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Mieterhöhung am Mexikoplatz: Der kleine Schokoladen geht – und zieht nach Kleinmachnow

Veröffentlicht am 05.12.2019 von Boris Buchholz

Mieterhöhung am S-Bahnhof Mexikoplatz: Der kleine Schokoladen geht – und zieht nach Kleinmachnow. Vor 18 Jahren eröffneten Marina Pereira Monteiro und Jascha Kappelmeyer ihren Süßwaren-Laden im S-Bahnhof Mexikoplatz. Seitdem verkauft das Duo dort „mit Liebe zum Detail die weltbesten, kultigsten, schrägsten und leckersten Süßigkeiten der Welt“, so die Eigenwerbung. Für die 25 Quadratmeter zahlten sie damals eine Miete von 900 Euro nettokalt. Ein Staffelmietvertrag wurde vereinbart, bis heute ist der Zins auf 1.100 Euro gestiegen. Doch zum Ende des Jahres läuft der Vertrag aus – und Mieter und Vermieter konnten sich nicht auf einen für beide Seiten akzeptablen Mietpreis einigen. Erst sei ihnen 1.450 Euro angeboten worden, „dann ist man uns großzügig auf 1.400 Euro entgegenkommen“, berichtet Jascha Kappelmeyer. Das „großzügig“ meint der Schokoladen-Inhaber ironisch. Denn diese Miethöhe gäbe die Immobilie nicht her: Im Keller teilen sich alle Gewerbetreibenden des Bahnhofs eine Gemeinschaftstoilette, es ziehe im Laden, „wir stehen ab 4 Grad mit Moonboots und langen Unterhosen da“, so der Süßwarenexperte. Sie hätten ihrem Vermieter 1.300 Euro geboten. Da man sich nicht einigen konnte, schließt der Laden am Mexikoplatz zum Jahresende.

Der S-Bahnhof gehört, wie der Bahnhof Nikolassee und weitere, Thomas Drechsel. Warum es mit dem Schoko-Mieter-Duo keine Einigung gibt, erklärt der Bahnhofs-Besitzer so: „Weil der Mieter stur nach 18 Jahren Mietzeit auf dem Stand seiner zuletzt gezahlten Miete gepocht hat.“ Außerdem habe der Mieter „den Standort selbst schlecht geredet“, so dass er davon ausgehen könne, „dass der Mieter gar kein Interesse mehr an der Fortführung des Mietverhältnisses hatte und wir ihm noch einen Gefallen tun, wenn sein Vertrag zum Jahresende endlich ausläuft“. Ihm gegenüber habe der Mieter „horrende Energiekosten“ beklagt. Aber: „Es handelt sich um ein Baudenkmal, was teilweise eben auch ungedämmte Fenster und Rahmen hat. Diese sind vom Denkmalamt vorgegeben und dürfen nicht verändert werden.“ Ihm gegenüber hätten die Schokoladen-Inhaber „eindeutig eine Anpassung der Miete ausgeschlossen“.

Thomas Drechsel hält eine Mietsteigerung von 300 Euro monatlich netto – also von 1.100 auf 1.400 Euro – für nicht überzogen. Immerhin liege der Süßwarenladen „in allerbester Lage des Bahnhof Mexikoplatz“ und habe als einziges Geschäft einen Zugang sowohl von der Straße als auch von der Bahnhofshalle. „Für solche kleinen, zentralen Standorte nimmt die Deutsche Bahn beispielsweise deutlich höhere Mieten“, erklärt er.

Aktuell wird schon nach Nachmietern gesucht. Auf immobilienscout24.de wird das Geschäft als „Kleines Ladengeschäft im beliebten S-Bahnhof Mexikoplatz“ für 1.500 Euro monatlich angeboten. Umgerechnet sind das 60 Euro pro Quadratmeter; zum Vergleich: In der Schloßstraße, das ist eine sogenannte A-Lage, wird ein durchschnittlicher Quadratmeterpreis von um die 85 Euro aufgerufen. Was den einen schreckt, scheint der andere attraktiv zu finden. „Es liegen bereits Angebote von nachfolgenden Gewerbetreibenden vor, die sich in der Abstimmung  mit den Behörden befinden“, teilte Thomas Drechsel dem Tagesspiegel mit. Gerne könne der Süßwarenladen auch noch bleiben, „aber bitte mit einer den Markgegebenheiten angepassten Miete“.

Doch Marina Pereira Monteiro und Jascha Kappelmeyer haben bereits andere Pläne: „Wir haben das Glück, dass wir nach Kleinmachnow umziehen können“, berichtet der Inhaber. Sie würden in ein Siedlungshäuschen an der Karl-Marx-Straße 21 gegenüber den Neuen Kammerspiele Kleinmachnow ziehen und Untermieter des Kulturzentrums werden. „Durch unser Renomée können wir das stemmen – und wir hoffen auf die Stammkundschaft aus Zehlendorf.“ Am Valentinstag 2020 soll die Eröffnung gefeiert werden. Dass der Schokoladen am S-Bahnhof Mexikoplatz „sehr beliebt“ sei, würden sie immer wieder merken: „Wir haben teilweise weinende Kunden“, erzählt Jascha Kappelmeyer: „Wir werden am 24. Dezember den letzten Schokoriegel verkaufen.“

Aufmerksam auf den Schokoladen-Auszug wurde ich übrigens weder durch die Ladeninhaber, noch durch den Bahnhofsbesitzer. Die Hals-, Nasen- und Ohrenärztin Julie de Tristan, die am Mexikoplatz ihre Praxis hat, wandte sich mit elf weiteren Kolleginnen und Kollegen per Brief an Thomas Drechsel (und an mich): „Wir wollen nicht an einem Ort der sozialen Spaltung arbeiten“, schrieben die Mediziner. „Welchem kleinen Einzelhändler ist dieser Preis zuzumuten? Wo wollen Sie mit dieser Entwicklung hin?“, fragten sie den Vermieter. Sie forderten ihn auf, „dem aktuellen Ladenmieter ein realistisches Angebot“ zu unterbreiten: „Dem Ansehen Ihrer Zunft und dem Mexikoplatz zuliebe.“ Eine gute Idee, die wohl nicht mehr zum Tragen kommt – der Schokoladenzug scheint aus dem Bahnhof abgefahren zu sein. – Text: Boris Buchholz

Übrigens: Anlässlich der 750-Jahr-Sause Berlins im Jahr 1987 erhielt der S-Bahnhof seinen heutigen Namen – bis dahin hieß er „Lindenthaler Allee“, wie das Foto zeigt. Das Bild machte Tagesspiegel-Verkehrsexperte Jörn Hasselmann. Seine Bilder aus den 80ern finden Sie hier.

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