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von Corinna Cerruti
Veröffentlicht am 14.07.2020
vielleicht haben sie es noch nicht mitbekommen, aber Zehlendorf hat berlinweit Aufmerksamkeit erlangt: Der Profi-Basketballer und Berliner Moses Pölking hat eine Petition gestartet, um den U-Bahnhof „Onkel Toms Hütte“ und die Straße „Onkel-Tom-Straße“ umzubenennen. Seit dem Start am Dienstag, den 07.07, haben auf der Online-Plattform change.org bereits mehr als 10.600 Menschen unterschrieben. Zielsetzung sind aktuell 15.000 Unterschriften. Der Grund: Der Begriff Onkel Tom wird von Afroamerikaner:innen und Schwarzen Menschen als rassistisch und beleidigend empfunden. In der Petition heißt es: „Ein ‚Onkel Tom‘ war ein Sklave, der sich bewusst entmenschlicht hat, um vor seinem Sklavenhalter nicht als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Er hat sich bewusst seiner Menschenwürde entzogen.“
Heutzutage werde der Begriff für Afroamerikaner oder People of Color verwendet, die sich gegen ihrer Eigen stellen und zur Gunst anderer, im Hauptfall Weißen, agieren, als „Schimpfwort“ erklärt Pölking. Die Figur des Onkel Tom stammt aus dem gleichnamigen 1852 veröffentlichten Roman von Harriet Beecher Stowe. Die Geschichte thematisiert die Sklaverei in den Südstaaten der USA.
Pölking spielt für die Eisbären Bremerhaven, früher für Alba-Berlin und lebt außerhalb der Spielzeiten in Moabit, wo er aufgewachsen ist. Seine Mutter stammt aus Kamerun und sein Vater aus dem Emsland. Sein Bezug zu Zehlendorf: Pölkings Freundin lebt im Onkel-Tom-Kiez. In einem Post auf Instagram schrieb er: „Die Onkel-Tom-Straße in Berlin und die dazugehörende U-Bahn-Station sind schmerzhafter Bestandteil meines täglichen Lebens. Jedes Mal, wenn ich diese Straße entlang fahre, muss ich daran denken, wie entmenschlichend und verletzend der Begriff ist.“
Mein Kollege Sinan Reçber hat sich an der U-Bahnstation umgesehen und mit der Inhaberin der dort ansässigen „Buchhandlung Born“ gesprochen, Juliane Kaiser. Sie hat kein Verständnis für die Petition. „Die Autorin des Romans, Harriet Beecher Stowe, war ganz klar gegen Rassismus. Deshalb sehe ich keinen sittlichen Mehrwert in der Umbenennung des U-Bahnhofs“, sagt Kaiser. Auf dem Klappentext des besagten Romans ist zu lesen: „Mit ihrem gesellschaftskritischen Roman gegen die Sklavenhaltung in den amerikanischen Südstaaten um die Mitte des 19. Jahrhunderts errang die Schriftstellerin literarischen Ruhm. Für ihre Schilderungen von Leid und Unterdrückung, Unrecht und Grausamkeit wurde sie hochgelobt, ihr Werk wurde zum Bestseller.“
Petitent Pölking kennt die Auslegung des Romans, aber empfindet die Figur des „Onkel Tom“ als eine, die sich selbst „bewusst entmenschlicht hat“, um von seinem Sklavenhalter „nicht als Bedrohung wahrgenommen zu werden“. Im Telefonat mit meinem Kollegen kann Pölking zwar die „Errungenschaften“ des Romans anerkennen. Doch selbst wenn das Buch im 19. Jahrhundert als antirassistisch galt, bedeutet das Pölking zufolge nicht, dass die Geschichte keine rassistischen Züge trage. Den ganzen Bericht lesen Sie als TagesspiegelPlus-Abonnent:in hier.
Doch der Heimatverein Zehlendorf bezweifelt, dass der Name des Bahnhofs tatsächlich dem Roman gewidmet ist. Der Verein argumentiert, der Name des U-Bahnhofs gehe auf ein Ausflugslokal aus den 1880-ern zurück, dessen Wirt Thomas hieß. Sie beziehen sich auf die Aussagen des Zehlendorfer Chronisten Paul Kunzendorf im Jahre 1906, in denen er vom „Wirtshaus am Riemeister“ erzählt. Zum Schutz gegen die Hitze soll der Wirt, „einer Hütte ähnliches, mit Schilf gedecktes Holzgestell“ gebaut haben. Kunzendorf erzählt dann: „Was lag für einen Witzbold näher, als diesen Umstand mit den Namen des Wirtes in Verbindung zu bringen und das Wirtshaus ‚Onkel Toms Hütte‘ zu nennen.“ Allerdings heißt es auf der Seite des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf, der Wirt hätte „den gleichnamigen Roman von Harriet Beecher-Stowe favorisiert“. Belege dazu konnte der Heimatverein bis Redaktionsschluss nicht liefern. Später im Dezember 1929 eröffnete anschließend der gleichnamige U-Bahnhof in Zehlendorf.
Ist der Bahnhofsname nun rassistisch? „Das ist eine schwierige Frage, die weder mit Ja noch mit Nein beantwortet werden kann“, sagt der Kulturhistoriker Wolfgang Kaschuba, der sich zuletzt auch zur Umbenennung der Mohrenstraße im Interview äußerte. Der Roman müsse in der Zeit gesehen werden. Er machte immerhin auf die Lage der Sklaven in Nordamerika überhaupt aufmerksam. „Dass dies heutigen Vorstellungen postkolonialen Denkens und politisch korrekter Bewertung nicht entspricht, versteht sich von selbst“, sagt Kaschuba. Das könne hier jedoch nicht der Maßstab sein, „sondern vielmehr die Einordnung dieser Erzählung in historische Kontexte.“ Beecher-Stowe „humanisiert“ Onkel Tom in gewisser Weise. „Postkolonial sind Roman und Straßenbenennung damit jedoch natürlich noch längst nicht.“
Doch was sagen die Anwohner:innen dazu? In der Debatte um die Umbenennung der Mohrenstraße oder den Straßen im Afrikanischen Viertel wird immer wieder das Argument der Kosten und der „Unannehmlichkeiten“ angeführt, die eine Umbenennung den Anwohner:innen bereiten würde. Für manche ist dies tatsächlich noch immer ein Grund dagegen. Eine ältere Anwohnerin, die bereits seit 1947 in dem Kiez lebt, winkt auf Nachfrage verärgert ab und schimpft über das „verschwendete Geld“. Viele andere Anwohner:innen sehen die Sache differenzierter: Vor dem Burgerladen „Onkel Tom’s Burger“ diskutieren ein 23- und ein 30-jähriger Anwohner über die Petition. Beide sind sich einig, dass sie als Weiße die Situation nicht nachempfinden können. Daher sei es wichtig, die Umbenennung auszudiskutieren. Die Geschichte solle aber nicht verwässert werden. Einer von beiden schlägt eine Tafel zur Aufklärung vor, die am U-Bahnhof angebracht werden könnte. Der 23-Jährige weist daraufhin, dass es sich bei „Onkel Tom“ um eine Romanfigur und keinen echten Menschen handelt, der hier geehrt wird. Viel wichtiger sei es, die Benennung des Bahnhofs im historischen Kontext zu beurteilen. War die Person, die den Bahnhof benannt hat, ein Rassist? Außerdem war beiden bisher nicht bekannt, dass „Onkel Tom“ in Schwarzen Communitys als Beleidigung gilt.
So ging es auch Yanit Jacob. Die 36-Jährige ist in Zehlendorf aufgewachsen, als Schwarze Frau. Doch in ihrem Umfeld hatte noch nie jemand den Bahnhof in Frage gestellt, den Begriff thematisiert. In der Kindheit lebten in ihrer Nachbarschaft nicht viele Schwarze Menschen. Mittlerweile wohnt sie in Charlottenburg. Erst mit der Petition erzählte ihr Mann, was der Begriff in den USA unter Schwarzen bedeutet. Er habe zwischendurch in Kalifornien gelebt. „Was ist wenn Schwarze aus den USA kommen und diesen Bahnhof sehen?“ Sie ist für mehr Aufklärung, für eine ausführliche Debatte. „Wenn wir die Black-Lives-Matter-Bewegung auch hier ernst nehmen wollen, gehört es auch dazu, über Namen wie diese nachzudenken“, sagt Jacob. Ansonsten käme das Thema immer wieder auf. Erst mit voller Aufklärung der Namensherkunft könne sie eine Entscheidung für oder gegen die Umbenennung treffen.
Die Schwarze Anwohnerin Ester Z. plädiert stattdessen klar für eine Umbenennung des Bahnhofs. Es brauche empowernde Vorbilder, nicht einen Onkel Tom, der sich seinem Schicksal ergibt. Auch sie ist im Onkel Tom-Kiez aufgewachsen. In ihrer Jugend hätte sie sich in der Bücherei über die Herkunft des U-Bahnhofs informiert und mit dem Roman auseinandergesetzt. Darin gebe es einige problematische Darstellungen von Schwarzen, die beispielsweise nur als Christen wertvoll seien oder sonst nach Afrika auswandern sollten. Danach habe die 36-Jährige ihr Wissen verdrängt, die Tatsache einfach hingenommen. „Ich bin sehr dankbar für Menschen, die ganz anders als Onkel Tom sind und den Mund aufmachen, Petitionen starten und somit die Gesellschaft in Bewegung bringen.“
Corinna Cerruti ist freie Mitarbeiterin beim Tagesspiegel. Nach Berlin zog es sie des Studiums wegen an der Freien Universität, ihre Liebe für die trubelige Straßen dieser Stadt hält sie hier weiter fest. Schreiben Sie ihr eine Mail oder folgen Sie ihr auf Twitter.