Namen & Neues

Dringende Große Anfragen von SPD und AfD: Bezirksverordnete diskutierten über den letzten Elektroingenieur im Bezirksamt

Veröffentlicht am 21.06.2018 von Boris Buchholz

Da setze man sich am Donnerstagabend gemütlich hin, glaubt von nichts im Bezirk überrascht werden zu können, öffnet den Tagesspiegel-Newsletter – und fällt aus allen Wolken. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Volker Semler, wunderte sich: Warum wurde über den Personalnotstand im Hochbauamt nicht im zuständigen Ausschuss berichtet? Warum wisse er nichts davon, dass mit großer Wahrscheinlichkeit bald kein einziger Elektroingenieur mehr für den Bezirk tätig sein werde?

In die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung, sie tagte am Mittwoch, hatten SPD und AfD kurzfristig je eine dringende Große Anfragen eingebracht. Ebenso lang wie der Fragenkatalog (SPD 13 Fragen, AfD neun Fragen) fiel die Antwort von Baustadträtin Maren Schellenberg (Grüne) aus. Es sei eine „sehr, sehr schwierige“ personelle Lage, die sich zugespitzt habe. Es stimme, dass ab Sommer nur noch ein Elektroingenieur in der Arbeitsgruppe Hoch 4 arbeiten werde: „Ich sage es mal so, er hat noch nicht gekündigt.“ (Maren Schellenberg sagte auch diesen schönen Satz: „Man fühlt sich als der, der übrig bleibt, relativ allein.“) Um die Auswirkungen des Personalnotstands einschätzen und ihn gegebenenfalls mildern zu können, prüfe das Amt auf Hochtouren, welche Baumaßnahmen entweder ohne Elektro-Fachleute oder mit externen Experten weitergehen können. Die Lage ändere sich ständig. Sie habe die anderen Bezirke um Amtshilfe gebeten – nur Absagen seien zurückgekommen, auch im Rest von Berlin sind Elektro-Experten unterbesetzt. Sie erklärte deutlich, dass neue Projekte „nicht oder nur verzögert“ begonnen werden könnten. Welche Baumaßnahmen vorerst gestoppt werden müssten, könne sie noch nicht sagen. Zu dem Vorwurf, sie hätte die Mitglieder des Bauausschusses nicht rechtzeitig informiert, meinte Schellenberg, dass sie sehr wohl immer wieder darüber berichtet hätte, „dass sich die Situation nicht ganz positiv entwickelt“. In der nächsten Sitzung des Ausschusses wären die Bezirkspolitiker ins Bild gesetzt worden.

Desaster, Katastrophe, Abgrund? Während der Linke-Politiker Mathias Gruner Stadträtin Schellenberg und ihrem Vorgänger Michael Karnetzki (SPD) „akzeptable“ Arbeit bescheinigte, schlug Andreas Thimm von der FDP harschere Töne an: „Der Super-Super-Gau ist Stillstand und das ist jetzt passiert.“ Und: „Wir standen vor einem tiefen Abgrund und sind einen guten Schritt vorangekommen.“ „Für mich ist es Problem der gesamten Führungsmannschaft.“ Peer Döhnert, der Fraktionsvorsitzende der AfD begann seinen Beitrag zwar mit den Worten: „Die Lage ist katastrophal“. Die Arbeit von Maren Schellenberg aber lobte er. Denn nicht sie, sondern der Senat sei es, der den Notstand zu verantworten habe.

Aus allen Fraktion (Torsten Hippe von der CDU bescheinigte der Versammlung eine „erstaunlich sachliche“ Debatte, „von der Ultra-Linken bis zu den Ultra-Rechten“) hagelte es Kritik an der Personalpolitik des Senats. Bürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), sie ist auch für die Personalabteilung zuständig, erinnerte daran, dass das Bezirksamt noch 2014 nach Vorgaben des Senats massiv Stellen einsparen musste, auch im Hochbauamt. „Sie werden es nicht schaffen, von heute auf morgen jahrelange Einsparpolitik zu ändern.“ Massiv würden Bezirksamtsmitarbeiter vom Senat abgeworben werden, die Senatsverwaltung für Stadtplanung habe „ganze Flure mit Mitarbeitern aus Steglitz-Zehlendorf“ (Baustadträtin Schellenberg sprach letzte Woche mir gegenüber noch von „einem halben Flur“). Der Bezirk stehe beim Personal am „unteren Ende der Nahrungskette“, Landes- und Bundesbehörden, Brandenburg und die Deutsche Bahn zahlen besser. Die öffentliche Hand mache sich selber die Arbeit schwer.

Kurz sah es in der abendlichen Sitzung der Bezirkspolitiker so aus, als würde eine überfraktionelle gemeinsame Erklärung mit konkreten Forderungen entstehen: Der CDU-Fraktionsvorsitzende Hippe schlug vor, den Senat aufzufordern, erstens das Abwerben von Bezirksmitarbeitern mit sofortiger Wirkung zu unterlassen. Zweitens solle die Landesregierung die Stellenbewertungen offen legen und erklären, warum die gleiche Tätigkeit auf Senatsebene bis zu zwei Entgeltstufen besser bezahlt werden könne als im Bezirk. Drittens sollten fortan die Staatsbediensteten bei gleicher Arbeit das gleiche Geld verdienen – in den Senatsverwaltungen wie in den Bezirken. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Tonka Wojahn, sagte: „Wir sind kurz davor, ein Stück Geschichte zu schreiben.“

Doch dazu kam es nicht: Die SPD warnte davor, alle Verantwortung nur beim Senat zu suchen, auch der Bezirk habe Fehler gemacht. Volker Semler: „Wenn man seit 18 Monaten hofft, dass es besser wird, dann ist das kein Plan.“ (Seit 18 Monaten ist Maren Schellenberg im Amt.) Linken-Chef Gerald Bader ergänzte, dass das „komplexe Problem“ erst einmal im Ausschuss zu besprechen sei.

Eine Erkenntnis des Abends ist, dass das Bezirksamt für neue Mitarbeiter attraktiver werden möchte. So soll an einem zentralen Bewerberbüro gearbeitet werden, neue Wege der Werbung sollen gefunden, eine breitere Interessentengruppe angesprochen werden. Der Bezirk müsse mehr selber ausbilden, war eine Forderung der Bezirksverordneten. Das Bezirksamt arbeite bereits daran, dass man zukünftig auch über ein Duales Studium eine Tätigkeit in Steglitz-Zehlendorf aufnehmen könne, erklärte die Bezirksbürgermeisterin – das beträfe auch Elektroingenieure.