Namen & Neues
So wollen Bürger den Kiez am Kranoldplatz retten
Veröffentlicht am 23.01.2020 von Boris Buchholz
So wollen Berliner Bürger den Kiez am Kranoldplatz retten. Investor Harald Huth ist seit 2018 Besitzer mehrere Gebäude am S-Bahnhof Lichterfelde-Ost – letzte Woche wurden seine konkreten Bau-Pläne publik: Er will die Halle des Ferdinandmarkts schließen und zu Gewerbe- und Büroflächen umbauen. Bezirksamt und Bezirkspolitik kritisieren das Bauvorhaben; darauf, dass der eingereichte Bauantrag bewilligt wird, sollte der Bauherr nicht setzen. Jetzt kommt weitere Bewegung in die Diskussion: Eine Gruppe von Bürgern um Walter Seidel, er ist einer der Gründer der Standortgemeinschaft Lichterfelde-Lankwitz („Mein LiLa“), hat vor, über eine zu gründende Bürger-Genossenschaft selber Immobilien am Kranoldplatz zu kaufen – um den Kiez zu erhalten und die Nachbarschaft zu retten. Der lokale Gewerbetreibende stellte sich den Fragen des Tagesspiegels.
Sie wollen Eigentümer am Kranoldplatz werden. Was versprechen Sie sich davon? Ja, natürlich will ich das. Aber natürlich nicht alleine. Mir geht es in erster Linie darum, ein Beispiel für Vermieter mit sozialer Verantwortung zu setzen.
Wer steht an Ihrer Seite, wer sind die Käufer? Und: Woher haben Sie so viel Geld? Da ich nicht über das notwendige Eigenkapital verfüge und gar nicht die Absicht habe, das Vorhaben zu dominieren, geht es mir darum, die Bürger des Kiezes Lichterfelde-Ost als Mitinvestoren in einer zu gründenden Genossenschaft zu gewinnen. Wie Sie wissen, liegen erhebliche Mittel auf nicht verzinsten Konten. Warum sollten diese nicht in eine Genossenschaft eingebracht werden, die das Ziel hat, in den Erwerb von Immobilien in Lichterfelde-Ost zu investieren?
Wie kann ich mir so eine Bürgergenossenschaft für den Kiez vorstellen? Alle sind eingeladen sich zu beteiligen. Wirtschaftskonzept und Satzung sowie zuletzt das Ergebnis der Prüfung durch den Genossenschaftlichen Prüfverband werden die Rahmenbedingungen setzen. Der Genossenschaft liegt eine demokratische Unternehmensverfassung zugrunde. Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe seiner Einlage.
Ist Ihre Aktion mit der Bürgerinitiative und mit der Standortgemeinschaft „Mein LiLa“ abgesprochen? Natürlich wurden beide als erste über meine Absicht informiert. Und beide Initiativen finden den Vorschlag sehr innovativ – ich rechne mit Unterstützung.
Warum sollte jemand sein Geschäfts- oder Mietshaus am Kranoldplatz an Sie und niemandem sonst verkaufen? Ich gehe davon aus, dass Eigentümer um den Kranoldplatz aus Verbundenheit zum Kiez und zu denen, denen sie dieses Eigentum verdanken, ein zumindest gewisses Maß an Interesse am Erhalt der gewachsenen Struktur haben. Ich glaube, dass sie ganz bewusst nicht an den verkaufen, der am meisten bietet, sondern uns, weil wir teilen, was ihnen wertvoll und wichtig ist. Auch müsste ein Eigentümer ja nicht seinen ganzen Besitz aufgeben. Es spricht nichts dagegen, uns nur einen Teil anzubieten.
Was springt denn für die Genossen dabei heraus, Eigentümer einer Immobilie zu werden? Kräftig die Mieten erhöhen, wollen Sie ja gerade nicht … Die Mitglieder der Genossenschaft sind nicht in erster Linie an Erträgen interessiert, sondern verfolgen ideelle Ziele. Sie wollen in werthaltige Anlagen investieren, also in Immobilien, die sie jeden Tag sehen, besuchen und anfassen können. Zinserträge bei Bankeinlagen zu erzielen, ist auf lange Zeit vorbei. Durch ein besonderes Mietmanagement können wir viel individueller auf die Bedürfnisse der Mieter und Mietinteressenten eingehen. Uns ist an einer Kostendeckung gelegen, an einem Werterhalt und an einer sozialen Struktur, die dem Kiez guttut. Wir müssen und wollen nicht unseren Lebensunterhalt durch hohe Erträge erzielen, sondern sind mit geringen Ergebnissen zufrieden. Wir glauben, dass gemeinwohlorientiertes Wirtschaften langfristig der bessere Beitrag zum Erhalt und zur Entwicklung unseres Kiezes ist.
Haben Sie schon ein erstes Objekt am Haken? Nein, ich bin noch am Sondieren. Ich habe ein Immobilienbüro mit der Objektsuche beauftragt. Ich bin in Bankgesprächen. Ich stelle ein Gründungsteam für eine Genossenschaft zusammen und freue mich über jeden, den diese Idee fasziniert und der sich bei mir meldet, um Wissen zu teilen. Gemeinsam können wir mehr erreichen, in der Standortgemeinschaft „Mein LiLa“, in der Bürgerinitiative und in einer „Kranoldplatz Genossenschaft“.
Sollten Sie nicht nur Genossin oder Genosse, sondern auch noch Hauseigentümer werden wollen, freut sich Walter Seidel über Ihre E-Mail: walter.seidel@leben-planen.de. – Text: Boris Buchholz
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