der letzte Flug über den Spandauer Norden schon früher stattfinden. Als zugezogener Spandauer (zuvor in Mitte und Charlottenburg gelebt) hat mich der Fluglärm übrigens nie wirklich groß gestört, viereinhalb Jahre lang habe ich in der Einflugschneise damit gelebt. Ich werde es vermissen. Und in der Wasserstadt ist der Lärm definitiv nicht zu überhören.“
„Endlich Ruhe, aber ein weinendes Auge.“ Aus Hakenfelde schrieb Leser Gerald Jost: „Ich bin in der Einflugschneise aufgewachsen in der Marschallstraße in Spandau. Wir wurden nicht gefragt, ob wir den Flughafen wollen und den Fluglärm. Heute rennt jeder, der was dagegen hat, zum Gericht, um seine persönlichen Interessen durchzusetzen, das war früher nicht üblich. Wie gesagt, aufgewachsen mit Fluglärm und dennoch ohne bleibende Schäden alt geworden. Ich wohne immer noch in Spandau und wieder in der Einflugschneise, jetzt in Hakenfelde, und mich stört der Fluglärm immer noch nicht so sehr. Aber freuen tue ich mich schon, wenn es ruhig wird in Hakenfelde und ich auf dem Balkon sitzen kann ohne geräuschvolle Hintergrundbeschallung. Leider ist auch ein weinendes Auge dabei, war der TXL doch ganz bequem und schnell zu erreichen, jedenfalls für die, die in der Nähe wohnten. Mach’s gut TXL, du warst unter den Kleinen der Größte.“
So kommen Sie aus Spandau zum neuen Flughafen BER: der Service mit vielen Tipps hier im Tagesspiegel-Newsletter für Spandau. – Text: André Görke
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