Namen & Neues
CDU greift Flüchtlingspolitik des Senats an - SPD und Linke halten dagegen
Veröffentlicht am 17.01.2019 von Boris Buchholz
„Über jeden Bedarf hinaus hat der Senat offenbar Gemeinschaftsunterkünfte zur Unterbringung Zufluchtsuchender geplant, nur um das bis Ende dieses Jahres geltende Sonderbaurecht auszunutzen“, urteilte die CDU-Fraktion in einer Pressemitteilung, die zu Beginn der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwochnachmittag verteilt wurde. Die Christdemokraten hatten eine Große Anfrage zu den bestehenden und geplanten Flüchtlingsunterkünften eingebracht. Eine Stunde widmeten sich die Lokalpolitiker dem Thema, bei dem der Bezirk wenig Einfluss hat – über den Bedarf, über die Belegung, über die Planung neuer Häuser entscheidet der Senat.
Doch Jugend- und Gesundheitsstadträtin Carolina Böhm (SPD), zu deren Ressort auch die Integrationsbeauftragte gehört, hatte sich beim Senat schlau gemacht: Da für die nächsten Jahre auf Landesebene davon ausgegangen werde, dass Berlin jährlich zwischen 35.000 und 39.000 obdachlose Menschen mit und ohne Fluchterfahrung versorgen müsse, seien neue Unterkünfte zwingend nötig, referierte sie. In den Gemeinschaftsunterkünften des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) seien Anfang Januar von 1.140 Plätzen 917 belegt gewesen. Weil im Bezirk viele Familien untergebracht sind, könnten weitere 72 Plätze nicht genutzt werden; wohne zum Beispiel eine dreiköpfige Familie in einem Vier-Bett-Zimmer, bleibe das vierte Bett frei. Monatlich kämen etwa 800 Menschen neu in Berlin an – für sie müssten Wohnräume vorhanden sein.
Einig waren sich Redner aller Parteien, dass es für den Leerstand in den neuen Häusern in der Bäkestraße (441 Plätze; die Degewo hat falsche Küchen einbauen lassen, die erst ausgetauscht werden müssen) und in der Leonorenstraße (436 Plätze; die Zufahrt ist nicht fertig, die Einrichtung kann nicht beliefert werden) keine Entschuldigungen gebe. Auch der Neubau einer Modularen Unterkunft der ersten Generation Am Beelitzhof, in der eine spätere Nutzung mit Mietwohnungen ohne nochmaligen Umbau nicht möglich sein wird, wurde parteiübergreifend kritisiert. Doch dann schieden sich die Geister.
Während der CDU-Verordnete Bernhard Lücke dem Senat eine „fehlerhafte Bedarfsplanung“ unterstellte, erklärte der Linken-Politiker Hans-Walter Krause, der Bedarf sei da. Für die geflüchteten Menschen adäquate und ausreichende Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, sei „eine Frage der Humanität“. „Ich finde es gut, dass der Senat baut“, bekannte sich ganz klar Martin Kromm (SPD), denn er wolle es nicht noch einmal erleben, „dass Turnhallen belegt werden“. Zudem würde sich „jedes Hotel über eine Auslastung von 89 Prozent freuen“. Auch seien, so der SPD-Mann, die im Bezirk aufgestellten Container-Unterkünfte nur für drei Jahre genehmigt. In naher Zeit müssten die dort lebenden Menschen in andere Unterkünfte umziehen. Fielen dann die temporären Einrichtungen in der Lissabonallee, dem Hohentwielsteig, dem Ostpreußendamm und der Finckensteinallee weg, würde die absolute Platzzahl auch wieder sinken. Die neuen Häuser würden benötigt.
Das sieht der AfD-Verordnete Volker Graffstädt anders. Wenn man sich die leerstehenden Häuser in der Leonoren- und Bäkestraße anschaue, „dann fragt man sich, wo ist der Bedarf für den Osteweg“. Dort plant der Senat eine neue Unterkunft mit Wohnungen für etwa 220 Personen (lesen Sie dazu auch die nächste Meldung).
Einigkeit demonstrierten die Parteienvertreter dann bei einem anderen Punkt: Allen gehe es mächtig auf die Nerven, dass der Senat Steglitz-Zehlendorf immer als Verweigerer und Verhinderer neuer Flüchtlingsunterkünfte wahrnehmen und öffentlich brandmarken würde. Dabei würde der Südwesten berlinweit bei den Unterbringungsplätzen inklusive der neuen Häuser im Mittelfeld (SPD) beziehungsweise im oberen Drittel der Bezirke (CDU) liegen. „Egal, was wir hier und heute sagen“, seufzte Tonka Wojahn, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, „es wird weiter heißen, dass Steglitz-Zehlendorf keine Flüchtlinge will“. Statt über den vermeintlich bockenden Bezirk zu klagen, sollte es das LAF „erst einmal hinbekommen, dass Geflüchtete in die leerstehenden Häuser ziehen können“. „Wir brauchen uns als Steglitz-Zehlendorfer nicht zu verstecken“, rief kurz vor Ende der Sitzung auch Lars Rolle von der FDP in den Sitzungssaal. Aber er gab auch zu bedenken, „den Fehler nicht immer bei anderen zu suchen“.
Zum Schluss noch eine Zahl, die Stadträtin Böhm in der Debatte nannte: Aktuell würden berlinweit noch 21.593 Menschen in Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften leben. Mit Gemeinschaftstoiletten, Sammelküchen und kaum vorhandener Privatsphäre.