Namen & Neues

181 Kerzen: Erste Gedenkfeier für einsam Gestorbene

Veröffentlicht am 31.10.2019 von Boris Buchholz

181 Kerzen: Erste Gedenkfeier für einsam Gestorbene im Berliner Südwesten. „Es ist eine Gedenk- und keine Trauerfeier“, sagte Amtsarzt Andreas Beyer in seiner Ansprache. Etwa neunzig Menschen waren am Sonntagnachmittag in die Kapelle auf dem Lankwitzer Luther-Friedhof gekommen, in die östlichsten Ecke des Berliner Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Über die Verstorbenen, derer heute gedacht werde, so der Arzt, wisse man wenig. „Doch wirkliche Trauer setzt einen persönlichen Bezug voraus“, erklärte er. Zwischen dem 1. Oktober 2018 und dem 1. September 2019 musste das Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf 181 Menschen beerdigen – sie waren einsam gestorben, Angehörige waren nicht auszumachen.

„Wir gedenken 181 Menschen, die in unserer Mitte gelebt haben“, sagte Pfarrerin Susanne Peters-Streu vom Kirchenkreis Steglitz mit klarer Stimme. Wir hätten sie auf der Straße gesehen, „sie saßen neben uns im Bus und standen vor uns an der Kasse“. Über ihr Leben, ihre Träume und Wünsche, über ihren Tod wisse man nichts. „Die Jüngste war sechs Tage, die Älteste 98 Jahre alt.“

181 Kerzen für 181 Leben. Es herrschte eine schwere Stille als Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), Gesundheitsstadträtin Carolina Böhm (SPD), Mitarbeiter des Friedhofs, Vertreter der Evangelischen und der Katholischen Kirche sowie der Diakonie die Namen der Verstorbenen vorlasen. „Jeder steht für ein Leben, ein Schicksal“, sagte die Bezirksbürgermeisterin. „Alle waren sie ein Teil von uns, von unserem Bezirk.“ Im Altarraum brannten 181 Kerzen. Es war vermutlich ein Angehöriger, der neben die Kerzen ein Blumengesteck in Herzform gelegt hatte – für mindestens eine Person im Kirchenschiff war es wohl doch eine Trauerfeier.

Nach der Gedenkveranstaltung traf ich den Bezirksverordneten Clemens Escher (CDU) vor der Kapelle. „Da habe ich wenigstens einen sinnvollen Antrag gestellt“, sagte er und lächelte schief. Die Bezirksverordnetenversammlung hatte im Februar seinem Antrag, jährlich eine Würdigung der einsam Verstorbenen zu organisieren, zugestimmt. Steglitz-Zehlendorf hat sich ein Vorbild an Reinickendorf genommen; der Nord-Bezirk war der erste, der zu einer öffentlichen Gedenkveranstaltung für „ordnungsbehördlich Bestattete“ eingeladen hatte. Eine gute Idee, eine wichtige Veranstaltung. – Text: Boris Buchholz
+++
Meine weiteren Themen im Tagesspiegel-Newsletter aus dem Berliner Südwesten – eine Auswahl: +++ Politischer Denkmalschutz: Wie 92 Zentimeter dafür sorgten, dass das Flüchtlingsheim am Osteweg genehmigt wurde +++ 181 Kerzen: Erste Gedenkfeier für einsam Gestorbene +++ Kurz vor dem Mauerfall: Wie die heutige Bezirksbürgermeisterin hinter das Lenkrad eines DDR-Taxis kam und der spätere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sich über die Leitplanke der Autobahn Leipzig-Berlin übergab +++ Dunkle Gehwege, kurze Fußgängerphasen, mehr Toiletten – beim SeniorenForum stehen die Anliegen der Alten im Fokus +++ Bessere Aussichten: Aktuell läuft schon auf 30 Prozent aller Bezirksamtscomputer Windows 10 +++ Als der Ost-Berliner Marc mit Ben aus West-Berlin die Identitäten tauschte – Literaturfest für Kinder und Jugendliche zu 30 Jahren Mauerfall +++ Eine Look-Aha!-Situation: Wochenenden der Offenen Ateliers im Südwesten +++ Mit dem Ruder-Achter: Die erste Umrundung der Wannsee-Insel zwei Tage nach dem Fall der Mauer +++  Meinen kompletten Tagesspiegel-Newsletter für Steglitz-Zehlendorf gibt es kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de.