Namen & Neues

Eine Bootsfahrt auf dem Zehlendorfer Waldsee: Es stinkt im Idyll

Veröffentlicht am 11.10.2018 von Boris Buchholz

Nicht zu tief, möchte ich Achim Zieger zurufen. Doch der Mann an den Rudern sondiert die Lage, taucht vorsichtig die Blätter ins Wasser, bleibt bei der Vorwärtsbewegung an der Oberfläche. Das Boot bewegt sich. Und auch am Ufer herrscht Leben: „War das der Eisvogel?“, fragt der Bootsbesitzer – und prompt touchiert eines der Ruder die tieferen – ja, was sind es? – Wasserschichten. Blasen steigen auf, schwarzer Schlamm wird aufgewirbelt, es beginnt zu stinken. Der Zehlendorfer Waldsee sollte an dieser Stelle bis zu zwei Meter tief sein. Tatsächlich ist nach nicht einmal einem halben Meter Schicht – und zwar schwarze Schlammschicht.

„Das Notfallgebiet ist der Einlauf Argentinische Allee“, erklärt Achim Zieger. Er ist der stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Umweltschutz und Landschaftspflege für den Waldsee in Berlin-Zehlendorf“. Der Waldsee, er ist vor über hundert Jahren künstlich als „sogenannter Vorfluter für die regionale Straßenentwässerung“, so die korrekte Bezeichnung laut Grünflächenamt, geschaffen worden. In drei Zuleitungen kommt in den See, was bei Regen von der Straße gespült wird: Laub, Hundefäkalien, Abrieb von Autoreifen. Entsprechend schlecht ist die Wasserqualität – im Vergleich zu den Gewässern der Grunewaldseenkette weist der Waldsee den zehnfachen Phosphatgehalt auf. Der Bereich, in dem sich das Schmutzwasser beim Einlauf der Argentinischen Allee absetzen solle, sei einfach zu klein, meint Iris Pribilla. Sie ist Anwohnerin (schon als Jugendliche fuhr sie per Boot zum Haus der Jugend), ebenfalls im Waldsee-Verein aktiv und berichtet: „Bei Starkregen schießt das Wasser aus dem Einlauf, eine dreißig Zentimeter hohe Brandung kommt da raus.“ Die Schmutzwasser-Auffangfläche werde überspült.

Zu viel Wasser ist für den Waldsee, seine Be- und Anwohner ein großes Problem: Es gibt keinen Ablauf. „Es ist wie ein Trog, in den immer nur Wasser reinläuft, bei dem man aber keinen Stopfen ziehen kann, wenn es zu viel wird“, schreibt der Waldsee-Verein. Im nassen Jahr 2017 stand das Wasser bis über einen Meter über dem Normalpegel im See: Sechs Wochen waren Uferböschungen, Bäume, Stege und Gärten überflutet. In der Folge seien 83 Bäume abgestorben oder schwer geschädigt worden, sagen die Anwohner. Der See-Besitzer, das Grünflächenamt, habe zu langsam reagiert; dann seien die Berliner Wasserbetriebe beauftragt worden, Waldsee-Wasser in den Schlachtensee abzupumpen. Dabei gibt es einen Ablaufkanal; doch der ist zugemauert.

Bis vor der ökologischen Sanierung der Grunewaldseen sah das Wassermanagement so aus: War zu wenig Wasser im Waldsee, pumpte das Wasserwerk Beelitzhof Wasser aus dem Schlachtensee in das 3,9 Meter höher gelegene künstliche Gewässer. War der Wasserstand zu hoch – ab einem Pegel von 36,30 Meter über Normal Null – wurde der Ablaufkanal geflutet und das Wasser floss in den Schlachtensee zurück. Übrigens wird der Schlachtensee (und mit ihm die ganze Grundwaldseenkette) von Wannseewasser gespeist; jedes Jahr pumpen die Wasserbetriebe etwa 3,5 Millionen Liter Wasser vom Wannsee in den Schlachtensee. Beim Pumpvorgang wird das Wasser gereinigt – und erreicht so mustergültige Badequalität.

Nachdem der Schlachtensee hervorragende Wasserwerte aufwies, wurde man vorsichtig: Das „dreckige“ Waldseewasser sollte nicht mehr in den „sauberen“ Schlachtensee fließen. Im Sturmjahr 2017 geschah das als Notmaßnahme trotzdem; ein Schaden für den Schlachtensee scheine nicht entstanden zu sein, argumentieren die Waldsee-Aktiven. „Wir brauchen in den nächsten zwölf Monaten wieder einen Hochwassernotüberlauf“, sagt Achim Zieger im Ruderboot. „In den nächsten sechs“, setzt Iris Pribilla nach. Außerdem müsste der Waldsee nach dreißig Jahren wieder teilentschlammt werden; der Zipfel zu Limastraße und Argentinischer Allee würde reichen. Der Verein hat die Kosten eruiert: 200.000 Euro würde die Teilentschlammung samt Entsorgung kosten; die Anwohner würden sich beteiligen. „Wir haben eine finanzielle Mitverantwortung“, erklärt Achim Zieger. Wunsch Nummer drei ist komplizierter: Gut wäre es, wenn die Straßenabwässer sich erst in Regen-Rückhaltebecken absetzen könnten, bevor sie in den See gelangen. Was der Schlachtensee hat, fehlt dem Waldsee.

Seit einigen Monaten wird im Grünflächenamt darüber nachgedacht, wie dem Waldsee geholfen werden könne. „Es wird geprüft, ob es möglich ist, den stillgelegten Kanal in den Schlachtensee wieder zu öffnen“, sagt Umweltstadträtin Maren Schellenberg (Grüne). „Hier besteht aber die oben geschilderte Problematik der Wasserqualität des Waldseewassers.“ Auch mit den Berliner Wasserbetrieben werde verhandelt, ob es bei der Entwässerung der Straßen „Möglichkeiten gibt, durch eine Vorfilterung eine Verbesserung der Wasserqualität zu erreichen“. Und mit der Senatsumweltverwaltung sei man darüber im Gespräch, den „Waldsee ökologisch zu sanieren“. Bis es soweit sei, könnten die Anwohnenden dem See helfen und die Uferbereiche von Astwerk befreien.

Zurück im Boot: Ich habe wacker Ausschau gehalten – einen Eisvogel (zwei Paare nisten am See) habe ich bei der Ruderpartie nicht gesehen. Meine naturbegeisterten Mit-Kahnfahrer schwärmten: „Wenn man den sieht, dann ist das eine Lebensfreude“, sagte rudernd Achim Zieger. „Er ist so strahlend eisblau und er fliegt ganz dicht über der Wasseroberfläche“, fügte Iris Pribilla lächelnd an. Während der Tour lag stets der Fotoapparat auf der Ruderbank. Dem Eisvogel scheint weder Gestank noch Hoch- oder Niedrigwasser etwas auszumachen. Zum Glück.