Intro
von Boris Buchholz
Veröffentlicht am 29.08.2019
Die große Verkehrsdebatte im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Ich habe mich zur Konkurrenz geschlichen, ich gebe es zu. Mein Chef wusste von nichts, ich nehme das auf meine Kappe. Und dann saß ich da, Rathaus Zehlendorf, im Bürgersaal, vorletzte Reihe – und versuchte, unauffällig zuzuhören. Die „Berliner Morgenpost“ hatte zum Leserforum „Probleme und Perspektiven im Südwesten“ geladen, der Saal war gut gefüllt – es ging um den Verkehr im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Unter anderem saß der Sprecher des Fahrgastverbandes IGEB, Jens Wieseke, auf dem Podium – und wurde von Moderator Hajo Schumacher (habe ich sehr genossen) nach der Zukunft der Verkehrsanbindungen im Südwesten gefragt.
„Steglitz-Zehlendorf ist ein Transferbezirk für Pendler.“ Der Bezirk stehe vor „großen Herausforderungen“, meinte Jens Wieseke, denn zum einen nehme der innerbezirkliche Verkehr zu, vor allem jedoch sei Steglitz-Zehlendorf ein „Transferbezirk“: Immer mehr Pendlerinnen und Pendler wollten aus dem Brandenburger Speckgürtel in die Innenstadt fahren – und zurück.
Die Stammbahn kommt – als S- oder Regionalbahn. Für Fahrgast-Lobbyist Wieseke keine Zweifel: Die Stammbahn zwischen Zehlendorf und Potsdam über Kleinmachnow und Düppel werde wiederbelebt werden, die Bahn-Planungen seien eindeutig, „es ist nur noch nicht ganz klar ob als S-Bahn oder Regionalbahn“. Allerdings könnte die neue alte Verbindung frühestens 2035 fertig sein, „wenn wir jetzt mit der Planung beginnen“. Eine kurzfristigere Lösung könnte es sein, Regionalbahnen über Wannsee nach Zehlendorf und Steglitz zu leiten – „Sie werden einen Regionalbahnhof Zehlendorf und einen Regionalbahnhof Rathaus Steglitz bekommen“, sagte der Fahrgast-Vertreter voraus.
Das Problem mit den Schranken. Bürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), auch sie war auf das Podium gebeten worden, versprach, sich die Pläne der Bahn genau anzusehen. Bei einer Wiederinbetriebnahme der Stammbahn müsste sowohl für einen ausreichenden Lärmschutz gesorgt werden, als auch geklärt werden, wie die Bahnübergänge an drei Straßen im Bezirk aussehen würden. Beschrankte Übergänge „wie in Lichtenrade“ könne sie sich schwer vorstellen. Die Alternative wären für sie Untertunnelungen.
Auch die U3 zum S-Bahnhof Mexikoplatz war Thema. Bei einem anderen Verkehrsprojekt waren sich die Bürgermeisterin und der Fahrgast-Sprecher einig: Die seit Jahrzehnten im Bezirk geforderte Verlängerung der U3 von Krumme Lanke bis S-Bahnhof Mexikoplatz finden beide sinnvoll. Das wäre „innerhalb von zehn Jahren möglich“, meinte Wieseke. Dissonanzen gab es allerdings, als der IGEB-Vertreter die Überlastung der Buslinie M48 ansprach – „am Rande der Kapazitätsgrenze“ – und eine Straßenbahnlinie zwischen Alexanderplatz und Rathaus Steglitz befürwortete.
„Straßenbahn ist total überflüssig“. Eine Straßenbahn sei in der Schloßstraße „total überflüssig“ setzte die Bezirkschefin dagegen, „das ist nicht nötig“. Wieseke empfahl den Blick über den südwestlichen Tellerrand: „Gehen Sie in den Ostteil der Stadt und sehen Sie sich an, was mit Straßenbahnen möglich ist.“ Die Tram sei ein gutes Konzept für ganz Berlin, „auch für Steglitz-Zehlendorf“.
Es war ein Träume anregender Abend. Stellen Sie sich das vor: Um nach Potsdam oder Brandenburg / Havel zu reisen, könnten Sie schon Rathaus Steglitz in den Zug steigen. Von Düppel ginge es mit der Stammbahn direkt an den Potsdamer Platz. Wer aus Wannsee kommend zum Wittenbergplatz wollte, könnte schon Mexikoplatz in die U-Bahn umsteigen. Und die ehemaligen Fahrgäste des M48ers stünden zu den Hauptverkehrszeiten nicht mehr im Stau – die Straßenbahn befördert auf eigener staufreier Trasse mehr Menschen in weniger Zeit. Zukunftsmusik.
Die Realität sieht im Südwesten so aus: Bis 1. September fahren auf der S7 keine S-Bahnen zwischen Westkreuz und Wannsee und vom 2. bis 9. September ist die gesamte Strecke bis Potsdam gesperrt. Vom 2. bis 6. September ist zudem die S1 zwischen Wannsee und Schlachtensee lahmgelegt – ein neues Sicherungs- und Kontrollsystem, im Fachjargon ZBS für Zugbeeinflussungssystem, wird installiert. Wer kann, sollte auf die Regionalbahn umsteigen; was bei der S7 geht, aber bei der S1 leider noch nicht. Aber: Man wird ja wohl noch träumen dürfen – wer im Ersatzbus sitzt, sollte dafür ausreichend Zeit haben. – Text: Boris Buchholz
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Tipps, Termine, Nachrichten: Diesen Text haben wir als Leseprobe aus dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für den Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf entnommen. Den – kompletten – Newsletter aus dem Südwesten gibt’s unkompliziert und kostenlos unter leute.tagesspiegel.de.
Boris Buchholz ist freiberuflicher Journalist und Designer. Zwar wurde er in Wilmersdorf geboren, doch wuchs er in Lankwitz auf, besuchte in Steglitz das Gymnasium und wohnt in Zehlendorf. Mehr über Boris Buchholz erfahren Sie auf seiner Website. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an boris.buchholz@tagesspiegel.de