Namen & Neues
Leser nennen Orte zum Gedenken an die Opfer der Nazis
Veröffentlicht am 23.01.2020 von Boris Buchholz
Tagesspiegel-Leser nennen Orte zum Gedenken an die Opfer der Nazis. Am Montag jährt sich der Jahrestag der Befreiuung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz zum 75. Mal. Ich hatte Sie gefragt, welche Gedenkorte an die Opfer des Nationalsozialismus Sie im Bezirk kennen – und welche bisher Ihrer Meinung nach zu wenig Beachtung fanden. Herzlichen Dank für Ihre Zusendungen, folgende Gedenkorte wurden mir genannt:
Jochen-Klepper-Weg: „Ein stiller Ort zum Gedenken ist der Jochen-Klepper-Weg in Nikolassee“, schrieb mir ein Leser, der anonym bleiben wollte. Der Weg führt durch eine Grünanlage zwischen Beskiden- und Wasgenstraße – ein Gedenkstein erinnert dort an den Dichter Jochen Klepper, der zusammen mit seiner Familie von den Nazis in den Selbstmord getrieben wurde. Sie wohnten in der Teutonenstraße 23. Ich hatte Jochen Klepper im Dezember im Newsletter vorgestellt.
Waldsängerpfad 3: Leser Knut Lienemann weist auf die von Peter Behrens für Kurt Lewin erbaute, unter Denkmalschutz stehende und „Lewin-Haus“ genannte Villa hin. Der Leser schreibt: „Kurt Lewin ist Begründer der Sozialpsychologie und einer ihrer bedeutendsten Vertreter und war bis zu seiner Emigration 1933 Professor in Berlin. Für ihn gibt es meines Wissens keine öffentliche Ehrung hier.“ Am Haus Waldsängerpfad 3 weist allerdings eine „Berliner Gedenktafel“ auf den Regisseur und künstlerischen Leiter des „Jüdischen Kulturbundes“ Fritz Wisten hin. Ein Hinweis auf den ebenfalls jüdischen Kurt Lewin fehlt (er emigrierte in die USA, seine Mutter wurde 1944 in einem KZ umgebracht). Leser Knut Lienemann habe sich „vor längerer Zeit“ bereits für eine Ehrung Lewins unter anderem bei der Senatskanzlei eingesetzt, „hatte jedoch nie eine Antwort erhalten“.
„Säule der Gefangenen“, Wismarer Straße / Eugen-Kleine-Brücke: Unabhängig voneinander nennen Martina Baude, Sprecherin des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf, und die CDU-Abgeordnete Cornelia Seibeld das Mahnmal auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Das Außenlager bestand zwischen Juni 1942 und April 1945. Heute markiert die „Säule der Gefangenen“ den Gedenkort am Teltowkanal, eine Informationsstele ergänzt ihn. Am Montag, 27. Januar, 15.30 Uhr ehren die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt die Opfer des Nationalsozialismus im Rahmen einer Gedenkveranstaltung mit einer Kranzniederlegung am Mahnmal.
Dahlemer St. Annen-Kirche, Königin-Luise-Straße 55: „Das ‚Triptychon für Auschwitz‘ der deutsch-israelischen Künstlerin Doris Pollatschek ist ein wichtiger Gedenkort“, schreibt mir Lesern Katja von Damaros aus der Kirchengemeinde Dahlem. Das Keramik-Relief hängt im Chor der St. Annen-Kirche: „Neben dem Schrecken der Shoah thematisiert das Kunstwerk insbesondere die Teilnahmslosigkeit und das Versagen der christlichen Kirchen angesichts des Leidens der jüdischen Geschwister“, berichtet die Leserin. Die Kirche ist jeweils am Sonnabend und am Sonntag von 11 bis 13 Uhr geöffnet. Wenn Sie dort sind, dann besuchen Sie doch auch das benachbarte Martin-Niemöller-Haus. Dort wird die Geschichte der Bekennenden Kirche erzählt – eine Tafel der Ausstellung ist dem christlichen Antijudaismus gewidmet „und zeigt, dass auch die kirchliche Opposition in der NS-Zeit der nationalsozialistischen Judenverfolgung nicht entschieden widersprochen hat“, so Katja von Damaros.
Holsteinische Straße 44: Seit Oktober 2014 weisen vor dem Wohnhaus drei Stolpersteine auf die Schicksale von Helene Wittenberg, ihrer Tochter Ellen-Ruth und deren Untermieterin Lydia Marcus hin. Und an der Haustür erinnert eine Gedenktafel an Wolf und Mathilde Dawidowitz, die damaligen jüdischen Eigentümer des Hauses – allerdings wohnten beide nicht im Haus. „Wenn ich mich recht erinnere, lebten die beiden in Schöneberg und wurden in Theresienstadt umgebracht“, schrieb mir Leser Eberhard Spohd. Die Tafel gehe auf eine Initiative der heutigen Eigentümergemeinschaft zurück, die an die beiden Vorbesitzer erinnern wollte.
Guernicaplatz, Spanische Allee Ecke Tewsstraße: Christian Knappe, der Pressereferent der Wall GmbH, wies auf den kleinen Platz hin, dessen Name seit 1998 an die Bombardierung der baskischen Stadt Guernica durch die „Legion Condor“ am 26. April 1937 erinnert. Wall ist für die Erhaltung und die Pflege der Plakatvitrine verantwortlich, die über das erste Flächenbombardement der Geschichte informiert.
Hier noch zwei Gedenkorte, die mir wichtig sind:
SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, Unter den Eichen 126-135: Das Haus fällt nicht sonderlich auf. Dabei befand sich in dem Gebäude, in dem heute Teile des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung untergebracht sind, die Ausbeutungszentrale der Nazis, das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt. Ein Satz an der Wand und ein Werbeplakat weisen heute mehr als dezent darauf hin, dass von Lichterfelde aus alle Konzentrationslager der Nazis verwaltet, die Haare und die Goldzähne der Millionen Toten vermarktet und die „arisierten“ Unternehmen geführt wurden. Ein Ort für die Demokratie – um sich daran zu erinnern, warum es sie gibt und wie wertvoll sie ist.
„Spiegelwand“, Mahnmal an ermordete Jüdinnen und Juden auf dem Hermann-Ehlers-Platz: Die Debatten Anfang der 1990-er Jahre wurden erbittert geführt – Grüne und SPD stritten für das Denkmal der Künstler Joachim von Rosenberg und Wolfgang Göschel; CDU, FDP und Republikaner lehnten es vehement ab. Die Größe, der Markt, die sich spiegelnde und blendende Sonne, die Gefahr von Graffitti, der tosende Verkehr und mehr führten die Gegner als Argumente an – erst als der SPD-Bausenator Wolfgang Nagel das Verfahren an sich zog, konnte der heutige Erinnerungsort entstehen. Die Spiegelwand zeigt auf die ehemalige Steglitzer Synagoge Haus Wolfenstein in der Düppelstraße: Das Gotteshaus befand sich im Hinterhof; das Gebäude steht noch heute, ist aber für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. In der Reichspogromnacht 1938 wurde es verwüstet und geplündert, es wurde jedoch nicht angezündet – die Gefahr, dass sich der Brand auf die Wohnhäuser ausbreiten könnte, war den Nazis zu hoch. – Text: Boris Buchholz
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Dieser Text ist zuerst im aktuellen Tagesspiegel-Newsletter für Steglitz-Zehlendorf erschienen. Den Newsletter für Berlins Südwesten – kompakt, persönlich, kostenlos – gibt es in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de
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