Namen & Neues

Eklat um ehemalige Justizministerin der DDR: Broschüre mit Beitrag zur "blutigen Hilde" zurückgezogen, BVV debattiert

Veröffentlicht am 17.05.2018 von Boris Buchholz

Am Freitagmorgen nach Himmelfahrt schrillten bei Kay Ehrhardt, Fraktionsvorsitzender der FDP in Steglitz-Zehlendorf, die Alarmglocken. In einer Pressemitteilung des Bezirksamts wurde die neue Broschüre „Starke Frauen in Steglitz-Zehlendorf 1945-1990“ beworben. Die erste der 23 vorgestellten „starken“ Frauen ist Hilde Benjamin, die in der DDR zunächst Vizepräsidentin des Obersten Gerichts und dann 14 Jahre lang Justizministerin im SED-Staat war. Sie war für Schauprozesse, Todesurteile und harte Zuchthausstrafen verantwortlich, sie wurde als „Rote Guillotine“ und „Blutige Hilde“ bezeichnet. Dass die Broschüre mit dieser Front-Frau publiziert worden war, ist für Ehrhardt unerklärlich.

Im Vorwort der Broschüre schreibt der Stellvertretende Bezirksbürgermeister und Genderbeauftragte des Bezirksamts Michael Karnetzki (SPD): „Die hier vorgestellten Frauen aus unserem Bezirk haben gelernt, sich durchzusetzen, haben ihren Weg gefunden in einer Gesellschaft, die erst lernen musste, Frauen als gleichberechtigt anzuerkennen und die das immer noch lernen muss. […] [Es ist] ein sehr gelungenes Werk.“

„Ich finde diese Broschüre unsäglich“, sagte Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotwoski (CDU). Wie die Beiträge ausgewählt worden seien, entziehe sich ihrer Kenntnis: „Jutta Limbach in der gleichen Broschüre zu nennen wie Hilde Benjamin finde ich ein ziemlich starkes Stück.“ Herausgeber der Publikation ist der Verein „YOPIC – Young People for International Cooperation“; finanziert wurde das Heft über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vom Jobcenter Steglitz-Zehlendorf, unterstützt wurde das Projekt vom Bezirksamt und insbesondere von der Frauenbeauftragten. Erstellt worden sei die Broschüre von einem 15-köpfigen Team, steht in der Heft-Einleitung. Doris Habermann, Vorstandsvorsitzende von YOPIC, erklärte auf Nachfrage: „Wenn ich die Folgen nach allen Seiten hin bedenke, würde ich den Text bezogen auf eine so umstrittene Person stärker reflektieren.“

In Vertretung von Michael Karnetzki (er ist auf Dienstreise in der Ukraine) räumte Jugendstadträtin Carolina Böhm (SPD) in der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am Mittwochabend ein, dass das Bezirksamt einen „eklatanten Fehler“ gemacht habe: Der Inhalt der Broschüre hätte genauer geprüft werden müssen. Die Bezirksbürgermeisterin erklärte, sie habe den Herausgeber aufgefordert, alle einhundert gedruckten Exemplare des Heftes an das Bezirksamt zu übersenden – das Wappen des Bezirks sei ohne Erlaubnis verwendet worden („Das ist ein Fehler“, entschuldigt sich YOPIC-Vorsitzende Habermann). Die Auflage solle vernichtet werden. Die Pressemitteilung und die Broschüre als PDF-Datei sind seit Freitagmorgen nicht mehr über die Internetseite des Bezirks abrufbar.

Der Bezirksverordnete Clemens Escher (CDU) sprach schon vor der Sitzung von „Ignoranz und Ahnungslosigkeit im Amt“. Benjamin stehe „für die schlimmsten Auswüchse politischer Justiz“. Kein Stadtrat sollte sich „entblöden, eine solche Broschüre herauszugeben und ein Vorwort beizusteuern“. Die CDU kündigte „nach jetzigem Stand“ einen Missbilligungsantrag, „wenn nicht einen Abwahlantrag“, gegen den SPD-Stadtrat an. Zwei Dringlichkeitsanträge, die Broschüre nicht weiterzuverbreiten beziehungsweise die Auflage einzustampfen, beschlossen die Bezirksverordneten am Abend nach längerer Diskussion – das Amt hatte in diesem Sinne schon längst gehandelt.

Die Herausgeber- und Unterstützergruppe hat ihrem Anliegen, für starke Frauen zu werben, leider einen Bärendienst erwiesen: Alle reden über Hilde Benjamin, keiner mehr über die positiven und wirklich starken Vorbilder. Biographien von Persönlichkeiten wie die Frauenrechtlerin Sigrid Damm-Rüger, die Journalistin Annamarie Doherr, die Lehrerin Bärbel Schmidthals oder die Friedensaktivistin Brigitte Gollwitzer wären Anregungen für alle Bürgerinnen und Bürger in Steglitz-Zehlendorf (bei einer weiteren Frau habe ich allerdings auch meine Schwierigkeiten, sie als positives Vorbild zu begreifen: Ich meine die Geschäftsfrau und skandalumtoste Kreisel-Architektin Sigrid Kressmann-Zschach). Fest steht: Eine kontroverse und spannende Lektüre.