Namen & Neues
Kollaps im Hochbauamt: Baustopps bei Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden, weil Elektroingenieure fehlen
Veröffentlicht am 14.06.2018 von Boris Buchholz
Die letzten Sätze eines internen Vermerks aus dem Hochbauamt Steglitz-Zehlendorf, der dem Tagesspiegel vorliegt, bergen eine amtliche Katastrophe und einen politischen Skandal: „Unter den gegebenen Umständen ist die AG Hoch 4 bis Ende 2019 nicht in der Lage Projekte zu betreuen. Sofern in den kommenden 12 Monaten 8 Elektro-, 1 Fernmelde-, 4 HLS-Ingenieure sowie 1 Gruppenleitung rekrutiert werden, kann ab 2020 mit der ’normalen‘ Projektarbeit wieder begonnen werden.“ Im Klartext: Ab 1. Oktober wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im Hochbauservice des Bezirksamts kein einziger Elektroingenieur mehr arbeiten. Von den sieben Planstellen sind zur Zeit nur zwei besetzt; ab dem 18. Juni wird nur noch ein Mitarbeiter tätig sein – und auch dieser sucht aktiv nach einer neuen Arbeitsstelle, er habe schon Stellenzusagen von anderen Behörden, heißt es in dem Vermerk.
Baustopps sind die Folge: Die bezirklichen Elektroingenieure sind für den sicheren Betrieb aller fest verbauten technischen Einrichtungen verantwortlich. Blitzschutz gehört dazu, Brandschutz, Alarmanlagen, Aufzüge, Feuerlösch- und Entrauchungsanlagen und vieles mehr. Die gesamte Arbeitsgruppe Hoch 4, dazu gehören auch Experten für Heizung, Lüftung, Sanitär und Fernmeldetechnik, muss etwa 1200 prüfpflichtige Anlagen im Blick behalten. Hinzukommen neue Projekte wie Schulsanierungen oder Neubauten, bei denen die Experten Bauplanungsunterlagen bearbeiten, Aufträge an Fachfirmen ausschreiben, Rechnungen prüfen und Anlagen abnehmen müssen. Keine eigenen Elektroingenieure mehr zu haben, bedeutet, dass ganze Bauprojekte gestoppt werden müssen, dass neue Projekte nicht begonnen werden können und dass neue Wartungsarbeiten nicht an externe Firmen vergeben werden können.
Zur Zeit werde an Notfallplänen gearbeitet, sagt die zuständige Baustadträtin Maren Schellenberg (Grüne). Die laufenden und geplanten Baumaßnahmen würden daraufhin durchforstet, welche Schritte auch ohne Elektroningenieure zu leisten sind. Alle anderen würden gestoppt. „Neue Aufträge werden erstmal kurzfristig nicht vergeben“, erklärt sie. Bei den Schulsanierungen „werden sich diverse verzögern“. Die Leitungen des Schulamts und des Facility Managements würden mit jeder betroffenen Schule persönlich sprechen, „damit diese direkt und zuerst über Verzögerungen informiert werden“. Es werde geprüft, ob andere Bauabschnitte, die keine Zuarbeit eines Elektroingenieurs bedürfen, vorgezogen werden könnten. Ein weiteres Problem: Da der Bezirk durch den Experten-Ausfall nicht in der Lage sein wird, alle bereits finanzierten Baumaßnahmen bis zum Jahresende auszuführen, werden beantragte Mittel zum Jahresende an den Senat zurückfließen müssen. Es „wird sicher etwas Geld sein“, das nicht ausgegeben werden kann, sagt Schellenberg. Über die vermutliche Höhe könne sie zur Zeit keine Angaben machen.
Zu den notwendigen Wartungen bestehender Anlagen signalisiert die Stadträtin Entwarung: Es bestünden für die bestehenden Anlagen Wartungsverträge mit externen Firmen, vom Mangel an Fachleuten im Amt seien diese Dienstleistungen nicht betroffen. Bei den Wartungen könnten bei Bedarf auch weitere Aufgaben an private Ingenieurbüros delegiert werden. In allen Belangen, in denen das Bezirksamt Aufgaben als Bauherr erfülle, sei das aber nicht möglich. Hier werde gestoppt, überprüft, wenn möglich neu verteilt.
Dass eine Abteilung des Hochbauservices ihre Arbeit weitgehend einstellen muss und Bauprojekte vorerst auf Eis gelegt werden, ist eine amtliche Katastrophe. Alle Abteilungen im Bezirksamt sind mit ihren Projekten vom Ingenieurmangel in Hoch 4 betroffen. Schulen, Jugendeinrichtungen, Rathäuser – Hoch 4 hat die Aufgabe, circa 370 Gebäude des Bezirks am Laufen zu halten.
Der politische Skandal ist, dass dem Personalmangel – und vor allem dem Weggang von Fachleuten – nicht rechtzeitig Einhalt geboten wurde. Die Probleme in der Bauabteilung sind nicht neu. Auch Schellenbergs Amtsvorgänger Michael Karnetzki (SPD) kannte das Problem: Schon 2014 hatte es eine Überlastungsanzeige der Hochbaumitarbeiter gegeben; „das Dezernat scheint nicht einsichtig zu sein“, hieß es darin. Als Maren Schellenberg vor 18 Monaten Baustadträtin wurde, waren die Leitungsstellen im Hochbauamt unbesetzt – „ein großes Problem“, sagt die heutige Baustadträtin. Die Leitung der Abteilung Facility Management ist nun wieder besetzt, voraussichtlich zum 1. Juli wird der neue Chef des Hochbauservices, Hoch 1, die Arbeit aufnehmen.
„Ich habe den Fachkräftemangel und die Größe des Marktes unterschätzt“, sagt die Baustadträtin. Stephan Göldner, der Vorsitzende des Personalrats, macht zum einen die „jahrzehntelange Sparpolitik des Berliner Senats“ und den jahrelangen Stellenabbau für die schlechte Personalsituation verantwortlich. Jetzt sei zwar wieder Geld für Personal da, aber die Stellen könnten, trotzdem sie immer wieder ausgeschrieben würden, „aufgrund der Arbeitsmarktsituation kaum oder nicht besetzt werden“. Zum anderen scheiden viele Mitarbeiter altersbedingt aus – und „jüngere Kolleginnen und Kollegen bewerben sich auf besser bezahlte Stellen bei den Senatsverwaltungen oder beim Bund“. Während zum Beispiel eine Stelle als Hochbauingenieur im Bezirk nach der Entgeltgruppe 11 TV-L Berlin bezahlt werde, zahle die Senatsverwaltung ein bis zwei Entgeltgruppen mehr. „Warum die Stellen bei den Senatsverwaltungen anders bewertet sind, konnten wir leider bisher nicht in Erfahrung bringen“, erklärt der Personalratsvorsitzende. In den Worten der Stadträtin der Grünen: „Man könnte fast sagen, die haben in der Senatsverwaltung schon einen halben Gang nur mit Steglitz-Zehlendorfern.“
Und dennoch: Ob der Bezirk mehr hätte tun können und müssen, um für die bestehenden Mitarbeiter attraktiv zu bleiben und neue zu gewinnen, ist offen. Mit dem Doppelhaushalt 2018/2019 wurde ein erster Akzent darauf gesetzt, wieder eigenes Personal auszubilden. Auch an der Möglichkeit, sich in einem Dualen Studium für eine Tätigkeit im Bezirksamt zu qualifizieren, wird im Amt gearbeitet. Zur aktuellen Notsituation im Hochbauservice hat sich die Personaldezernentin, Bürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), trotz Nachfrage noch nicht geäußert.