Intro
von Boris Buchholz
Veröffentlicht am 19.05.2022
klar, über ein gutes Mobilfunknetz freut sich fast jeder. Doch jetzt ist in Dahlem ein handfester Mobilfunkstreit ausgebrochen. Die Schulgemeinschaft des Arndt-Gymnasiums steht auf der einen Seite, die Bildungsstadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) und die Telekom auf der anderen. Der Turm des Anstosses ist stolze 70 Meter hoch: Auf dem Dach des Schulturms, der gesamte Altbau ist denkmalgeschützt, sollen laut Martin Möckel, dem Vorsitzenden der Gesamtelternvertretung (GEV), acht Mobilfunkantennen installiert werden. Das Problem: Die Schulkonferenz, das höchste Entscheidungsgremium jeder Schule, hat die Sendetechnik im März einstimmig abgelehnt (Dank an Werner Weilhard, den Chefredakteur der Alumni-Zeitung „Dahlemer Blätter“, für den Hinweis) – Bedenken beim Gesundheits-, Denkmal- und Artenschutz wurden geltend gemacht. Das Arndt-Gymnasium will keine Mobilfunkmasten auf dem Schuldach.
Die Bildungsstadträtin aber schon. In der gestrigen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung – sie begann um 17.07 und endete nach viel Hick-Hack um exakt 23.34 Uhr – wollte der GEV-Vorsitzende von der Stadträtin in der Bürgerfragestunde unter anderem dieses wissen: „Bitte stellen Sie die Unbedenklichkeit insbesondere in den Unterrichtsräumen des Dachgeschosses dar, die weniger als 30 Meter von den Antennen entfernt liegen.“ Erst ging Cerstin Richter-Kotowski auf die Bitte nicht ein; später sagte sie, „ja, es gibt in den Studien sehr unterschiedliche Meinungen“. Steht so übrigens auch in einem Tagesspiegel Artikel zum Thema: „Die Studien bringen oft unterschiedliches hervor.“ Cerstin Richter-Kotowski verwies darauf, dass das Bezirksamt den Bau der Sendemasten nicht beauftragen würde; das sei Sache der Telekom. Das Amt müsse nur zustimmen und genehmigen.
9000 bis 11.000 Euro pro Jahr – das sei die übliche Pacht für Sendemasten auf öffentlichen Dächern, teilte die Stadträtin mit. Aber: „Das Bezirksamt verfolgt keine Gewinnerzielungsabsicht.“ Nicht die Mehreinnahmen in den Bezirkshaushalt seien für die Zustimmung zu dem Mastenprojekt ausschlaggebend gewesen, sondern das Interesse der Öffentlichkeit, guten Mobilfunkempfang zu haben. Gerade die vergangenen zwei Corona-Jahre hätten den Bedarf aufgezeigt. O-Ton: „Davon profitiert auch die Schulgemeinschaft.“
Das will die aber gar nicht. Elternvertreter Martin Möckel kritisiert, dass die Schule an der Entscheidung nicht beteiligt worden sei. Stadträtin Richter-Kotowski bestätigt, dass es nur Abstimmungen mit verschiedenen Ämtern gegeben habe, die Schule sei über das Vorhaben aber informiert worden. Ob denn gegen den Willen der Schule die Masten aufgestellt werden sollen, fragte der Linken-Verordnete Dennis Egginger-Gonzales nach. Die Antwort: „Letztenendes ist der Bezirk Eigentümer und muss entscheiden“ – und zwar „nach bestem Wissen und Gewissen“.
Nistende Turmfalken sorgen für Aufschub. Bis zum Sommer sollen alle Abstimmungen zwischen Ämtern und Telekom abgeschlossen sein. Gebaut wird dann aber noch nicht. „In den Sommerferien wird am Arndt-Gymnasium nichts passieren“, sagte die Bildungsstadträtin, „das liegt vor allem an der Brutphase der Turmfalken, die bis November dauert.“ Was den Co-Fraktionsvorsitzenden der SPD, Volker Semler, zu der Frage bewegte, ob das Bezirksamt die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen aufs Spiel setze, aber die Brutzeit der Turmfalken berücksichtige – Cerstin Richter-Kotowski wies diesen Vorwurf vehement zurück.
Widerstand wird organisiert. Am Arndt hat sich inzwischen eine „Task Force Mobilfunkanlage“ gegründet, „in der Eltern, Schüler und Lehrkräfte gemeinsam Maßnahmen diskutieren wollen, wie die Verwirklichung eines nicht nur aus schulischer Sicht abzulehnenden Projektes verhindert werden kann“, schrieb mir Werner Weilhard. Am 24. Mai werde die Task Force zum ersten Mal tagen.
Vielleicht hilft den Strahlungs-Widerständlern bei ihren Bemühen ein Blick in die Liste einflussreicher Arndt-Absolventen. Nicht nur die Politikerin Ina Czyborra (SPD) und ihr Kollege Michael Braun (CDU) gingen auf die Schule. 1950 machte auch der ehemalige Bundesminister für Post und Telekommunikation Christian Schwarz-Schilling (CDU) an der Königin-Luise-Straße sein Abitur. Fest steht: In seiner Amtszeit hätte es Mobilfunkmasten auf dem Schulturm des Arndt-Gymnasiums definitiv nicht gegeben.
- Boris Buchholz ist in Wilmersdorf und Lankwitz aufgewachsen. Der Tagesspiegel-Redakteur lebt in Zehlendorf – die lokale und globale Politik interessiert ihn, seitdem er in der Fichtenberg-Oberschule die Schulbank drückte. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an boris.buchholz@tagesspiegel.de