Intro
von Boris Buchholz
Veröffentlicht am 14.03.2024
erst jetzt fällt auf, wie groß die Verkaufsfläche der Billigtextilkette „Primark“ im Schloss-Straßen-Center (SSC) am Walther-Schreiber-Platz war – der Laden steht seit letztem Sommer leer, er ist riesig und zieht sich über zwei Etagen. Im ersten Stock, in der vorderen Ecke – durch die Glasfront ist das Forum Steglitz und das Leben auf der Schloßstraße zu sehen -, wurde gestern Abend heftig diskutiert: über Leerstand von Gewerbeimmobilien und ihre Zwischennutzung durch Kunst und Kultur. Der Regionalinkubator Berlin Südwest hatte eingeladen, rund vierzig Interessierte waren an den Rand des Bezirks gekommen.
Ein passender Ort, der Ex-Primark-Laden wird seit einigen Monaten von der Initiative „Zeit ist knapp“ (ZIK) genutzt. Der Nutzungsvertrag laufe bis Anfang 2025, berichtet Marvin Yam, einer der ZIK-Gründer. Ihr Selbstverständnis sei es, Raum für Kulturschaffende zu schaffen – und das gelingt im Schloss-Straßen-Center augenscheinlich vortrefflich.
Während oben geredet wird, dringt immer wieder Musik und Applaus aus dem Erdgeschoss herauf: Dort wird Salsa getanzt. Und Kunstwerke werden angeschaut – hier ist die flächenmäßig wohl größte Galerie des Südwestens zu finden. Es wird gequatscht und getrunken, Roller gefahren – und Rollschuh sowieso. Alle zwei Wochen wird zum Rollschuh-Event und -Training geladen (absolut sehenswert: das Video von Rollers Inc.). An anderen Tagen finden Konzerte und Lesungen statt. „Hier wird demnächst auch eine Rollstuhldisko stattfinden“, sagt Marvin Yam.
Dass das Einkaufscenter jüngst Insolvenz angemeldet hat, stört das ZIK-Team erst einmal nicht. „Wir planen für ein Jahr, bis das mit der Insolvenz soweit ist, sind wir vielleicht schon wieder raus.“ Kommende Woche haben sie einen Termin mit dem Insolvenzverwalter, „am Telefon klang das ganz nett“. Gerne würden sie auch das Parkdeck oben auf dem Dach nutzen und dort Projekte initiieren, das sei ein Thema, das sie mit dem Insolvenzverwalter besprechen wollen.
Das Projekt sei seitens des Bezirksamts, und hier ist das Amt aus Tempelhof-Schöneberg gemeint (das SSC gehört nicht mehr zu Steglitz-Zehlendorf), freudig begrüßt und stark unterstützt worden. So manche Sondergenehmigung sei problemlos möglich gewesen, freut sich Marvin Yam. Andere Amts-Erfahrungen hat Eva Nieuweboer, sie ist die „Zwischennutzungsbeauftragte“ des Immobilienentwicklers Pandion AG, gemacht. In Friedrichshain-Kreuzberg habe sie jüngst ein halbes Jahr auf die Genehmigung des Umnutzungsantrags warten müssen – da war die Hälfte der Zeit für die Zwischennutzung schon herum. „Die Bearbeitungszeit für die Genehmigungen ist viel zu lang“, kritisiert sie. „Mit der Zwischennutzung sind wir bei all den Bauanträgen eben nicht die erste Priorität.“ Sie wünscht sich bei den Stadtplanungsämtern mehr Unterstützung für Zwischennutzungsideen.
In der Schloßstraße liege die Leerstandsquote bei 20 Prozent, sagt Stadtentwicklungsstadtrat Patrick Steinhoff (CDU) aus Steglitz-Zehlendorf. „Es geht darum, lebendige Einkaufsstraßen zu haben“, da gehöre die Kultur dazu. Er gibt zu, dass der Platz für Kultur an der Schloßstraße knapp sei. Doch trotz des Leerstands „gab es bei uns keine Anfragen zu Zwischennutzungen“.
Dabei würden ihm einige Kandidaten sofort einfallen – „das beste Beispiel ist der Bierpinsel“. Aber da müsste auch der Eigentümer seine Hausaufgaben machen und sich zum Beispiel um den Brandschutz kümmern; das könne nicht den Zwischennutzern überantwortet werden. Der Stadtrat bringt auch den Mäusebunker am Teltowkanal ins Spiel: Nicht die Innenräume, die kaum zugänglich seien, sondern den Außenbereich. „Wir sollten auch über Flächen sprechen, die zum Beispiel im Sommer draußen bespielt werden können“, regt er an. Er nehme aus der Veranstaltung mit, Orte für Zwischennutzungen zu finden. Er spricht von „Zwischenräumen“.
Dass es im Bezirk an Zwischennutzungen hapert, könnte auch an bestehenden Vorurteilen liegen. Bei den Kulturleuten würde er immer noch hören, „mit Immobilienhaien setzt man sich doch nicht zusammen, wir sind doch die Guten“, erzählt Marvin Yam. „Das ist natürlich Quatsch.“ Auch auf der Hausbesitzer-Seite gebe es Vorbehalte gegenüber Künstlern, ergänzt Eva Nieuweboer: „Das sind doch alles Chaoten, die machen alles kaputt und dann gehen sie nicht wieder – das ist genauso Quatsch.“
Eine Besucherin stellt die Frage, wie sich das ZIK-Projekt im Schloss-Straßen-Center finanziere. „Wir zahlen zwar keine Miete“, sagt Marvin Yam, „aber die Nebenkosten.“ Die hätte bei Leerstand sonst der Vermieter tragen müssen. Die Künstlerinnen und Künstler, die ihre Bilder und Plastiken im Erdgeschoss ausstellen, würden dafür nichts bezahlen. Sollte aber ein Werk verkauft werden, fließen 13 Prozent an das Projekt. Eine unzuverlässige und nicht kalkulierbare Einnahmequelle. „Besser als erwartet läuft unsere kleine Bar“, so der ZIK-Mann, „die Abende mit Tango, Salsa und Swing sind unsere umsatzstärksten Abende“. Während sich im Erdgeschoss der öffentliche Bereich befinde, sei das Obergeschoss auch für die Vermietung an Firmen für Events vorgesehen – zum Beispiel für Modeshows. „Darauf sind wir angewiesen.“ Aktuell überlege man, Atelierräume zu schaffen, „da sei es auch einfacher, Fördermittel zu bekommen“.
Dass es manches Mal Konflikte zwischen den unterschiedlichen Nutzerinnen und Nutzern gebe, erzählt Marvin Yam mit einem Zwinkern. Vieles hätten sie geplant, anderes entwickele sich von alleine, durch die Menschen in der Nachbarschaft. „Dass tagsüber so viele Kinder, auch so viele rollende Kinder, hier sein werden, haben wir nicht gedacht“, sagt er. Jüngst habe sich ein Kunstliebhaber beschwert, dass man beim Galerierundgang aufpassen muss, „nicht von einem kleinen Kind überfahren zu werden“. Aber gehöre nicht zur Kunst auch stets ein wenig Anarchie?, fragt Marvin Yam.
Die Zwischennutzung im SSC sei eine Win-Win-Win-Situation: Gut für die Kunstszene, gut für den Bezirk und die Nachbarschaft sowie gut für den Vermieter und die Läden im Center. Zum Beispiel seien Rollschuhe, so wird erzählt, im Spielzeugladen im Schloss-Straßen-Center seit Ende letzten Jahres stets ausverkauft.