Kultur
Ein Haus aus Kupfer, rauchlos kochen, Leben auf der Drehscheibe: Die Ausstellung "Gross. Grün. Neu." eröffnet wieder
Veröffentlicht am 07.05.2020 von Boris Buchholz
Es sollte das modernste, das „vollkommenste“ Haus der Gegenwart sein: Das Wohnhaus in der Schorlemmerallee 16 in Dahlem besteht außen komplett aus Kupferplatten, innen sind Blechwände verbaut. 1931 wurde es, es handelt sich um Typ „Kupferstolz“, für Lotte Bach gebaut; sie wohnte mit ihrer Familie bis 1933 darin, dann wurde die Jüdin durch die Nationalsozialisten vertrieben. Erdacht haben das Haus aus Edelmetall die Architekten Friedrich Förster, Robert Krafft und Walter Gropius – die Idee, Häuser massenhaft industriell herstellen zu können, trieb die Expertinnen und Experten der 1920-er Jahre an. In nur einer Woche wurde das Haus, das die Firma Hirsch in Eberswalde-Finow gefertigt hatte, aufgestellt. „Man wollte die Ideen aus der Automobilindustrie aus den USA auf den Wohnungsbau übertragen“, erklärte beim Besuch der noch geschlossenen Ausstellung „Neu, Groß, Grün.“ Brigitte Hausmann, die Leiterin des Steglitz-Zehlendorfer Kulturamts.
Als vor 100 Jahren Groß-Berlin gegründet wurde, begann (nicht nur in der Stadt) eine Dekade der Moderne, des Neuen. Wohnungsnot war in den 1920-er Jahren ein drängendes Problem, Groß-Berlin lieferte ein großartiges Experimentierfeld für neue Ideen des Wohnens und des Arbeitens. Das schnell zu bauende Kupferhaus war nur eine der vielen Antworten: Die Waldsiedlung Onkel Toms Hütte (moderne Wohnungen für Geringverdiener und „Proletariervillen“) entstand und an Steglitzer und Munsterdamm tat sich mit der „Rauchlosen Siedlung“ (alles wurde elektrisch betrieben: das Licht, das Bügeleisen und sogar der Herd; geheizt wurde erstmals per Fernwärme) ähnlich Revolutionäres. Wie kann man in einer modernen Großstadt gut und gesund leben und arbeiten?
Diesen Fragen geht die Ausstellung „Neu, Groß, Grün. 100 Jahre Architekturmoderne im Berliner Südwesten“ nach – ab Montag, 11. Mai, wird sie nach dem Corona-Lockdown wiedereröffnet. Erzählt wird von den Kuratorinnen Nicola Bröcker, Celina Kress und Simone Oelker auch, dass die Gründung Groß-Berlins für einheitliche stadtweite Regeln sorgte. Zum Beispiel sollten in der ganzen Stadt pro Einwohner drei Quadratmeter Sport- und Spielfläche zur Verfügung stehen – ein Novum. Also wurde gebaut: Das Stadion Lichterfelde entstand ebenso wie das Strandbad Wannsee, auch der Fischtalpark ist ein Kind dieser Zeit. Viele Gebäude, die wir heute kennen, schätzen und nutzen, hängen mit den 1920-er Jahren zusammen: Wussten Sie, dass auch der Titania-Palast und die Ladenstraße am U-Bahnhof Onkel Toms Hütte aus der Südwest-Moderne stammen?
Ich habe beim Ausstellungsbesuch vielfach gestaunt. Auf die Idee, in einem Wohnhaus eine Drehbühne wie in einem Theater einzubauen, so dass man jeweils das Musikzimmer, das Esszimmer oder das Wohnzimmer „nach vorne drehen“ konnte, muss man erst einmal kommen (in der Onkel-Tom-Straße wurde das Konzept 1924 in den Häusern des Architekten Richard Neutra umgesetzt). Was mich richtig umgehauen hat: Mein Kiefernorthopäde aus Grundschulzeiten residierte mit seiner Praxis nahe des Breitenbachplatzes in der Versuchssiedlung Schorlemmerallee – ich hatte damals keinen Blick für die innovative Architektur, stattdessen klapperte ich beim Eintritt in das Gebäude vor Angst vor der nächsten Standpauke mit den (noch) schiefen Zähnen.
„Neu, Groß, Grün. 100 Jahre Architekturmoderne im Berliner Südwesten“ ist zweigeteilt: Ein Teil der Ausstellung wird im Gutshaus Steglitz (Schloßstraße 48), ein anderer in der Schwartzschen Villa (Grunewaldstraße 55) gezeigt. Ab dem 11. Mai können Sie sich täglich von 10-18 Uhr der Südwest-Moderne widmen, der Eintritt ist kostenfrei. Corona-bedingt können zeitgleich nur jeweils zwölf Besucher die Ausstellung ansehen; bitte tragen Sie in den Räumen einen Mundschutz. Die Räume sind leider nicht barrierefrei zu erreichen.