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von Boris Buchholz

Veröffentlicht am 18.07.2024

Verfassungsbruch – nicht weniger wirft der CDU-Fraktionsvorsitzende Torsten Hippe dem Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf vor. Die Bezirksverordnetenversammlung diskutierte am gestrigen Mittwochabend auf Initiative seiner Fraktion die Umsetzung des neuen Cannabisgesetzes im Bezirk. Konkret: Wer eine Cannabis-Anbaugemeinschaft gründen will, muss dafür einen Antrag stellen. Den Antrag prüfen und genehmigen und die Arbeit der Cannabis-Anbaugemeinschaft kontrollieren, das ist seit etwas über zwei Wochen Aufgabe der Bezirksverwaltung – aber keiner weiß, wie das gehen und welches Amt diese Aufgabe übernehmen soll.

Es sei „noch nicht viel geklärt“, gab Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg (Grüne) im Sitzungssaal zu Protokoll. Weder habe der Senat eine Rechtsverordnung für alle Bezirke erlassen, noch seien zusätzliche Personalmittel „bereitgestellt und auch nicht angekündigt“ worden. In keinem anderen Bundesland seien die untersten Verwaltungsebenen damit beauftragt worden, Richtlinien für die Umsetzung des Bundesgesetzes zu erarbeiten. Das sei Sache des Senats. Komme keine Ansage von oben, drohe zwölffacher Wildwuchs – dann mache jeder Bezirk, was gerade geht.

Ob das im Bundestag mit der Ampelmehrheit beschlossene Gesetz denn überhaupt umsetzbar sei, wollte Torsten Hippe wissen. „Das Gesetz ist natürlich grundsätzlich umsetzbar“, konterte die Bürgermeisterin. „Wir haben ja Fantasie“, fügte sie an.

Und dann kam der Vorwurf, das Bezirksamt breche die Verfassung: „Gesetze, die es gibt, müssen umgesetzt werden“, so Torsten Hippe. So sei es im Grundgesetz geregelt. Übrigens weiß die CDU auch ganz genau, wer im Bezirksamt in Sachen Cannabis versagt: Umwelt- und Ordnungsstadtrat Urban Aykal (Grüne). Während im Senat SPD-Gesundheitssenatorin Ina Czyborra den Hut auf hat (oder haben sollte), labeln die Christdemokraten im Bezirk das Gesetz zur Angelegenheit des Verbraucherschutzes und der öffentlichen Ordnung.

Es war eine hitzige und teilweise erstaunliche Debatte – während im Bundesgesetz die Umsetzungsverantwortung bei den Ländern definiert ist, macht die CDU die Bezirksverwaltung dafür verantwortlich, dass noch kein Antrag auf die Gründung einer Cannabis-Anbaugemeinschaft bearbeitet wird. Was ist mit der Verantwortung des schwarz-roten Senats? Mit „Frau Czyborra hat auf ganzer Linie versagt“ reicht der CDU-Bezirksverordnete Sebastian Voigt den schwarzen Peter an die SPD weiter. Von der schwarzen Mehrheit im Senat oder der Führungsrolle des Regierenden Bürgermeisters spricht er nicht. Stattdessen: Auch wenn der Senat keine Vorgaben mache, entlasse das den Bezirk nicht aus der Pflicht, das Gesetz umzusetzen.

Kurios: Denn für die Steglitz-Zehlendorfer CDU ist das Cannabisgesetz noch weniger anstrebenswert als ein Hundeverbot am Schlachtensee. Wenn Sie verpasst haben sollten, was alles am vom Bundestag beschlossenen und schon vor Wochen fast überall diskutierten Gesetz kritisiert werden kann – gestern hätten Sie Gelegenheit zur kostenfreien Nachhilfestunde gehabt (leider wird der Livestream aus dem Rathaus Zehlendorf nicht aufgezeichnet, sonst könnten Sie sich auch heute noch die volle Dröhnung gönnen). Die Gesundheitsgefahren von Cannabis wurden ebenso thematisiert wie der Bedarf an Aufklärung und Prävention oder die Unkontrollierbarkeit der Konsum-Bannkreise um Schulen und Kitas oder in einer Fußgängerzone (die gab es in Steglitz-Zehlendorf aber nur für wenige Monate).

Wie wichtig der CDU die generelle Cannabis-Kritik und die Schuldzuweisung an die Bezirksamtsmitglieder der Grünen war, spiegelt auch die Redeliste wider: Fünf Mal, teilweise direkt nacheinander, schritten Bezirksverordnete der CDU zum Redepult. Die Fraktionen von Grünen, SPD und FDP beteiligten sich jeweils einmal an der Debatte – und verweisen zusammen dreimal auf die gesamtstädtische Verantwortung des Senats. Den schönsten Satz sprach Sören Grawert (FDP) ins brummende Mikrofon: „Im Paragrafen-Dschungel wächst Gras nicht so richtig gut.“

Noch schnell zur Faktenlage im Bezirk: Bisher hat ein Anbauverein einen Antrag auf Gründung beim Bezirksamt eingereicht. Der Antrag wurde entgegengenommen, der Eingang bestätigt und auf die unklare Rechtslage verwiesen. Jetzt harrt der Antrag seiner Bearbeitung – wann und von wem, das ist noch ungewiss.