Kultur
„Überall werden die Budgets halbiert, geviertelt“: Diskussion zu Kultur in den Außenbezirken
Veröffentlicht am 29.06.2023 von Boris Buchholz
„Letztes Jahr war ganz gut, aber dieses Jahr geht es ziemlich steil bergab“, sagt der freiberufliche Eventmanager und ehemalige Moderator beim Kinderfernsehen der DDR, Michael Ehrenteit. Er bringt es auf den Punkt: „Überall werden die Budgets halbiert, geviertelt – und die Künstlerinnen und Künstler wollen ein bisschen mehr, wegen der höheren Kosten.“ Doch wenn er ein Festival organisiert, dann kann er an Dixiklos und Security, beides ist teurer geworden, nicht sparen. An wem gespart werde, sei die Kunst.
Frank Schaal, er organisiert mit dem Regionalinkubator Berlin Südwest Netzwerke und Veranstaltungen, hatte am vergangenen Montagabend in das Open-Air-Theater der Shakespeare Company Berlin am Insulaner geladen. Das Thema der Veranstaltung: „Kultur als Wirtschaftsfaktor – Chancen und Herausforderungen für die Kulturbetriebe der Berliner Außenbezirke“. Es hatte kurz zuvor gewittert und gestürmt, etwa 30 Zuhörerinnen und Zuhörer hatten trotzdem den Weg ins Theater gefunden. „Wir haben eine rege Kulturszene außerhalb des S-Bahnrings“, sagt Frank Schaal. In den Rängen wird genickt, auf der Bühne auch. Doch dass es diese Szene gibt, die weitgehend ohne staatliche Mittel auskommen muss, scheint echte Magie zu sein.
„Wir finanzieren uns aus eigenen Einnahmen, was an ein mittelgroßes Wunder grenzt“, sagt Katharina Kwaschik von der Steglitzer Shakespeare Company. Die Leiterin des Theaters Ost in Adlershof, Kathrin Schülein, kennt das Phänomen: „Auch wir wundern uns permanent, dass wir es schaffen, uns selbst zu finanzieren.“ Das funktioniere aber nur, weil sie weniger als ein Geringverdiener aus der Kasse nehme. Sie sei Theaterleiterin, Choreografin, Regisseurin, Reinigungskraft und Platzanweiserin in einem – für feste Angestellte reiche das Budget nicht. Die Situation der freien Theater sei hochdramatisch. „Mich erreichen täglich Nachrichten, dass Theater und Galerien schließen“, sagt sie. Das Theater Ost habe eine Auslastung von 40 bis 50 Prozent, „bei steigenden Kosten“. Sie wisse nicht, wie es weitergehen solle; sie hätte „ernsthaft über eine Schließung nachgedacht“. Ihr ist anzumerken, wie sehr sie der Gedanke schmerzt. Ihr Theater mit drei Bühnen und 500 Quadratmeter Außenfläche „ist ein Lebenswerk vieler fleißiger und sehr bescheidener Leute“.
Nach der Pandemie im vergangenen Jahr seien viele Menschen ins Theater geströmt, sagt Stefan Plepp, der Co-Geschäftsführer der Shakespeare Company. „Wir waren sehr stolz und sehr froh.“ Doch dieses Jahr sei die Saison „nicht so gut gestartet“ – und die Open-Air-Bühne habe nur die Sommermonate, um Einnahmen zu generieren; Mitte September sei die Saison für die Steglitzer Theaterleute schon wieder vorbei. Er beklagt den stiefmütterlichen Umgang der Stadt mit seinen Kulturorten und Kunstschaffenden. Seit 1999 habe sein Haus insgesamt 15.000 Euro Förderung aus Berlin erhalten. „Wir werden von der Berliner Politik nicht anerkannt“, es sei bitter. Und auch die Berliner Presse sei davon abgekommen, über freie Theater zu berichten.
Auch in der Musikbranche sei die Stimmung schlecht, weiß Michael Ehrenteit. „Gute Bands, sie sonst in Sommermonaten zehn bis 15 Auftritte hatten, haben jetzt nur noch zwei.“ Erst Corona, dann ein Nachholeffekt, jetzt werde gespart. Kultur als gesellschaftlicher Kitt falle zunehmend weg, der Zusammenhalt werde geringer. „Gestern erzählte mir eine Lehrerin, Bäume würden mehr CO₂ ausstoßen als Autos – jeder findet sein Youtube-Video“, kommentiert er.
In der Stadt gebe es 8000 bildende Künstlerinnen und Künstler, spricht Horst Schäfer vom Projekt „Artprotect“ ins Mikrofon, „maximal zehn Prozent schaffen es, davon zu leben“. Um das zu ändern, gehen er und seine Mitstreiter neue Wege der Vermarktung: „Bei uns kann man Kunst mieten, kaufen, leasen, wir bringen die Ware nach Hause – ganz wie der Kunde es will.“ Zugleich sieht er eine Übersättigung des Marktes. „Wir werden mit Kunst zugeschissen“, meint er, jeden Tag gebe es in Berlin 1500 Kulturveranstaltungen.
Neue Wege geht auch der Kunstverein Schlachtensee. „Wir gehen auf Menschen aus der Wirtschaft zu“, berichtet Manuel Schroeder, er ist einer der Gründer des Vereins. Am S-Bahnhof Schlachtensee kooperiert der Verein mit einem Modeladen. Das neue Ausstellungsprojekt startet am morgigen Freitag und wird mit der Galerie Kairos in der Karl-Hofer-Straße 39 durchgeführt. Er sieht keine große Wahl: „Wir wollen von der Kunst leben.“ Die Berliner Förderlandschaft sei zwar groß, „aber auch lobbyistisch verteilt“. Seit 2011 habe er als bildender Künstler „keinen einzigen Antrag bewilligt bekommen“. Da er noch ein Arbeitsstandbein in Krefeld habe, könne er zwischen Nordrhein-Westfalen und Berlin gut vergleichen. Im größten Bundesland gelängen 50 Prozent der Anträge: „Offensichtlich geht es in NRW eher um Inhalte und weniger um Marketing“, ist sein Urteil.
Bei der Frage, wie Lösungen für die Kultur in den Außenbezirken aussehen könnten, hatten die Diskutierenden verschiedene Ideen. „Berlin gibt 600 Millionen Euro für die Kunst aus, davon gehen 95 Prozent an die Institutionen – dazu gehören wir nicht“, kritisiert Theatermann Stefan Plepp. Während Volksbühne oder Deutsches Theater pro Vorstellung und Platz mit 100 Euro gefördert würden, gingen die kleinen Häuser leer aus. „Warum verteilt man das Geld nicht danach, wie viele Zuschauer erreicht werden?“, fragt er. In einer guten Saison kämen in sein Theater bis zu 15.000 Gäste; er ist sicher, dass die Shakespeare Company von einer Förderung pro Zuschauer profitieren würde.
Anders argumentiert Manuel Schroeder. „Kunst muss generell gefördert werden, und zwar durch den Staat“, stellt er klar. Denn es müsse dem Künstler darum gehen, „Kunst zu schaffen und nicht das Bild zu verkaufen“. Sollte der Staat den freien Schaffensprozess durch das Merkmal Publikumserfolg beschneiden, „vertut man eine große Chance“.
Kultur ins Grundgesetz, das ist die Lösung, die Kathrin Schülein vom Theater Ost anstrebt. Sie engagiert sich in der gleichnamigen Initiative und fordert, den Schutz von Kunst und Kultur als Grundrecht zu verankern. Zugleich müssen alle Menschen am kulturellen Leben teilhaben können. „Und die dritte Forderung lautet, ein gesetzliches Regelwerk zu schaffen für freiberufliche, solo-selbstständige Künstler, damit sie nicht mehr in unverschuldete Dienstausfälle geraten.“ Für sie seien Kunst und Kultur ein Bereich der Bildung, „doch das wird in unserer Gesellschaft leider nicht gesehen“.
Neben den Kulturschaffenden stand auch ein Politiker auf der Theaterbühne. Der grüne Bezirksverordnete und kulturpolitische Sprecher seiner Fraktion, Carsten Berger, verspricht sich einiges für die Künstlerinnen und Künstler, wenn die staatlichen Vergabekriterien und Förderinstrumente transparenter gestaltet werden würden. Das fange bei der dezentralen Kulturarbeit im Bezirk an und höre beim Hauptstadtkulturfonds auf. „Man muss auch Grundlagenforschung fördern“, sagt er, nicht nur das, was schon bekannt sei, aktuell und hipp erscheine oder bereits bewiesen habe, dass es publikumswirksam sei.
Nicht wie den Radwegen. Ob denn die Anwesenden glauben würden, dass der neue Kultursenator Joe Chialo (CDU) der freien Szene helfen werde, fragt Gastgeber Frank Schaal. „Wir sind sehr gespannt, noch konnte er ja nicht viel zeigen“, antwortet Stefan Plepp. Und er fügt gewitzt hinzu: „Wir hoffen nur, dass es der Kultur nicht so ergeht wie den Radwegen.“