Intro

von Boris Buchholz

Veröffentlicht am 28.11.2019

Was haben wir uns geärgert, meine Frau und ich, als wir Ende September den Wochendeinkauf in unser Auto verladen wollten. Wir hatten Rewe an der Breisgauer Straße am Schlachtensee in Berlin-Zehlendorf beehrt und waren eigentlich guter Dinge („Lebensmittel kaufen“ war abgehakt, offen war noch „Futter kaufen, das dem Kater schmeckt“). Doch dann sahen wir den sonnenblumen-gelben Papierstreifen (es fühlt sich wie klimafeindlicher Kunststoff an), der hinter dem Scheibenwischer klebte. „Sie haben das Fahrzeug ohne gültigen Parkausweis abgestellt oder geparkt“, hatte ein Kontrolleur der Firma „Park & Control“ (Slogan: „Einfach & sicher“) hinterlassen – 30 Euro waren fällig. Wieder einmal.

Dabei hatten wir eigentlich nichts falsch gemacht: Das Parken ist kostenlos, wir hatten schlicht vergessen, unsere Parkscheibe ins Frontfenster zu legen. Zwei Stunden darf man dort stehen. Unser Einkauf dauerte noch nicht einmal die ersten sechzig Minuten – und zack. Mein Gefühl: Die selbst ernannten Parkraum-Sheriffs lauern irgendwo und kaum ist man im Laden verschwunden, kommt die gelbe Fahne unter den Wischer, baff – egal wie lange man dort wirklich steht. Das erste Mal war mir so ein Ticket vor einigen Jahren untergejubelt worden – an meinem Geburtstag. Ich hatte Bionade und Bier für die Party im Sonderangebot eingekauft, zum Glück, so konnte ich mir das Ticket damals leisten. Weil ich in Geburtstagslaune war, habe ich sowohl dem Supermarkt als auch den Ich-bewache-diesen-Parkplatz-Sheriffs einen Brief geschrieben, freundlich, voller Humor, auf mein frisch erworbenes Alter hinweisend. Wenn ich mit unserem Kater über sein Fressverhalten spreche, ernte ich ähnliche Reaktionen – nichts.

Daher war ich auch voller Schadenfreude und Glück als ich vernahm, dass sich am Mittwoch so eine Parkraum-Law-and-Order-Firma vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe rechtfertigen musste. Allerdings war sie die Klägerin und nicht die Beklagte. Die Beklagte ist vermutlich jemand wie Sie und ich – für mich ist sie die Robina Hood des Parkraumwesens. Sie hatte nicht nur ein Ticket vom Sheriff kassiert, sondern drei in drei Jahren; erwischt wurde sie nicht vor dem Gemischtwarenladen, sondern auf einem „bewirtschafteten“ Parkplatz eines Krankenhauses. Und sie weigerte sich zu zahlen. Sie erklärte, sie sei an diesen Tagen gar nicht die Fahrerin gewesen. Der Sheriff-Firma war das zu bunt, sie klagte – und verlor vor dem Amtsgericht und dem Landgericht.

Die bisherige Gerichts-Logik ist folgende: In dem Augenblick in dem Sie auf den Rewe- (und Aldi-)Parkplatz an der Breisgauer Straße rollen, gehen Sie einen Mietvertrag ein (auch wenn das Parken eigentlich nichts kostet). Aber so einen Vertrag könne die Firma nur mit dem Fahrer schließen und nicht mit dem Besitzer des Autos, wenn er nicht hinter dem Steuer sitzt. Und das Tolle ist: Der Fahrzeugbesitzer ist weder haftbar zu machen, noch muss er sagen, wer denn das Fahrzeug lenkte. „Denn“, so heißt es in der Begründung der Vorinstanz, „die Klägerin könne sich die notwendigen Erkenntnisse durch Personal oder technische Einrichtungen wie eine Videoüberwachung zumutbar selbst verschaffen“. Wunderbare neue Orwellsche Einkaufswelt – wollt Ihr das, Ihr Supermarkt-Manager?

Gestern verhandelten die Bundesrichter des zwölften Zivilsenats den Fall und hörten sich die Argumente der Anwälte an. Entschieden haben Sie noch nichts; erst am 18. Dezember werden sie das Urteil verkünden. Ich drücke Robina Hood beide Daumen. Warum es sich die Supermarkt-Ketten (das Leitbild der Rewe-Group lautet „Unsere Mission: Gemeinsam für ein besseres Leben.“) leisten können, ihren Kunden den Einkauf schwer zu machen, ist mir ein Rätsel. Aber wer weiß, vielleicht sind wir ja alle in Zukunft gar nicht gefahren … – Text: Boris Buchholz

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  • Ärgernis beim Einkaufen: Bundesgerichtshof verhandelt, ob man die Knöllchen privater Park-Kontroll-Firmen wirklich bezahlen muss
  • „Existenzbedrohende Krise“: Aus dem besetzten Hörsaal rufen „Students for Future“ zur Teilnahme an der Klima-Demo am Freitag auf
  • Nach der Warnwesten-Debatte: Maue Bilanz des Bezirks in Sachen „sichere Schulwege“
  • BUND reicht Klage gegen Entwidmung des Dahlemer Wegs 247 ein: Heftige Diskussionen bei Informationsabend im Rathaus
  • Bürger stiften „1. Zehlendorfer Friedenstanne“
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  • „eat! Berlin“ – jetzt wird auch im Südwesten gegessen
  • Es werde warm: Die „Kathedrale im Herzen Zehlendorfs“ wird wieder (provisorisch) geheizt
  • Kampf der Riesen: Immer mehr Supermärkte drängen sich in Zehlendorf-Mitte
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