Intro
von Boris Buchholz
Veröffentlicht am 19.08.2021
Die Bürgerinnen und Bürger glaubten wohl, ihren Ohren nicht zu trauen: Sie seien „Meckerer“ und „inkompetent“. Kaum war vergangene Woche die „Digitale Bürgerwerkstatt“ zur Nachnominierung der Zehlendorfer Waldsiedlung als Weltkulturerbe der UNESCO vorüber, begannen die Organisatorinnen und Organisatoren mit ihrer Nachbesprechung. Eigentlich sollte diese Runde wohl intern tagen. Doch die Referentinnen und Referenten, Mitarbeitende von Senat und Landesdenkmalamt blieben einfach in der Leitung der Videokonferenz – wer noch online war, konnte zuhören.
Nicht ernst genommen. Was man mit den 18 noch offenen Fragen der Bewohnerschaft der Waldsiedlung machen solle, wurde bei der Nachbesprechung gefragt – so berichten es Ohrenzeugen. Die Antwort der Mitarbeiterin der Obersten Denkmalschutzbehörde: Man solle „ein bisschen reinschreiben“, man sollte dem Vorstand des Vereins Papageiensiedlung, der die Fragen gesammelt und vorgetragen hat, „das Gefühl verleihen, dass er eine gewisse Rolle spielt“.
Ein Bärendienst in Sachen Bürgerbeteiligung. Das Geschirr ist zerschlagen, der Schaden angerichtet. Es geht nicht mehr um Inhalte, um das Weltkulturerbe, um die Leistungen des Architektenteams rund um Bruno Taut. Jetzt geht es um die Frage, wie ernst die Berliner Verwaltungen Bürgerbeteiligungen nehmen. Oder ob die angebliche Beteiligung zur Beschwichtigung verkommt – damit das, was die Politik möchte, durchgesetzt wird. Erst eine „Bürgerwerkstatt“ einzuberufen und dann über den Bürgerinput zu schimpfen, weist in diese Richtung. Leider.
Es seien nach der Veranstaltung „persönliche Eindrücke ausgetauscht“ worden, teilt das Landesdenkmalamt auf Nachfrage des Tagesspiegels mit: „Hier geäußerte Reaktionen sind vermutlich der teilweise intensiven Debatte in der Bürgerwerkstatt geschuldet.“ Christine Wolf, Sprecherin des Amts: „Das Landesdenkmalamt bedauert, wenn hierbei Äußerungen gefallen sind, die nicht einer ausreichenden Wertschätzung des bürgerschaftlichen Engagements entsprechen. Solche Äußerungen entsprechen nicht der grundsätzlichen Haltung des Landesdenkmalamtes, welches bürgerschaftliches Engagement ausdrücklich begrüßt und auf vielfältige Weise fördert.“ Es sei sehr bedauerlich, „dass die unbekannten ZuhörerInnen des internen Austausches die hierbei aufgeschnappten Äußerungen nun zum Anlass für eine letztlich nur noch auf organisatorische Aspekte fokussierte Diskussion nehmen“.
Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) versteht, warum sich die Bürgerinnen und Bürger vor den Kopf gestoßen fühlen: „Ja, natürlich“, sagt sie am Telefon. Bei der Nachbesprechung sei kein Beschäftigter des Bezirksamts mehr dabei gewesen, sie selber habe nach zwei Stunden die Veranstaltung verlassen müssen.
Doch auch der Bezirk muss sich Gedanken darüber machen, wie eine angemessene Beteiligung der Bürger in Zukunft aussehen sollte. Bürgerinformationsveranstaltungen sind nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zum Gipfel der Beteiligung. Informieren, anhören, in den Dialog treten, gemeinsam mögliche Lösungen diskutieren, mitentscheiden – da gibt es auf allen Ebenen der Berliner Verwaltung noch Luft, nein, Atmosphären nach oben. Einfach nur eine Veranstaltung „Werkstatt“ oder „Workshop“ zu nennen – egal ob es um die Zukunft der Museen im Bezirk oder um das Weltkulturerbe geht – und dann eine Podiumsdiskussion und Expertenvorträge anzubieten, wird dem beworbenen Mitmach-Charakter nicht gerecht.
Bei der „Werkstatt“-Veranstaltung um die Waldsiedlung übt selbst die Bezirksbürgermeisterin Kritik: „Es war sehr expertenlastig“, Zeitabsprachen seien nicht eingehalten worden. „Ich fand den Input für die Bürger schwer verständlich“, sagt Cerstin Richter-Kotowski – und betont, dass das Landesdenkmalamt für die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung verantwortlich zeichnete.
Fragen werden beantwortet. „Die Erfahrung zeigt, dass in entsprechenden Auftaktveranstaltungen zumeist sehr viele Informationen auszutauschen sind und die Diskussion deshalb sehr knapp ausfallen muss“, lautet die Stellungnahme aus dem Landesdenkmalamt. Es kündigt an: „In den geplanten Folgeveranstaltungen wird sich dies ändern.“ Sprecherin Christine Wolf teilt mit, dass an der Dokumentation der Veranstaltung gearbeitet werde, auch ein Informationsblatt sei in Vorbereitung. „Soweit möglich“ solle bei der Dokumentation auch auf die offenen Fragen des Vereins Papageiensiedlung eingegangen werden – die Veröffentlichung werde auf der Website des Landesdenkmalamts erfolgen.
- Boris Buchholz ist in Wilmersdorf und Lankwitz aufgewachsen. Der Tagesspiegel-Redakteur lebt in Zehlendorf – die lokale und globale Politik interessiert ihn, seitdem er in der Fichtenberg-Oberschule die Schulbank drückte. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an boris.buchholz@tagesspiegel.de.