Kultur
Kirchenkreis macht mit dem DT Theater: 18 Jugendliche entwickeln ein Stück zu den Umbrüchen von 1989
Veröffentlicht am 10.10.2019 von Boris Buchholz
Wie erinnert man sich an etwas, bei dem man noch gar nicht geboren war? Jeweils sechs Jugendliche aus Moskau, Warschau und Berlin gehen seit Wochen dieser Frage nach – sie waren weder beim Fall der Mauer dabei, noch bei den ersten freien Wahlen in der Sowjetunion oder dem Sturz des kommunistischen Systems in Polen. Sie haben Ihre Eltern und Großeltern befragt, trafen gemeinsam in ihren Heimatstädten Zeitzeugen, gingen in den drei Städten auf Spurensuche. Zur Zeit verwandeln sie ihre Erkenntnisse, ihre Erfahrungen, ihre Positionen und Meinungen in ein Theaterstück. Seit Tagen entwickeln und proben sie am Deutschen Theater unter der Regie von Uta Plate ihre Inszenierung, „30.nach.89 – Talking About Your Generation“ heißt sie. Ein Vorab-Auszug:
Emma: Wie alt warst du eigentlich bei der Wende?
Frank, Vater von Emma: Wie alt ich bei der Wende war?
Emma: 89 war die, also vor 30 Jahren…
Frank: Kannste dir ja dann ausrechnen. (lacht) Die Wende ist bei dir also 1989?
Emma: Ja.
Frank: 89 war ich 20 Jahre alt, so alt, wie du jetzt … bisschen älter. Zu der Zeit war ich beim Militärdienst. Und aus irgendwelchen Gründen dachte man, ich wär ein ganz zuverlässiger Mensch und ich wurde zu den Grenztruppen eingezogen, die die Mauer bewacht haben. Hier in Berlin.
Emma: Echt? Und wo warst du während des „alle Leute rennen über die Mauer“? (interessiert)
Frank: Während des „alle Leute rennen über die Mauer“, ja (lacht) da war ich in meinem Bett.
Die Idee zum Theater-Projekt wurde im Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf geboren. „Früher waren die Jugendlichen Zaungäste, die zuhörten, wenn Opa Geschichten erzählte“, sagt Superintendent Johannes Krug. „Die Idee war, Jugendliche zu Akteuren der Erinnerungskultur zu machen.“ Die Kooperation des Kirchenkreises mit dem Jungen Deutschen Theater besteht schon seit 2015; das aktuelle Projekt ist bereits das dritte der Reihe. Dieses Jahr ist als weiterer großer Partner die Evangelische Kirche Deutschlands hinzugekommen.
„Es ist unser Beitrag zu 30 Jahren friedliche Revolution“, erklärt der Superintendent. „Es ist gut verbrachte Zeit, es ist super gut investiertes Geld“, ist er sich sicher. Die Erfahrungen der Vorgängerprojekte hätten gezeigt, dass die Beteiligten von dem Projekt „für das Leben geprägt“ werden. Über den Tellerrand hinausschauen, feststellen, was Jugendliche in Deutschland, Polen und Russland verbindet – und damit umgehen zu lernen, was sie trennt. Und noch etwas macht das Projekt besonders: Die Generationen kommen ins Gespräch. Neben Mütter, Vätern und Kindern – wie Emma und Frank – werden auch die Großeltern Teil des Spiels:
Molimos Großmutter: (power) Die sind in den Westen, sind sich in die Arme gefallen, ein Jubel überall. Nach 14 Tagen sind dann auch die Verwandten gekommen und haben das Begrüßungsgeld bekommen.
Molimos Großvater: Dann hatten die so viel Geld und meine Cousine hat nen gebrauchtes Auto gekauft. Ja.
Großmutter: Aber ich muss sagen, die haben keinen Hunger gelitten. Die haben alles gehabt…
Großvater: …also die Grundnahrungsmittel
Großmutter: …aber so gewisse Dinge eben nicht, dafür waren dann die Verwandten im Westen da.
Großvater: Die haben auch viel geschachert, beim Metzger haben die dann was zurückgehalten unter der Theke und eingetauscht für ein LKW-Ersatzteil. So wurde dann auch mal ein Bier organisiert, was sonst nur die sogenannten Bonzen getrunken haben Und so konnten wir da auch mal ein Bier trinken in der ehemaligen DDR.
Großmutter: Die konnten gut schachern. Also eine Hand wäscht die andere. Und die haben geschmuggelt.
Großvater: Aber das musste dann nicht mehr sein.
Ost trifft West, Polen trifft Russland trifft Deutschland, Alte treffen Junge. Auch Sie haben die Chance, dabei zu sein und sich „30.nach.89“ anzusehen und anzuhören. Die Premiere am 19. Oktober ist zwar bereits ausverkauft, aber für die Aufführungen am Montag, 21. Oktober, 11 und 19 Uhr, gibt es beim Deutschen Theater noch Karten (deutschestheater.de).
Was bleibt heute von der friedlichen Revolution? Und wie wirkt sie nach, eine Generation später? Über diese Fragen diskutieren bereits am Mittwoch, 16. Oktober, um 20 Uhr DT-Intendant Ulrich Khuon, Christian Stäblein, Propst und designierter Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, die Journalistin Sabine Rennefanz und die Autorin Emilia Smechowski auf der Bühne des Deutschen Theaters. Regisseurin Uta Plate stellt schon vor der Premiere Ausschnitte „30.nach.89“ vor. Das einzige Manko der Veranstaltung: Jugendliche sind nicht auf das Podium geladen. Der Eintritt ist kostenfrei, das Deutsche Theater finden Sie in Mitte, in der Schumannstraße 13a.