Kultur
"Himmlers Rennfahrer": Umbenennung des Rosemeyerwegs in Nikolassee gefordert
Veröffentlicht am 01.10.2020 von Boris Buchholz
„Himmlers Rennfahrer“: Umbenennung des Rosemeyerwegs in Nikolassee gefordert. Er ist 230 Meter lang, kein Auto fährt auf, sondern nur auf der Autobahn unter ihm; es ist ein Weg für Fußgänger und Radfahrer. Wenn Sie schon einmal am S-Bahnhof Nikolassee ausgestiegen sind, um zum Strandbad Wannsee oder zur Havel zu laufen, dann kennen Sie ihn: den Rosemeyerweg. 1965 wurde der fünf Jahre früher gebaute Weg über die A 115 zu Ehren des Rennfahrers Bernd Rosemeyer benannt.
Bernd Rosemeyer war der erfolgreichste deutsche Rennfahrer der 1930-er Jahre. Er starb 1938 beim Versuch, einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen – 429,491 Stundenkilometer wurden gemessen. Dann erfasste eine Windböe sein Auto, er wurde aus dem Wagen in den Wald geschleudert und war sofort tot. Zu seiner Beerdigung, so hat es der Zehlendorfer Historiker und Autor Wolfgang Ellerbrock recherchiert, hielt Adolf Hitler die Trauerrede; Heinrich Himmler und Hermann Göring kondolierten.
1932 war Rosemeyer in die SS eingetreten; bis zum SS-Hauptsturmführer hat er es gebracht. „Er war als einziger der deutschen Spitzenrennfahrer und ohne Zwang der SS beigetreten“, berichtet Historiker Ellerbrock. Er und seine Frau Elly Beinhorn, die berühmte Pilotin, „haben mit ihrer Unterstützung des NS-Staates deutlich gemacht, dass sie dieses System befürworten und unterstützen“. Elly Beinhorn war Mitglied des Nationalsozialistischen Fliegerkorps. Bei ihren Langstreckenflügen testete sie, so der Autor Christoph Frilling in seinem Buch „Himmlers Rennfahrer. Bernd Rosemeyer, der SS-Hauptsturmführer aus Lingen“, Prototypen der Messerschmitt-Jagdflugzeuge, „mit denen Nazi-Deutschland im spanischen Bürgerkrieg und auf den Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs Angst und Schrecken verbreitete“.
Elly Beinhorn berichtete in ihrem Buch „Mein Mann der Rennfahrer“ (es erschien 1938 und wurde 200.000-fach verkauft; ich habe antiquarisch nur die entnazifierte Fassung von 1987 erstehen können) aus dem Jahr 1936 über ihren Gatten: „Zu meines Mannes besonderer Freude und Genugtuung hatte er die Nachricht erhalten, dass in Anerkennung seines Sieges ihn der Reichsführer SS zum Hauptsturmführer befördert habe.“ Und Rosemeyers Zeitgenosse Bernd Bretz schrieb 1938: „Wer ihn gekannt hat, der weiß, wie stolz er war, in den Reihen der SS zu stehen. Er wusste, dass er als Rennfahrer für eine Gemeinschaft von Männern kämpfte, für die letzter und höchster Einsatz von Können und Leben auch letzte und höchste Erfüllung ihres Seins bedeute.“ Beide Zitate stammen aus dem Buch von Christoph Frilling, ich habe es mit Staunen und Gewinn gelesen.
Wolfgang Ellerbrock hat es jedoch nicht bei der Recherche zu Bernd Rosemeyer bewenden lassen. Er wollte auch wissen, wie es zur Benennung des bis 1965 namenlosen Wegs gekommen ist. Im Rathaus Zehlendorf nahm er Einblick in die Akten: 1963 schlug ein Bürger dem Bezirksamt Zehlendorf vor, eine Straße nach Bernd Rosemeyer zu benennen. 1964 entschied die „Deputation für Volksbildung und Kunst“, dem Fußweg über die Autobahn Rosemeyers Namen zu geben. Und 1965 verkündete der damalige Bürgermeister Zehlendorfs, Willy Stiewe (CDU), das Ende des Namensgebungsprozesses – im Januar wurden die neuen Schilder aufgestellt.
Politisch heute unfassbar: Willy Stiewe war zwischen 1931 und 1944 Chefredakteur der Neuen Illustrierten Zeitung gewesen. „Er galt als wichtigster Theoretiker der NS-Bildpropaganda“, erklärt Wolfgang Ellerbrock. Seinen Ruf als Nazi-Propagandist hat Stiewe unter anderem mit seinen Büchern „Das Bild als Nachricht“ und „Foto und Volk“ gefestigt, heißt es auf Wikipedia. Das Foto von Bernd Rosemeyer, auf dem er in Siegerpose seinen Arm zum Hitlergruß hebt (die Bildunterschrift lautet „Der Sieger“), dürfte dem späteren Zehlendorfer Bürgermeister also gefallen haben – Sie finden es auf Seite 8 von Christoph Frillings Buch.
Das Fazit ist für den Historiker Ellerbrock klar: „Es wird Zeit, dass der Weg umbenannt wird.“ Dass sei auch einfach zu gestalten, meint er – es gibt keine Anwohner, es müssten nur zwei Schilder ausgetauscht werden. – Text: Boris Buchholz
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