Namen & Neues

"Neulichterfelde": Klaus Groth und Partner stellen Visionen für Lichterfelde-Süd vor

Veröffentlicht am 21.11.2019 von Boris Buchholz

Am S-Bahnhof Lichterfelde-Süd im Berliner Südwesten entsteht ab Ende 2020 ein neues Wohnviertel: Auf 36 Hektar baut die Groth Gruppe 420 Reihenhäuser und knapp 2.100 Wohnungen, davon werden 540 Sozialwohnungen sein. Außerdem ist eine dreizügige Schule, drei Kitas für etwa 260 Kinder und Gewerbe sind geplant. Für Bauentwickler und Firmenchef Klaus Groth wird für 900 Millionen Euro nicht eine neue x-beliebige Siedlung am Stadtrand gebaut. Für ihn entsteht in Lichterfelde-Süd eine „Vision für die Stadt der Zukunft“ – „Neulichterfelde“ hat sein Unternehmen das Projekt entsprechend getauft. Bei einer Pressekonferenz am Dienstag stellte er nicht nur das Wohnprojekt für 6.000 Menschen vor, sondern präsentierte auch die „Innovationspartner“, mit denen er seine Vision Wirklichkeit werden lassen möchte.

Die Planung und den Betrieb der Mobilitätsdienstleistungen im neuen Quartier übernimmt die Toyota Kreditbank. „Neulichterfelde ist ein fantastisches Beispiel, wie Sie globale Strategien lokal umsetzen können“, schwärmte Toyota-Geschäftsführer Axel Nordieker. Seine Pläne: An Mobility-Spots können Pedelecs und E-Tretroller ausgeliehen werden, am S-Bahnhof ist eine Car-Sharing-Station vorgesehen. Ein per App rufbares Shuttle, es soll später autonom, also ohne Fahrer, manövrieren, holt die Neulichterfelder an der Haustür ab. Zum einen sollen die Bewohner motiviert werden, „den ÖPNV zu nutzen“. Doch sei es nicht das Ziel, motorgetriebene Fahrzeuge „zu eliminieren“, sondern „den Nutzungsgrad der Fahrzeuge zu erhöhen“, so Nordieker. Immerhin stehe ein privates Auto 93 Prozent des Tages nur herum.

Ähnlich ambitioniert sind die Pläne der Naturstrom AG, die, so Naturstrom-Vorstand Tim Meyer, nicht nur die Energie-, sondern auch die „Wärmewende in die Städte bringen“ wolle. Ihm schwebt ein dezentrales „Mikrostadtwerk“ vor: Mit Photovoltaik, gasbetriebenen Blockheizkraftwerken und der Nutzung der „kalten Wärme“ will es Naturstrom ermöglichen, am Stadtrand zukünftig klimaneutral zu wohnen. Als Beispiel für „kalte Wärme“ nannte Meyer das Abwasser: Warum solle dessen Hitze nicht für die Heizung genutzt werden? Eine andere „kalte“ Idee: Unter dem Sportplatz der neuen Grundschule will sein Unternehmen den im Vergleich zur Luft wärmeren Erdboden zum Heizen nutzen. Die Reihenhäuser sollen so zu „vollkommen brennstofffreien Wärmepumpenquartieren“ werden. Auch eine Ladestruktur für E-Autos werde Naturstrom bereitstellen.

Die prognostizierten CO2-Einsparungen sind enorm: Naturstrom rechnet damit, dass ein herkömmlich gebautes Quartier in ähnlicher Größe pro Jahr 6.385 Tonnen CO2 verursachen würde; „Neulichterfelde“ käme mit 139 Tonnen im Jahr aus. Auch Toyota rechnet durch das vorgestellte Mobilitätskonzept mit 1.200 Tonnen eingespartem CO2. Allerdings: Trotz aller Innovation sind für jede zu bauende Wohnung ein halber und für jedes Reihenhaus ein ganzer Auto-Stellplatz eingeplant. Hinzukommen 300 Parkplätzen auf der Straße.

Wo später „Neulichterfelde“ stehen soll, befindet sich heute ein einzigartiger Naturraum: die Lichterfelder Weidelandschaft. Das Groth-Grundstück ist 97 Hektar groß, auf 36 soll gebaut werden, die Weidelandschaft schrumpft auf 61 Hektar. „Der Verlust jeden Quadratmeters davon, ist für Naturliebhaber schmerzlich“, betonte Andreas Faensen-Thiebes vom Landesvorstand des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschlands. Doch die Rest-Fläche müsse unbedingt erhalten werden, es sei ein „Hotspot der Biodiversität“. 292 Schmetterlingsarten und 264 Arten an Bienen und Wespen seien auf dem Gelände gesichtet worden. Und doch: Das Vorhaben sei ein Beispiel dafür, so Faensen-Thiebes, „wie man Wohnungsbau machen und zugleich Natur schützen kann“. Der BUND ist ein weiterer Innovationspartner der Groth Gruppe. Sie stellt der Umweltorganisation einen Pachtvertrag über die Weidelandschaft in Aussicht, der im Grundbuch abgesichert sein solle. Die Bezirksbürgermeisterin von Steglitz-Zehlendorf, Cerstin Richter-Kotowski (CDU), erklärte auf der Pressekonferenz, dass das Bezirksamt die Weidelandschaft zum Landschaftsschutzgebiet erklären lassen wolle. Eine Hoffnung für die Zukunft.

Schon im Impuls-Referat zu Beginn der Pressekonferenz hatte der Zukunftsforscher Stephan Rammler vom Schlachtenseer Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung betont, dass eine „kluge Stadt“ nicht „nur über Ökologie, sondern auch über soziale Gerechtigkeit“ diskutieren müsse. Für ihn sei Lichterfelde-Süd (es heiße „Neulichterfelde“ wurde er aus der Ecke der Groth Gruppe gemahnt) eine „innovative Idee“, es sei ein „Real-Labor“. Gerechtigkeit, so Rammler, sei eng mit dem Dialog verbunden – „wir brauchen partizipative Bottom-Up-Diskurse“. Kurz übersetzt: Die Bewohner und Nachbarn sollten mitbestimmen können, sie sollten informiert werden und Entscheidungen beeinflussen können.

Informieren und ermutigen, genau das will Karin Pfluger erreichen. Sie ist die Geschäftsführerin von Goldnetz; das gemeinnützige Unternehmen ist der vierte Innovationspartner der Groth Gruppe und soll später ein Nachbarschaftszentrum im neuen Wohnviertel betreiben. Hier sollen in Absprache mit den Bewohnern Dienstleistungen entwickelt, Begegnungen ermöglicht, Veranstaltungen durchgeführt und Informationen weitergegeben werden. „Unsere Angebote werden sich dabei stark an den Bedürfnissen der Bewohner orientieren – immer unter der Prämisse, dass gute Nachbarschaft für uns alle eine Bereicherung ist“, sagte die Goldnetz-Geschäftsführerin. Die erste Aufgabe von Goldnetz sei es, über den Baufortschritt und das gesamte Vorhaben vor Ort zu infomieren, erfahre ich.

Doch zunächst, bevor der erste Spaten in die Erde gestochen wird und der erste Bagger rollt, muss der Bebauungsplan für das Areal beschlossen werden. Anfang 2020 soll die öffentliche Auslegung erfolgen, an der sich jede Bürgerin und jeder Bürger beteiligen kann. „Wir werden im Vorfeld der Auslegung Workshops zu den verschiedenen Themen anbieten“, erklärte Bezirksbürgermeisterin Richter-Kotowski auf Nachfrage. Die Workshops würden in der Mercator-Grundschule stattfinden, alle an einem Samstag: „Damit alle die Chance haben, teilzunehmen.“ Welcher Samstag das sein wird, wusste die Bürgermeisterin noch nicht; erst wenn klar sei, wann die Pläne für vier Wochen ausgelegt werden, würde der Termin festgelegt werden. Ihr ist es wichtig, dass die Veranstaltung in zeitlicher Nähe mit der Auslegung stattfinden würde.

Wenn Sie jetzt Lust bekommen haben sollten, nach Lichterfelde-Süd oder „Neulichterfelde“ (mir sprach die Bürgermeisterin aus der Seele, als sie sagte: „Ich muss mich noch etwas an den neuen Namen gewöhnen“) zu ziehen: Klaus Groth nannte erste Kaufpreise und Miethöhen. „Reihen- und Doppelhäuser sind sehr begehrt“, erklärte er, der Kauf eines Hauses würde „eine halbe Million Euro sicher überschreiten“. Bei den Mietwohnungen – Sozialwohnungen ausgenommen – strebe er eine Mietspanne zwischen zehn und zwölf Euro pro Quadratmeter an; nettokalt, versteht sich. Hier noch ein Verkaufsargument des Bauherrn: „Das Quartier liegt zentral und verkehrsgünstig in der Hauptstadtregion“ – sowohl der BER als auch Tesla seien gut zu erreichen. Das dürfte spannend werden: Bis 2025, spätestens 2026 will Groth „Neulichterfelde“ erbaut haben. Ob dann Elektroautos in Grünheide vom Band laufen? Elon Musk traut man das zu. Aber – na, den Rest denke ich mir. – Text: Boris Buchholz
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